"Das Pech meiner Eltern war mein Glück."

19. Dezember 2017

Vom „Tschuschenmexiko“ ins grüne Landesbüro: Hikmet Arslan arbeitet seit vier Jahren im Landesbüro der Grünen Niederösterreich als Geschäftsführer. Biber traf den türkischstämmigen Politiker vor der Landtagswahl auf einen Kaffee.

BIBER: Welche Erinnerungen haben Sie aus Ihrer frühen Kindheit in Niederösterreich?

Hikmet Arslan: Mein Vater und mein Opa kamen Mitte der 80er Jahre nach Österreich, und 1989 dann meine Mutter mit mir. Ich wuchs in typischen Gastarbeiterverhältnissen in der Gemeinde Ternitz auf. Die vier Wohnblocks in der Arbeitergasse, in denen nur türkische Gastarbeiter gewohnt haben, nannte man damals „Tschuschenmexiko“. Den Kindergarten besuchte ich allerdings nicht dort, sondern im Nachbardorf, wo ich mit vielen österreichischen Kindern zusammen war. Das hat mich stark geprägt, weil ich ansonsten nur in meiner eigenen Community geblieben wäre. Die Eltern der anderen Kinder gaben mir gebrauchte Kleidung mit, und begegneten mir sehr freundlich. Auch die Volksschule und die HAK besuchte ich nicht im Dorf meiner Großeltern.

Wann begannen Sie sich politisch bei den Grünen zu engagieren? Und warum nicht bei der SPÖ, wo Sie doch aus einer Arbeiterfamilie kommen?

Ich begann bei den Grünen, als ich die HAK besuchte. Von der Abstammung her bin ich alevitischer Kurde – innerhalb der muslimischen Community sind Aleviten eine Minderheit, genauso wie die Kurden in der Türkei. Dieser Minderheitsgedanke veranlasste mich wohl bei den Grünen Politik zu machen, da Niederösterreich traditionell ein sehr konservativ-schwarzes Bundesland ist. Ein ökopolitisches Interesse hatte ich damals noch nicht. Und die SPÖ sah ich ein wenig wie eine Verlängerung der links-marxistischen Partisanenvereine aus der Türkei, ich habe die Bewegung in meinem Umfeld schon als Siebenjähriger beobachtet. Meine Eltern waren zwar Gastarbeiter, aber ich hatte ein Leben als Mittelstandskind. Das Pech meiner Eltern war mein Glück. All die Dinge, die meinen Eltern verwehrt geblieben sind, konnte ich konsumieren. Den Kapitalismus habe ich nicht als „Feind“ gesehen.

In Niederösterreich naht der Tag der Landtagswahl – auf welche Inhalte kommt es für die Menschen an?

Die Klimakrise, die Kontrolle der Allmacht der ÖVP oder das wichtige Thema des öffenltichen Verkehrs in Niederösterreich. Das sind Themen, die ohne den Grünen im Landtag kein Gehör finden würden. Damit wollen wir aufzeigen, dass es uns Grüne braucht! Wenn es darum geht Glyphosat zu verbieten, erregt das nicht so viel Aufmerksamkeit wie das Burka-Verbot, welches im Gegensatz nur einen minmalen Teil der Bevölkerung trifft. Genauso verhält es sich mit der Affäre um die Paradise Papers versus der Mindestsicherung für Asylwerber. In beiden Fällen geht es um das Steuergeld der Bevölkerung, jedoch ruft der „Ausländer, der unser Geld für nichts bekommt“ stärkere Emotionen hervor - obwohl die Paradise Papers wirklich nichts anderes als ein massiver Steuerbetrug sind.

Bevor Sie Geschäftsführer wurden, waren Sie Jugendsprecher bei den Grünen NÖ. Bildungspolitik ist immer noch sehr wichtig für Sie. Wie fänden Sie die Wiedereinführung von Schulnoten in der Volksschule?

Dass man die Schulnoten in der Volksschule wieder einführen möchte halte ich für kontraproduktiv. Wie kann ein achtjähriges Kind eine Benotung seiner Leistungen von eins bis fünf nachvollziehen? Schlechte Noten entmutigen die Kleinen nur weiter! Durch dieses System werden die Perspektiven der Kinder schon im Alter von zehn Jahren eingegrenzt, je nachdem, ob sie später eine Hauptschule, HAK oder anderes besuchen. Das Gymnasium war schon immer Bildungseliten vorbehalten. Dieser Prozess der frühen Selektion muss aufgelöst werden.

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