"Die Wilden vom Balkan" - Gastkommentar von Danijel Majic

16. Oktober 2019

Knapp eine Woche, nachdem bekannt wurde, dass Peter Handke den Literatur-Nobelpreis erhalten wird, reißen die Kontroversen um den Schrifsteller nicht ab. Grund: Der Gewinner des deutschen Buchpreises, Sasa Stanisic, kritisierte die Entscheidung der schwedischen Akademie, Handke zu prämieren. Dieser reagierte dünnhäutig und brach das gestrige Gespräch ab, vor der Kamera sagt er den Satz: "Ich hasse den Journalismus." Dabei muss er das gar nicht, wie die meisten positiven Meldungen aus dem deutschsprachigen Feuilleton belegen. Danijel Majic ortet hier eine Hierarchie von Opfern und stellt den Journalistinnen die Frage, ob man auch einen Autor bejubelt hätte, der das Wehrmachtsmassaker in Frankreich relativiert hat. Nein, wahrscheinlich nicht. "Aber bei den wilden Balkanesen ist es was anderes", stellt Majic fest. Sein zynischer Kommentar im gesamten Wortlaut exklusiv hier: 


 

Ich möchte hier etwas loswerden, weil es vielleicht verständlicher macht, warum ich mich hier derart am Handke-Thema abarbeite.

Ganz davon abgesehen, dass ich nicht finde, dass man Handkes Werk unabhängig von seinem politischen Wirken betrachten kann - und was er tat ist eben auch konkret politisch wirkmächtig - kommt in der Entscheidung des Komitees und den Reaktionen von Teilen des deutschsprachigen Feuilletons aus meiner Sicht eine kaum verhohlene Abwertung der Menschen auf „dem Balkan“ zum Tragen. Hauptsächlich natürlich gegenüber den Opfern der von Milošević initiierten Politik ethnischer Homogenität. Aber auch über diesen Kreis hinaus.

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Handke: Genie oder Geschichtsrevisionist?

Fragt Euch selbst: Wäre ein Autor ausgezeichnet worden, der Wehrmachtsmassaker in Frankreich oder Italien relativiert hätte? Oder von mir aus die Verbrechen sowjetischer Soldaten an der deutschen Zivilbevölkerung? Oder von Tito Partisanen an Donauschwaben und Italienern? Ich glaube kaum.

Hingegen scheint es kein Hindernis darzustellen, wenn man Verbrechen an osteuropäischen, oder spezieller noch „balkanischen“, Menschen relativiert. Verstehen wir uns nicht falsch, noch leichter hätte man Handke mit Sicherheit die Relativierung von Verbrechen an PoC durchgehen lassen.

Die Botschaft dahinter ist, dass es offensichtlich eine Hierarchie von Opfern gibt. Und weil man nun schon lange daran arbeitet, „den Balkan“ und seine Menschen zu exotisieren, zu einem für westliche Menschen nicht-verstehbaren Teil Europas zu machen, versteht man auch die Ursachen für die Konflikte der 90er-Jahre nicht. Man will sie nicht verstehen, weil das Abstellen auf die angebliche „Wildheit“ des Balkans bequem und beruhigend zugleich ist.

Deshalb verzeiht man Handke so leicht. Weil „wir im Westen“ doch selbst nicht durchblicken, warum die Wilden da unten sich eigentlich gegenseitig die Köpfe einschlagen.

Und in so einem „wilden Land“ mit seinen „wilden Menschen“ kann sich ein „Romantiker“ wie Handke nun mal leicht verlieren. Letztlich, was geht es uns eigentlich an, was da unten passiert? Blickt doch eh keiner durch.

 Und klar: Menschen, die dort ermordet wurden, das ist zwar schlimm. Aber jetzt auch nicht so schlimm.

Was zählt, ist poetische & ästhetische Qualität.

 

Zum Autor: Danijel Majic ist Mitarbeiter beim Hessischen Rundfunk und publiziert zusammen mit seinem Kollegen Krsto Lazarevic den Podcast "Ballaballa-Balkan". Absolute Empfehlung für Balkankenner und solche, die es werden wollen. Hier nachzuhören: www.ballaballa-balkan.de

 

 

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