Off the Record.

14. Februar 2017

Artikel sollen nicht mehr erscheinen, Namen müssen anonymisiert werden und Statements werden zurückgezogen. Was ist los in der muslimischen Community?

Von Delna Antia

„Das sag ich dir jetzt off-the-record!“ Dann sagt sie mir ihre Meinung zum Kopftuch. Vertraulich. Dass sie dem Tuch grundsätzlich kritisch gegenüber steht und das Verbot eigentlich willkommen heißt, kann sie nicht öffentlich sagen. Warum? „Wegen der Community.“

Dieses Verhalten kenne ich. Ich beobachte es, seitdem ich bei Biber arbeite. Wenn es um die eigenen Leute und den Islam geht, machen Muslime auffallend oft einen Rückzieher von ihren eigenen Meinungen. Egal, ob sie stark gläubig sind oder gar nicht. Kommentare oder Statements samt Foto und vollem Namen zu gewinnen gleicht für uns Redakteure oft dem Fischefangen mit der bloßen Hand. Sie entgleiten immer wieder. Meine Kollegin, die sich für diese Ausgabe um die Kopftuch-Debatte gekümmert hat, kann davon ein Liedchen singen. Sie stellte Anfragen, stieß auf Interesse, schrieb Emails hin und her, machte Zeichenanzahl und Honorar aus, doch nach zwei Wochen stand sie immer noch mit leeren Blättern da. Dabei wären die betreffenden Positionen nicht einmal kritisch der eigenen Community gegenüber gewesen. Aber innerhalb dieser Gemeinschaft scheint große Sorge zu herrschen – und Vorsicht geboten. So verwunderte mich die Bitte der kopftuchtragenden Biber-Autorin kaum mehr, nämlich, ihren Artikel zu „Kopftuchverbot und Heimatliebe“ doch nicht abzudrucken. Zu heikel!

Ob Kopftuch oder andere Themen, sobald es um „schwarz auf weiß“ geht, erlebe ich als Redakteurin ein wiederkehrendes Muster: Auf Freude über die Anfrage folgt Zögern, Zaudern, Hinziehen und dann, im letzten Moment: Rückzieher! Fertige Artikel sollen plötzlich nicht mehr erscheinen, Statements werden zurückgezogen, Namen sollen anonymisiert werden. Abgesehen davon, dass es mich in meiner Arbeit behindert (und nervt), frage ich mich: Was ist da los?

 

Man steht als Verräter da

„Die Muslime stehen eh schon so schlecht da und werden immer kritisiert, da will man nicht derjenige sein, der das Bild auch noch verschlechtert“, erklärt man mir. Man wolle mit seiner persönlichen Meinung niemanden beleidigen. „Islambashing“ kommt von außen eh schon zu Genüge, man möchte nicht auch noch von innen Öl ins Feuer gießen. „Es ist unnötiger Stress!“, verrät mir eine befreundete Türkin. Sie hat bereits die unangenehme Erfahrung gemacht. Ihre Meinung zu einem „Türkeithema“ wurde in einer österreichischen Zeitung veröffentlich, daraufhin riefen zahlreiche Bekannte ihre Eltern an und setzen diese regelrecht unter Druck: Was das soll und was denn ihre Tochter da schreibe? „Die türkische Community ist sehr emotional. Oft lesen sie gar nicht richtig hinein, sondern entnehmen nur die negativen Zeilen.“ Und dann steht man als „Verräter“ da. Dieses Wort fällt bei meinen Nachfragen oft. Besonders wer sich selbstkritisch der eigenen Community gegenüber äußert, spürt plötzlich Druck – als hätte man einen Verrat begangen. Die Bekannte erklärt mir: „Du repräsentierst immer die Gemeinschaft. Und ich will niemanden beleidigen. Denn letztlich fällt es auf meine Familie zurück.“ Freunde, Familienmitglieder, entfernte Bekannte – die „Gemeinschaft“ bekommt immer mit, wenn ein Mitglied sich kritisch äußert. Und Mitglied ist man, egal wie liberal man selbst eingestellt ist. So bringt der positive Zusammenhalt, von dem individualistische Gesellschaften einiges lernen können, eben auch Verantwortung mit sich. Man will nicht der EINE gegen Alle sein. Man will seine Liebsten schonen bzw. schützen. Also steckt man zurück und stellt auf stumm.

Dabei geht es innerhalb der Community sehr laut zu. Es existiert nicht nur eine Meinung. So würden auch in der Islamischen Gemeinschaft häufig die Fetzen fliegen, erfährt eine Biber-Kollegin. Im Inneren werden also unterschiedliche Standpunkte thematisiert und diskutiert. Doch diese Streitkultur und Auseinandersetzung scheint nicht öffentlichkeitstauglich zu sein. Schade, finde ich. Ist das „Islambashing“ so stark, dass man partout vermeiden will noch mehr Glut zu schüren? Ja, auch. Die Bekannte bestätigt, dass österreichische („westliche“) Medien nun einmal dazu neigen, etwas in einem anderen Kontext darzustellen. Nämlich so, dass es in ihr Bild vom Islam hineinpasst. Das kann sich dann für Muslime, die ein Statement gemacht haben, wie Verrat anfühlen – wenn sie sich plötzlich in einer ungewollten Ecke in der Öffentlichkeit stehen sehen. Daher oft der interne Rat, es besser bleiben zu lassen. Eine verständliche Vorsicht. Aber das ist nicht alles:

 

„Ich möchte meine Meinung deswegen nur off-the-record sagen, weil ich Angst vor dem Shitstorm seitens der Community habe, der seit Social Media extrem geworden ist. Und weil es ein gefährliches Terrain ist“, erklärt mir jene Frau vom Anfang. Deswegen sei es gut, offizielle Experten zu fragen, da diese ein anderes Standing genießen. Und sie fügt hinzu: „Das soll aber nicht heißen, dass man keine Meinung haben sollte! Im Gegenteil.“ Ja, das finde ich auch. Obwohl ich die Beweggründe verstehe, das Ziel sollte stets „on the record“ sein. Denn es spricht für eine starke Community als auch Gesellschaft, die sich Kritik und neuen Standpunkten stellt – und sie nicht mundtot macht.  

Dragan Tatic
Dragan Tatic

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