Al-Assad oder IS?

13. Oktober 2015

Die EU-Außenminister berieten am Montag in Brüssel über das weitere Vorgehen Europas in der Syrien-Krise. Doch was ist die vernünftigste Variante? Soll man Bashar Al-Assad, den syrischen Diktator, im Kampf gegen den Islamischen Staat und islamistische Organisationen, wie die Al-Nusra-Front, aber auch gegen seine Regimegegner unterstützen? Oder soll man sich besser nach dem Vorbild der US nur an Luftschlägen gegen den IS beteiligen? Die große Frage bleibt weiter offen: Was tun in Syrien?

Pulverfass Nahost – Regionale Interessen in 2 Minuten

Die Konflikte in der nahöstlichen Region werden vordergründig von ethnischen und religiösen Konflikten bestimmt. Dazu zählen die großen Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten im Irak, schwere Kämpfe zwischen schiitischen Huthi-Rebellen und intervenierenden, saudischen und ägyptischen Truppen, und der Jahrzehnte alte, wieder zu eskalieren drohende Israel-Palästina-Konflikt. Dennoch sind die nationalstaatlichen Interessen und Machtverhältnisse in der Region sehr viel komplexer. Die Golfstaaten, Saudi-Arabien, Qatar und die Vereinigten Emirate begannen, nach dem Erlangen plötzlichen Reichtums durch große Ölvorkommen, auch ihren politischen Einfluss im Nahen Osten zu verstärken.  Der Arabische Frühling barg gerade für die Machthaber der Golfstaaten, die selbst mit Tendenzen gesellschaftlichen Wandels konfrontiert sind, eine große Unsicherheit. Qatar wollte sich, durch das Prinzip des Wetteinsatzes, politische Einflussname, zum Beispiel in Ägypten, sichern. Daher wurde der mittlerweile gestürzte Präsident und Muslimbruder Mohammed Mursi durch Gelder aus Qatar unterstützt. Man versuchte auf das aussichtsreichste Pferd zu setzten. Das Regime Saudi-Arabiens und der Emirate sah sich von dem Sturz des Establishments in Ägypten und Tunesien  und den zivilgesellschaftlichen Aufstände  bedroht. Ähnlich wie den USA erschien ihnen eine stabile Autokratie angenehmer. Ganz anders verhielten sich diese Staaten in Syrien. Der alawitische, ba’atistische Machthaber Al-Assad, vormals Verbündeter Saddam Husseins und Unterstützter der schiitischen Hisbollah im Libanon, war den sunnitischen Scheichs schon lange ein Dorn im Auge. So wie mit der militärischen Intervention 2011 in Bahrain zur Unterstützung des sunnitischen Minderheitenkönigs als auch den saudischen Kriegshandlungen im Jemen, verfolgt Saudi-Arabien die Strategie eines sunnitischen Machterhalts und die Unterstützung antidemokratischer Systeme. Bis heute kann eine aktive Finanzierung islamistischer Gruppierungen durch Saudi-Arabien im Irak und Syrien nicht nachgewiesen werden, dass sie aber keinerlei Interesse an einem schiitischen Präsidenten im Irak oder Syrien haben, liegt auf der Hand.

Geschichtliches zum besseren Verständnis

Syrien war von Beginn an ein Konglomerat aus verschiedensten ethnischen und religiösen Gruppen und Minderheiten. Mit dem Militärputsch des Generals Hafiz Al-Assad begann die sozialistische Ära der Ba’athisten in Syrien. Vom Lybischen Regime und der Sowjetunion  militärisch und wirtschaftlich unterstützt, kam es zum wirtschaftlichen Aufschwung. Mit der Nutzungserlaubnis für Seekriegsflotten in der Marinebasis Tartus sichert sich die Sowjetunion bis heute eine strategisch und militärisch wichtige Position in der Region. Mit Waffenlieferung der Russen an das Al-Assad-Regime wird dieser Schulterschluss zwischen den syrischen und russischen Machthabern  bis heute aufrechterhalten. Aufgrund dieser geschichtlichen Verhältnisse, ist die momentane Kriegsintervention der Russen nicht überraschend. Zumal die Interessen, die Russland damit verfolgt, geprägt sind von der Aufrechterhaltung des autokratischen Systems des syrischen Diktators Bashar Al-Assad, Russlands Verbündeten.

Syrien
Facebook Screenshot Kenan Rahmani

IS oder Al-Assad?

Seit dem Ausbruch der Revolution in Syrien 2011 bis Jänner 2015 sind nach Schätzungen der UN bereits 220.000 Menschen getötet worden. Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte geht von 179.291 Getöteten durch das Assad-Regime aus. Die Angriffe des Islamischen Staates, sowie der radikal-islamistischen Al-Nusra-Front, hätten nach dieser Statistik „lediglich“ 1.885 Menschenleben gefordert. Der Islamische Staat rückt mit barbarischen Folterpraxen, Vergewaltigungen, Versklavungen, schrecklichen Gräueltaten und erbarmungslosen Hinrichtungen natürlich in den Fokus der Medien und auch des Westens. Mit den erschreckend hohen Zahlen an europäischen Jihadisten, die nach Syrien ausgewandert sind, und dem Strom an syrischen Kriegsflüchtlingen nach Europa, bekommt der syrische Bürgerkrieg auch eine europäische Dimension. Dass der Islamische Staat eine wachsende Bedrohung ist, bleibt unbestritten. Dennoch ist es eine ethische und bedeutende moralische Frage, ob sich Europa für einen Weg mit Russland und dem Diktator Al-Assad entscheidet. Immerhin gilt zu bedenken, dass dieser Machthaber das Leben von knapp 180.000 Landsleuten gefordert hat. Doch auch ein Vorgehen gegen IS und Al-Assad birgt große Risiken. Von einer säkularen Oppositionsbewegung ist keine Spur mehr in Syrien. Selbst wenn man den Diktator aus dem Amt hebt, ist die Chance eines Machtvakuums und eines ethnischen und konfessionellen Zerfalls Syriens groß. Bei all den schwierigen Verhältnissen, die es zu bedenken gibt, muss eines klar sein: Syrien darf weder ein neues Afghanistan, noch ein zweiter Irak werden. Die Staatengemeinschaft hat in den letzten fünf Jahren Gelegenheiten zu deeskalieren verschenkt, daher sind Militäreinsätze leider heute keine Option mehr, sondern schon  traurige Realität.  

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