BLAUES WUNDER

03. Mai 2016

Am 22. Mai findet der große Showdown statt. Der linksliberale Wirtschaftprofessor Van Der Bellen gegen den Freiheitlichen Norbert Hofer. Uns geht es dabei wie den blauen Wählern: Wir sind frustriert, wütend und besorgt. Nur aus anderen Gründen! Drei „Ausländer“, drei Meinungen.



Norbert Hofer
Starpix / picturedesk.com
Frustriert, wütend, besorgt

Wer Hofer-Wähler als dumm bezeichnet, ist selber dumm.

Von Alexandra Stanic

Der Titel beschreibt meine derzeitige Gefühlslage nach der Wahl ziemlich treffend. Ich kann mich gut in andere hineinversetzen und ihren Gedankengang nachvollziehen, auch wenn ich nicht ihrer Meinung bin. Deswegen weiß ich, dass nicht nur ich frustriert, wütend und besorgt bin. Auch Hofer-Wählern geht es ähnlich. Nur haben sie andere Gründe als ich.

Versteht mich nicht falsch: Trotz ähnlicher Gefühle könnten FPÖ-Unterstützer und ich nicht unterschiedlicher sein. Ich bin frustriert, wütend und besorgt, weil ein rechter Politiker tatsächlich zum Staatsoberhaupt gewählt werden könnte. Weil ich Angst habe, dass das österreichische Volk nach rechts abdriftet. Weil intolerante Rechte immer lauter werden und sich offen gegen Menschenrechte aussprechen.

Hofer-Wähler sind frustriert, wütend und besorgt, weil „Österreich schon zu viele Flüchtlinge aufgenommen hat“, weil sie glauben, dass „Ausländer Sozialschmarotzer sind“ und „Muslime nichts von europäischen Werten halten.“ Sie sind von Österreichs Politikern enttäuscht, Hofer bringt frischen Wind in die Politik. Noch dazu ist er ja ein sympathischer Kerl, nicht wahr? Grund genug, der FPÖ seine Stimme zu geben. Es ist eigentlich simpel: Die Blauen reagieren auf ihre Sorgen, spitzen sie zu und geben ihnen die Antworten und Versprechungen, die sie hören wollen. So intolerant und unrealistisch sie auch sein mögen.

Dass die Situation oft komplexer ist, scheint in diesem Moment völlig egal zu sein. Endlich spricht jemand das an, was sich viele denken! Endlich ist jemand gegen kriminelle Flüchtlinge! Dabei stellte der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, schon im November letzten Jahres klar: "Was wir sehen, ist, dass ein bestimmtes Feld steigt: Das ist nicht die Kriminalität von Flüchtlingen, sondern die Kriminalität gegen Flüchtlinge.“

Dummes Nazi-Pack?

Das ist besorgniserregend und macht mir Angst. Trotzdem dürfen und können wir Hofer-Wähler nicht als dumm bezeichnen. Natürlich will ich nichts mit jemandem zu tun haben, der rassistisch ist. Aber wenn ich alle Hofer-Wähler als Idioten abstemple, stecke ich mich selbst in die gleiche Lade mit Internettrollen, die mich als „linke Hetzerin, die man abschieben sollte“ beschimpfen. Es gibt Analysen, die zeigen, dass Blauwähler eher aus bildungsferneren Schichten kommen. Gibt mir dieses Wissen das Recht, Hofer-Unterstützer als dummes Nazi-Pack niederzumachen? Nein.

Immer wieder höre ich, dass FPÖ-Wähler einfach gestrickt seien. Das mag sein. Aber wäre ich nicht auch sehr einfach gestrickt, wenn ich die selbstgefällige Meinung hätte, all jene, die meine politische Gesinnung nicht unterstützen, wären dämlich?  Auch wenn es schwer ist: Wir müssen einen gemeinsamen Nenner finden. Wir können nicht zulassen, dass Österreich in zwei Lager geteilt wird. Wie das ausgehen kann, haben wir ja bei den Wahlen gesehen. Die derzeitige Regierung hat bisher versäumt, auf die Unzufriedenheit von FPÖ-Wählern einzugehen und ihr mit sachlichen Argumenten und Charisma entgegenzuwirken. Und wir machen es nicht besser, wenn wir sie als dumm bezeichnen. So lösen wir höchstens Trotz und Protest aus und schüren nur noch mehr Hass.
 

Zur Autorin: Alexandra Stanic ist Online-Chefin und Akademieleiterin bei biber.

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„Wie blau sind meine Leute?“

Von Timur Aksak
 
Es ist mein persönliches Ritual geworden. Nach blauen Wahlsiegen steh ich am nächsten Morgen in der U-Bahn und lasse meinen Blick über die vielen, fremden Gesichter im Waggon wandern. Ich zähle dann durch: “1,2,3...uuuund ein FPÖ-Wähler”. An solchen Tagen muss ich aufpassen meine Haltestelle nicht zu verpassen. Doch nach der ersten Runde der Bundespräsidentschaftswahl und dem beachtlichen Stimmenanteil des FPÖ-Kandidaten Hofer war es anders.
 
Denn als ich die Wohnung an diesem Morgen verließ, lief mir meine Nachbarin über den Weg. Eine türkischstämmige Mutter, zwei jugendliche Kinder, Putzfrau, Kopftuchträgerin, deren Mann in der Regel arbeitslos ist und zuhause rumsitzt. Kein leichtes Los.
 
Im letzten Sommer sprach sie mich im Stiegenhaus an, weil der Vermieter ihren auslaufenden Mietvertrag nicht verlängern wollte. Sie war etwas in Panik, hatte umgehend der Stadt Wien geschrieben und um eine Gemeindewohnung angesucht. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Doch das wollte sie nicht so hinnehmen; sie schloss ihre Wehklage mit den Worten ab: “Die SPÖ will die Wohnungen bestimmt für die ganzen Flüchtlinge freihalten, die jetzt ins Land kommen.”
 
Ich war überrascht. Viele der Flüchtlinge waren muslimische Vertriebene, aber es gab keine Solidarität ihrerseits. Ganz im Gegenteil. Für sie zählte nur ihre eigene Not, ihr eigenes (selbst verschuldetes) Leid. Ohne ihren türkischen Namen und ihren muslimischen Glauben hätte sie ohne weiteres bei der FPÖ andocken können, dachte ich mir.  
 
Am Tag nach der Präsidentschaftswahl machte ich mich in aller Früh auf den Weg zur Arbeit. An der Haustür angekommen, sah ich also die besagte Nachbarin (der Vermieter hatte sich doch erweichen lassen) und musste an das denken, was sie mir damals erzählt hatte. Wen hatte sie wohl am Wahlsonntag gewählt?

In der U-Bahn brach ich dann mit meinem gewohnten Ritual. Ich zählte nicht mehr willkürlich die Leute ab, sondern sah mir dieses Mal die ein- und aussteigenden Migranten an. Wie viele von ihnen waren empfänglich für die populistischen Forderungen der FPÖ? Wie viele waren genervt von Registrierkassenpflicht und Rauchverbot in den Lokalen? Und wie viele von ihnen hatten beim FPÖ-Kandidaten Hofer ihr Kreuzerl gemacht? Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.
 

Zum Autor: Timur Aksak, 30, türkischstämmiger Tiroler, hat die biber-Akademie besucht und gestaltet zusammen mit Martin Thür die prestigereiche Politsendung "Klartext.", die auf ATV ausgestrahlt wird.

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Dem Sieger zugute

Da ich bei den vergangenen Wahlen nicht wählen durfte, möchte ich mit dem Artikel hier den freiheitlichen Kandidaten bei der Stichwahl gerne unterstützen. Denn alle Ausländer sind Gauner und Verbrecher. Allen voran natürlich ich.

Von Todor Ovtcharov

Bald werden es zehn Jahre, seitdem ich in Österreich lebe. Ich habe schon von Anfang an das System ausgetrickst. Vor zehn Jahren brauchte man in Österreich als Bulgare ein Visum. Um dieses Visum zu bekommen, musste man bei den Behörden nachweisen, dass man mindestens 5.000 Euro auf dem Konto hat. Diese Summe war zu hoch für meine Eltern in Bulgarien und keine Bank würde einem bulgarischen Studenten einen Kredit geben. Ich lieh mir Geld von diversen Leuten, zahlte es auf mein Konto ein, machte den Kontoauszug und gab das Geld zurück. Bei der Visaverlängerung hab ich das Ganze noch einmal wiederholt. Und genau so machten es 95 Prozent der Menschen, die ein Visum brauchten. Danach durften wir Studiengebühren und Krankenversicherungsbeiträge zahlen, aber zuerst mussten wir den Staat belügen.

Denkt nicht, dass dass die Sache überholt sei. Ich kenne mindestens drei Menschen aus der Ukraine oder die Türkei, die es heute genauso machen. Die Summe ist mittlerweile auf 8.000 Euro angestiegen. Die Freiheitlichen haben Recht: Ausländer sind schädliche Verbrecher.

Jahrelang durfte ich nicht legal arbeiten. Einige meiner Joberlebnisse habe ich schon in dieser Kolumne hier beschrieben. Als Regel wurde ich von meinen Arbeitgeber als Mensch "zweiter Klasse" behandelt. Wann immer ich versucht habe, mich zu beschweren, wurde ich in der Regel entlassen. Ich konnte mich auch nirgendwo beschweren, denn ich war niemand. Und ein "Niemand" darf sich nicht beschweren. Egal, dass meine Arbeitgeber sich an mir bereicherten - Ich war der Illegale und sie hatten das Recht, illegale Arbeiter nicht zu mögen. Ich lebte jahrelang in einem neuen Feudalismus. Sie wurden reicher, ohne mich zu versichern, und ich war schuld an der steigenden Arbeitslosigkeit.
Der Kandidat, der mehr als 35 Prozent bei den Bundespräsidentschaftswahlen bekommen hat, will, dass das AMS Ausländern keine Jobs vermittelt. Der nächste Schritt wäre dann wohl, Ausländer in abgetrennten Vierteln leben zu lassen (warum nicht in solchen, die von Mauern umschlossen sind, so könnte man ja die Ausländer besser kontrollieren?)

Ich bin auch weiterhin bereit über mich und andere Ausländer und ihrer Betrügereien zu berichten. Denn Spitzel haben auch die Faschisten immer toleriert.

 

Zum Autor: Todor Ovchtarov ist einer der längstdienenden Biber-Kolumnisten und schreibt neben den „Leiden des jungen Todor“ online für FM4.

 

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