„Ich habe gelernt, das Unvollendete anzunehmen.“
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Azade Shahmiris Performancestück „Quasi“ feierte am Montag bei den Wiener Festwochen Premiere in der neuen Spielstätte brut nordwest. 110 Minuten lang suchen drei Akteure nach ihrer Identität, dokumentieren sich und ihre Isolation. Fragmente aus einem unfertigen Film des Regisseurs Hamid Jafari von 2001 bilden den vierten Akteur auf der Bühne. Und der Film kann sich die Frage stellen: Bin ich unvollendet, nur weil wenn ich unfertig bin? BIBER traf die iranische Künstlerin auf einen Schwarztee.
Interview: Nada El-Azar
BIBER: Herzlichen Glückwunsch zur Premiere, trotz der teilweise niederschmetternden Kritiken. Wie gehst du damit um, dass ein paar Zuschauer noch während der Vorstellung den Saal verließen?
Azade Shahmiri: Ich wusste natürlich von Anfang an, dass die Performance nicht jedermanns Sache sein würde. Aber zu sehen, wie Menschen den Saal während der Aufführung verlassen, zerbricht mir irgendwo trotzdem das Herz. Ich habe den Text immer und immer wieder bearbeitet und vereinfacht, was selbst in der Originalsprache Farsi nicht leicht gewesen ist. Gleichzeitig sind die Textfragmente über Theorien von Michail Bakhtin oder Juri Lotman in den Monologen sehr wichtig für das Verständnis von Zeit, Ort und Raum, die den Rahmen für den Text vorgeben.
Inwiefern spielen die Faktoren Zeit, Ort und Raum eine Rolle für die Performance?
Die vier Akteure auf der Bühne sind nicht durch ihre Handlung, ihr individuelles Schicksal oder einen Ort miteinander verbunden. Viel mehr eröffnen sie einen Raum auf der Bühne, den sie mit ihrer Gleichzeitigkeit bespielen. Das Publikum sieht die Akteure zwar gemeinsam, aber sie kennen sich untereinander nicht. Sie haben aber einiges gemeinsam: Das Gefühl des Unfertigen, beziehungsweise des Unvollendeten, und der Isolation. Und sie wehren sich gegen den Raum, in dem sie sich befinden. Dieser Raum kann auch der eigene Körper sein.
Warum heißt die Performance „Quasi“?
Während ich an den ersten Entwürfen für die Performance arbeitete, schwebte mir der Begriff „quasi“ immer wieder vor. Dieses Wort steht immer in Relation zu einer Sache, mit der man versucht, etwas zu erklären. Quasi war mein Arbeitstitel, der in sich unvollendet ist, weil danach kein Begriff stand. Das passte dann ganz gut zum Unvollendetsein der Figuren, und des Films, dessen Szenen ich verwendete.
Welche Rolle spielte das „Unfertige“, „Fragmentarische“ während der Vorbereitung?
Normalerweise stelle ich erst einen Text fertig, der dann während der Proben eventuell abgeändert werden kann. Bei „Quasi“ war meine Herangehensweise aber ein wenig anders als gewöhnlich. Wir begangen die ersten Proben schon ohne einen fertigen Text – ich hatte lediglich zwei Monologe dazu geschrieben. Zunächst dachte ich auch, dass ich auch vergangene unfertige Projekte in der Performance einarbeiten könnte, wie ich das mit Hamids Film gemacht habe. Letzten Endes waren aber dann doch nur neue Texte in der Performance. Dann habe ich gemeinsam mit den drei Darstellern – die selber auch Autoren sind – während der Proben dann die finale Version ausgearbeitet.
Im begleitenden Booklet stellst du die Frage „Was passiert mit unfertigen Arbeiten?“ Was passiert mit deinen eigenen Fragmenten?
Ich spüre manchmal den Druck, Arbeit nicht „zurücklassen“ zu wollen. Als ich etwa meinen PhD gemacht habe, hatte ich oft das Gefühl einfach aufhören zu wollen, weil es nicht zufriedenstellend gewesen ist. Jedoch war der Druck des Unfertigen zu groß, als dass ich es wirklich hinschmeißen konnte. Aber jetzt ist es anders. Ich höre mehr auf mein Bauchgefühl, mit Dingen aufzuhören, die sich nicht recht anfühlen. Ich habe gelernt, das Unvollendete für mich zu entdecken und anzunehmen.
Text, Regie: Azade Shahmiri
Mit: Isar Aboumahboub, Naghmeh Manavi, Melika Shokri
Film: Hamid Jafari
Dramaturgie: Leila Ahmadi Abadeh
Weitere Informationen und Vorstellungstermine gibt es hier.
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