Politik der Verschleierung

22. März 2017

Kommentar zu Kopftuch & Kruzifix von Doron Rabinovici

Es geht um die Politik der Verschleierung und um eine Verschleierung von Politik. Sebastian Kurz forderte das Kopftuchverbot für alle öffentlich Bediensteten. Minister Kurz sprach von keinem anderen religiösen Zeichen. Er wollte ein Gesetz eigens für – oder eher gegen – orthodox gläubige Muslimas in allen Ämtern, ob in den Wasserwerken oder bei der Steuerbehörde. Kaum ausgesprochen, grenzte er seinen Vorstoß wieder auf Lehrerinnen und Richterinnen ein. Die Regierung einigte sich schließlich darauf, es mögen die Richterschaft, die Staatsanwälte und die Polizei kein religiöses Symbol tragen, denn sie hätten die weltanschauliche Neutralität des Rechtsstaates zu repräsentieren. Das klang einleuchtend. Das Recht darf nicht einer Konfession unterworfen sein; zumal in Zeiten fundamentalistischer Bewegungen.

Das Recht darf nicht einer Konfession unterworfen sein; zumal in Zeiten fundamentalistischer Bewegungen.

Aber das Kreuz, hieß es, soll weiterhin auf den Richtertischen stehen bleiben. Es ist, als könnte der ursprüngliche Wunsch ein Zeichen gegen den Islam schlechthin zu setzen, nicht ganz unterdrückt werden. Das Kruzifix gehöre einfach zum Land, sagte Kurz. Es sei in Österreich historisch gewachsen, wurde erklärt und das klang beinah, als wäre es Teil der heimischen Flora. So leicht kann der politische Kampf für Aufklärung in einen kulturalistischen Kreuzzug fürs Abendland abgleiten. Mit Integration und Säkularität hat das nichts mehr zu tun. Das Kreuz, das für viele Christen ein universales Symbol menschlichen Leidens ist, wird hier zu einem Hoheitszeichen von Identität und Unterwerfung. Das ist – Kruzitürken Herrschaftszeiten noch einmal! – unsere wahre Passion hierzulande: Die Hatz gegen die anderen.

doron rabinovici
TIZIANA FABI/AFP/picturedesk.com

Zwangsverhüllung gilt es zu bekämpfen, Kopftuch ist individuell

Um nicht missverstanden zu werden: Die Zwangsverhüllung durch den politischen Islamismus gilt es zu bekämpfen. Niqab und Burka machen Frauen zum blinden Flecken der Gesellschaft, und die Ideologie, die mit diesen Attributen einhergeht, erklärt mich, den ungläubigen Juden und freien Autor, zum Zielobjekt und zum Todfeind zugleich. Die Dschihadisten bejubeln den Mord an allen, die sie zum Ketzer erklären. Sicher entstammt auch der Hidschab grundsätzlich einer patriarchalen Überzeugung, die Weiblichkeit als sexuelle Gefahr diffamiert, doch die individuellen Gründe das Kopftuch zu tragen sind unterschiedlich. Nicht wenigen Frauen fällt es schwer, von einem Tag zum anderen den Schal, den Überwurf oder den Hidschab abzulegen. Manche Teenagerinnen, die ihr Haar im Einklang mit ihrer Konfession verbergen, drücken damit ihren Trotz gegen Assimilationszwang und Kulturdünkel der Mehrheitsgesellschaft aus.

Wir sind Zeugen einer Politik, die sich islamistischen Staaten, die ihre Frauen entrechten, buckelnd andient, um ihren Mut an der muslimischen Minderheit hier zu kühlen. Die muslimischen Frauen geraten in eine Zwickmühle: Während die einen sie als Muslimas nur akzeptieren, wenn sie sich als Frauen verhüllen, achten sie die anderen als Frauen nur dann, wenn sie nicht als Muslimas kenntlich sind.

Bekannt ist, wie den Juden zu Beginn der Aufklärung versprochen wurde, sie könnten gleichberechtigte Bürger werden, wenn sie nur bereit wären, von ihren Traditionen abzulassen. Um das Ghetto endlich hinter sich zu lassen, waren viele bereit, ihr Judentum zu verstecken und besonders patriotisch aufzutreten. Es nutzte ihnen letztlich nichts. Im Gegenteil: Die antisemitischen Mörder hassten vor allem den angepassten Juden, weil ihm unterstellt wurde, sich heimtückisch zu verstellen.

Während die einen sie als Muslimas nur akzeptieren, wenn sie sich als Frauen verhüllen, achten sie die anderen als Frauen nur dann, wenn sie nicht als Muslimas kenntlich sind.

Keine Verstellung

Nichts anderes geschieht, wenn heute unter dem Titel Integration nur Assimilation eingemahnt wird. Wer mit dem Kreuz Laizismus predigt, will die Säkularisierung, zu der die Mehrheit nicht bereit ist, allein auf Kosten der Minderheit durchsetzen. Die Situation heute ist anders, da es auch darum geht, gegen das massive Vordringen einer fundamentalistischen Politik des Islam zu handeln. Aber nicht hilfreich ist in dieser Auseinandersetzung die Hetze gegen alle Muslime pauschal zu befeuern. Im Gegenteil: Das nutzt nur jenen Eiferern, die vorgeben im Namen des wahren Islam zu sprechen.

Religionsfreiheit ist Freiheit von der und für die Religion zugleich. Es geht darum, die Grenze zwischen sakralem und säkularem Raum gegen Übergriffe von beiden Seiten zu schützen. Zudem muss jede Maßnahme im richtigen Kontext beurteilt werden. Kritik an der jüdischen Orthodoxie bedeutet in Israel nicht dasselbe wie etwa in Kärnten. Ohne Schutz der Minderheiten kann Demokratie und Rechtsstaat nicht funktionieren. Wer ob im Gericht oder in der Schule den Laizismus ehrlich einführen will, muss bereit sein, wie in Frankreich auf das Kreuz zu verzichten. Wenn nicht, sollten alle Symbole wie in Kanada gleichermaßen erlaubt sein. Gegen den Islamismus braucht es hingegen einen gezielt politischen Kampf und nicht pauschale Diskriminierung. Wollen wir indes die chauvinistische Zwangsverhüllung bekämpfen, dann gilt es vor allem einen liberalen Islam zu fördern, doch ebenso selbstbewusst aufgeklärte oder säkulare Muslima zu unterstützen – ob nun mit oder ohne Kopftuch.

Foto: Reinhard Werner
Doron Rabinovici
Infokasten:
Doron Rabinovici, 1961 in Tel Aviv geboren, lebt seit 1964 in Wien und ist Schriftsteller und Historiker. Hat letztens im „Talk im Hangar“ mit Sebastian Kurz, Alice Schwarzer und Nadire Mustafi zum Thema „Burka, Kopftuch, und Koran - woran scheitert Integration?" disktutiert

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