"Jesus schließt niemanden aus"

10. Juni 2015

Michael Kamauf arbeitet als evangelischer Diakon in der Gemeinde Gleisdorf bei Graz. Das Besondere: Kamauf ist schwul und bietet Seelsorge für homosexuelle Gläubige. Er erzählt von Heilungsversuchen, Erwachsene, die sich wie Kinder benehmen und warum Religion uns nichts verbieten kann.

von Isabella Haltrich

biber: Wann hast du gemerkt, dass du auf Männer stehst?

Michael Kamauf: Eigentlich mit 13 schon, so ab der Pubertät habe ich schon so eine Ahnung gehabt. Auch ebenso durch den Vergleich mit anderen Menschen, habe ich gemerkt, dass ich „anders“ bin als die anderen Burschen. Also man merkt es eigentlich schon ziemlich bald.
 

Was war zuerst da? Dein Glauben oder deine Sexualität?

Der Glaube war auch zuerst da, der kommt einfach früher. Auch von der Chronologie her kommt der Glaube früher, wenn er kommt, einfach durch das Aufwachsen, und die Taufe.
 

Wie vereinbarst du Liebe und Glauben für dich? Ist es im Christentum erlaubt, homosexuell zu sein?

Also das Wort „erlaubt“ ist im Zusammenhang mit Religionen immer etwas problematisch. Eine Religion kann einem nichts erlauben oder nicht erlauben. Höchstens vielleicht Gott kann einem etwas erlauben, aber die Religion kann das eigentlich nicht. Es ist auch eine Anmaßung, wenn sie das versucht. In meinem Umfeld war das auch nie so das Problem, wir haben alle den anderen aufgenommen wie er ist. Auch mein Jugendleiter war damals homosexuell. In unserer Pfarrgemeinde war das alles aber kein Thema. Es gibt aber leider andere Gemeinden wo das ein Thema ist, und wo das auch verpönt ist.
 

Religion, Homosexualität, Pfarrer, Schülerbiber
Foto: Marko Mestrovic
Wissen die Leute in deiner Kirchengemeinde über deine Sexualität Bescheid? Wie gehen sie damit um?

Ja, auf jeden Fall. Für die älteren Generationen ist das nicht schlimm. Die Jüngeren fragen schon mal nach. Oft thematisiere ich das auch von mir aus, und wenn das in meiner Gemeinde ein Problem wäre, wäre ich ja auch nicht dort. 

Stimmt es, dass du Beratungen für Homosexuelle machst, die Probleme damit haben, Glaube und Sexualität für sich zu vereinbaren?

Ja, ich mach sogenannte Seelsorge für Homosexuelle. Das heißt einzelne Beratungen für Menschen, die aufgrund ihres Glaubens Probleme mit ihrer Kirche, Gemeinde oder Religionsgemeinschaft haben. Da ist es dann meine Aufgabe ihnen zu vermitteln, dass Jesus mehr ist als jemand der aussortiert (so wie das manche Kirchen tun).
Vor allem geht es hier dann um Menschen die traumatisiert sind, oder gerade in Kirchengemeinden ihre Heimat suchen, und dort leider nicht finden. Diese hinterfragen sich dann oft sehr persönlich: Liegt das an mir?  Bin ich von jetzt an ein von Gott Verstoßener?
Das wird leider heute auch tatsächlich noch oft geglaubt.

Wie sieht so eine Beratung normalerweise aus?

Ich werde meistens angerufen und gleich per Telefon um Rat gefragt. Einfach weil es vielen unangenehm ist, eine Beratung von Angesicht zu Angesicht zu machen.

Erzählst du uns von ein paar persönlichen Schicksalen deiner Klienten?

Einmal hatte ich einen Klienten, der vorher von jemand anderen von seiner Homosexualität „geheilt“ werden sollte.
Und der war jetzt natürlich total verunsichert, weil eben ein anderer Pfarrer da gemeint hatte „Ja, da kann man was machen, das kann man heilen.“
Und deswegen musste ich ihm erstmal ausreden, dass man das nicht heilen kann, und eben auch nicht heilen braucht, weil das einfach in Ordnung ist.

Ein anderer Klient war mit einer Frau verheiratet und hatte auch Kinder mit ihr. Dann ist er drauf gekommen, dass er doch eher zu Männern tendiert, und dann wollte seine Frau eben, dass ich ihn „heile“. Wir haben eben ein paarmal hin und her gemailt bis sie dann einmal drauf gekommen ist: „So langsam glaube ich aber, dass sie denken, dass mein Mann gar nicht krank ist!“
Und dann habe ich ihr gesagt: „ Jetzt haben sie es kapiert! Ihr Mann ist nicht krank!“
Da kommen Erwachsene Menschen und verhalten sich wie naive Kinder. Das ist ja für den Mann auch keine einfache Sache. Der kommt ja auch nicht plötzlich und sagt: „Ah, es ist Weihnachten, ich bin schwul, ich hab‘s immer schon gewusst. Bringt mir den nächsten fetten Santa und ich zeig ihm wo die Geschenke hinein gehören.“
Das ist eine emotionale Angelegenheit, das weiß ich ja selber aus Erfahrung. Von einen Tag auf den anderen klappte auch bei mir das mit der vorgetäuschten Bisexualität nicht mehr. Der Mensch ist einfach keine Maschine. Das muss man einfach so zur Kenntnis nehmen.


Was sagst du homophoben Menschen, die Homosexualität noch immer als Krankheit sehen?

Das ist einfach eine gewisse doppelt- und dreifache Frechheit, weil sich unsere demokratische Kirche dazu entschlossen hat, dass es keine pseudowissenschaftlichen „Heilungen“ geben soll oder darf.
Das sind dann eh nur selbsternannte Satansaustreiber.
 Stattdessen sollen homosexuelle Menschen eben gleichberechtigt aufgenommen werden.
Das zweite ist, dass keine dieser „Heilungen“ wirklich einen „Erfolg“ verzeichnen kann. Höchstens war der Klient vorher bisexuell und danach hat er es eine Zeit lang unterdrückt und sich selbst und allen anderen vorgespielt nur noch auf Brüste zu stehen.
Solche „Heilungsversuche“ sind einfach wissenschaftlich nicht nachvollziehbar und meiner Meinung nach so ähnliche „Fakes“ wie wenn man sagt, dass man nach drei kräftigen Hallelujas wieder dem Rollstuhl entschlüpft und plötzlich  Seiltänzer wird. Das ist genau so ein Unsinn.
Religion zieht ja immer auch so die Wunder und Mystik verliebten Menschen an.

 

Möchtest auch du dich beraten lassen?

In jeder Diözese gibt es eine Liste von verschiedenen Seelsorge-Angeboten. Darunter auch Seelsorge für Homosexuelle.
Michael kann man unter: 
michael-kamauf@gmx.at erreichen.
 

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