„Wie schnell würde ein Österreicher Arabisch lernen?“

19. Januar 2017

Foto: Marko Mestrovic
Foto: Marko Mestrovic

Fünf Jahre braucht es mindestens, damit jeder zweite Flüchtling einen Job hat  – sofern wir alles richtig machen. AMS-Chef Johannes Kopf über überzogene Integrations-Erwartungen, den Merkel-Spirit und seine drei Wünsche für 2017. 

Von Andrea Grman, Simon Kravagna und Marko Mestrovic (Fotos)

biber: Herr Kopf, Sie haben einmal gesagt, es sei eine Herkulesaufgabe, Flüchtlinge am Arbeitsmarkt zu integrieren. Ist es so schwer?

JOHANNES KOPF: Es ist schwierig und braucht viel Zeit.

Wie steht es um jene Flüchtlinge, die 2015 Asyl bekommen haben? Wie viele davon haben heute einen Job?

Man kann sagen, dass ein Jahr nach einem positiven Asylentscheid etwa jeder zehnte Geflüchtete einen Job hat. Um genau zu sein: Im November 2016 hatten 15 Prozent jener Menschen, die 2015 Asyl bekamen und sich bis zum Sommer 2016 beim AMS meldeten, eine Arbeit. Laut internationalen Erfahrungen ist es möglich, dass fünf Jahre nach dem positiven Asylbescheid etwa fünfzig Prozent aus dieser Gruppe beschäftigt sind, jedoch nur, wenn wir kaum Fehler bei der Integration machen.

Ist das nicht eine mäßige Bilanz?

Natürlich ist uns das zu wenig, aber es ist genauso viel wie erwartet und die Zahl steigt Monat für Monat. Deswegen sage ich immer, wir müssen geduldig bleiben. Wir sind ja sogar schon ungeduldig mit geflüchteten Menschen, die noch gar kein Asyl bekommen haben. Manche Leute fragen, warum diese nicht arbeiten, obwohl sie noch gar nicht dürfen. Wir im AMS haben uns getäuscht in der Frage, wie lange die Asylverfahren dauern werden.

Angeblich dauern die Verfahren im Schnitt rund acht Monate.

Da gibt es auch noch die Zeit bis zur Zulassung zum Verfahren und außerdem ist dies eben nur ein Schnitt. Aber ich freue mich darüber, dass es jetzt deutlich mehr Personal für die Asylverfahren gibt. Aber wie war es bisher? 2015 sind rund 95.000 Menschen nach Österreich geflüchtet. Wenn man davon ausgeht, dass knapp die Hälfte davon Asyl oder subsidiären Schutz bekommt, kommen wir auf grob 45.000 Menschen. Unter der Annahme, dass ungefähr zwei Drittel dieser geflüchteten Menschen im arbeitsfähigen Alter sind, sollten ungefähr 30.000 Personen vom AMS betreut werden. Zu uns gekommen sind aber bisher nur knapp 10.000, die anderen sind hauptsächlich noch im Verfahren.

Ist das für die Arbeitslosenstatistik nicht gut, wenn die Asylverfahren so lange dauern?

Für die aktuellen Arbeitsmarktzahlen ist das augenscheinlich gut, weil Menschen in Asylverfahren nicht als arbeitslos gezählt werden. Für die spätere Integration dieser Personen auf dem Arbeitsmarkt ist es aber sehr schlecht. Es gibt internationale Untersuchungen, die zeigen, je länger das Asylverfahren dauert, desto schlechter gelingt die spätere Integration.

Warum?

Die klassischen Phänomene, die wir bei Langzeitarbeitslosigkeit beobachten, treten auch bei diesen Personen auf: Verlust von Tagesstruktur, Verlust von Selbstvertrauen, Veralterung der beruflichen Qualifikationen und so weiter.

Deutschland hat auch sehr viele Flüchtlinge aufgenommen. Dennoch funktionieren dort die Asylverfahren schneller.

Frau Merkel hat gesagt, „Wir schaffen das.“ Man kann diese Aussage kritisieren, aber sie hat der gesamten Verwaltung die Aufgabe gegeben, „Schafft das!“ Natürlich sind die Deutschen auch noch nicht wahnsinnig weit, doch sie sind die Aufgabe von Anfang an viel entschlossener und behördenübergreifender angegangen als wir in Österreich. Positive Asylverfahren können dort mittlerweile innerhalb von 48 Stunden abgewickelt werden.

Kommen wir zu jenen Flüchtlingen, die bereits Arbeit haben. Was sind das für Leute?

Oft sind es Hilfsarbeiter, manchmal auch Facharbeiter. Die rascheste Integration ist nicht unbedingt die beste. Wir versuchen, mitgebrachte Qualifikationen zu nutzen. Die meisten Geflüchteten, die zu uns gekommen sind, sind jung, männlich und stark – das ist die klassische Beschreibung für Hilfskräfte in der Landwirtschaft oder am Bau. Gar nicht wenige dieser Personen sind jedoch qualifiziert und das Nutzen dieser Qualifikationen ist volkswirtschaftlich sinnvoller.

Wer lässt sich schwieriger integrieren? Der syrische Arzt oder der syrische Hilfsarbeiter?

Wenn ‚schwierig‘ etwas mit der Dauer zu tun hat, dann lautet die Antwort der syrische Arzt. Natürlich dauert es länger, wenn man eine Nostrifizierung vornehmen muss. Auch muss man, wenn man höhere Qualifikation einsetzen will, unsere Sprache besser lernen.

Es hat doch am Anfang geheißen, dass wir die Flüchtlinge brauchen, weil wir nicht ausreichend Fachkräfte haben. Stimmt das?

Unser Arbeitsmarkt hätte die Geflüchteten nicht gebraucht. Den Mangel, den wir aufweisen, hätten wir locker aus den EU-Ländern decken können. Aber jetzt sind die Menschen da und egal wie sozial man eingestellt ist, kann man sagen: Es ist teurer diese Menschen nicht zu integrieren.

Es gibt Förderungen für Unternehmen, wenn sie einen Asylberechtigten beschäftigen – das nehmen wenige Firmen in Anspruch, oder?

Selbst bei Unternehmen, die von sich aus Geflüchtete aufnehmen möchten, gelingt die Eingliederung derzeit nur schleppend. Das liegt meist daran, dass die Sprachkenntnisse noch nicht ausreichen, weil es lange dauert, um eine Sprache zu beherrschen. Wie lange würde ich Französisch lernen müssen, um in Paris auf meinem Qualifikationsniveau arbeiten zu können? Oder wie schnell würde ein Österreicher in Syrien Arabisch lernen? Das sollte sich jeder einmal überlegen.

Sind die Erwartungen einfach zu hoch?

Die Erwartungen sind auf jeden Fall zu hoch. Wenn wir schon sagen: Nach fünf Jahren können maximal 50 Prozent in den Arbeitsmarkt integriert sein, sieht man, dass Integration sehr lange dauert. Diese 50 Prozent sind aber ein realistisches Ziel, das erreicht werden kann, wenn wir alles richtig machen. Leider machen wir im Moment viele Dinge nicht richtig – beispielsweise bringen wir geflüchteten Personen während der zu langen Asylverfahren noch nicht wirklich Deutsch bei. Und wir bräuchten viel mehr gemeinnützige Arbeitsstellen während der Verfahren. Wir sollten auch den Lehrstellenmarkt für geflüchtete Minderjährige öffnen. Das sind alles Dinge, die die Menschen in Bewegung halten. Wir wissen, dass es schlecht ist, Menschen untätig herumsitzen zu lassen. Besonders fatal ist es bei Jugendlichen. Und trotzdem lassen wir das zu.

Wenn Sie für 2017 drei Wünsche an die Politik frei hätten, was wäre das dann?

Erstens: Eine Beschleunigung der Asylverfahren. Zweitens: Eine einheitliche Mindestsicherung, weil die Menschen sonst nicht gerne aus Wien weggehen. Drittens: Und jetzt bin ich unbescheiden – drei Prozent Wirtschaftswachstum, dann hätten wir auch mehr Arbeitsplätze. Das wird aber nur über europäische Initiativen zu erreichen sein. Eine Maßnahme, die man in Österreich setzen könnte, wäre die Senkung der Lohnnebenkosten.

Wenn Sie etwas aus der Welt zaubern könnten, was wäre das?

Die negative Stimmung. Die ist integrationshemmend und wirkt sich mittlerweile auch auf die eine oder andere politische Entscheidung aus. Ich habe den Eindruck, manches wird weniger sach- und lösungsorientiert, sondern mehr öffentlichen Emotionen folgend entschieden. Es wäre aus meiner Sicht gut gewesen, den Sorgen der Bevölkerung von Anfang an entschiedener zu begegnen und unnötige Ängste und daraus entstehenden Fremdenhass auch zu nehmen.

 

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