Ich verzweifle am Seelenzustand der Linken

27. Juni 2016

Was ist nur mit den Linken los? Statt sich um die Belange der sozial Benachteiligten zu kümmern, debattieren sie in den Bobo-Bezirken über Sprachgerechtigkeit und moralisch gerechtfertigte Ernährung. Ich als Linker muss feststellen, dass meine politischen Genossen ihre wahren Ziele aus den Augen verloren haben.

„Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch.“

Als Karl Marx und Friedrich Engels die letzten Zeilen des Kommunistischen Manifests schrieben und es anschließend zur meist gelesenen Lektüre innerhalb der linken Bewegung wurde, haben sie an den rebellischen Geist der Arbeiterklasse appelliert. Zu Recht: Denn die arbeitende Bevölkerung wurde während der Industrialisierung Europas in 16-Stunden-Schichten hineingezwungen, bekam wenig Lohn und hauste in den Slums der wachsenden Großstädte.

Weil sie sich das länger nicht mehr gefallen lassen wollten, gingen die Arbeiter auf die Barrikaden, formierten sich in Parteien und rebellierten gegen das besitzende Bürgertum. Eine der wichtigsten Errungenschaften der linken Bewegung war zweifelsohne die Etablierung des Sozialversicherungswesens. Zwar wurde dieses im Deutschen Kaiserreich durch den konservativen Reichskanzler Otto von Bismark eingeführt, aber nur damit die linke Bewegung nicht noch mehr wuchs. Quasi auf Druck der Linken.

Grün wählen, aber die Kinder nicht auf Migrantenschulen schicken
Ein Zeitsprung in die Gegenwart. Wenn Karl Marx wiederauferstehen und zufälligerweise im 7. Wiener Bezirk Neubau stranden würde, würde er sich die Augen reiben. Denn er sähe selbsternannte Linke, die in ihren schicken Altbauwohnungen hausen, stets darauf bedacht sind, ihren alternativen Bio-Lifestyle zu pflegen und mit Bierdosen in der Hand demonstrieren gehen und das für tiergerechte Haltung. Sie wählen Grün, würden aber ihre Kinder nicht in eine Schule schicken, in der der Migrantenanteil weit über 70 Prozent liegt.

Prekäre Arbeit, eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, unbezahlbare Mieten und ein Kapitalismus, der nach dem sozialdarwinistischen Prinzip „Der Schwächste fliegt“ funktioniert, sind die drängendsten Probleme unserer Zeit. Nicht zu vergessen die aktuelle Flüchtlingsbewegung weltweit. Doch statt rebellisch und zielstrebig diese Herausforderungen anzugehen, machen es sich die heutigen, vor allem jungen Linken in den sozialen Netzwerken bequem. Das Ergebnis des Brexit-Votums ist ein gutes Beispiel. Viele Pro-Europäer sind jung und zum größten Teil politisch links der Mitte zu verorten. Aber gerade die Jungen, die all die Vorteile der EU genießen, waren so unfähig in die Wahlkabine zu gehen und ihre Stimme zu erheben. Denn angeblich gibt es spannendere Themen als Politik. Wenn ich an so eine Haltung denke, verzweifle ich am Seelenzustand der selbsternannten jungen Linken.

"Es kann doch nicht sein, dass man als FPÖ’ler bezeichnet wird, wenn man gegen den Bau von Moscheen ist."
Sie bestehen krampfhaft auf das Binnen-I in Texten, feiern ihr  Bio- bzw. Vegansein in Food-Blogs, erklären die Ernährungsweise zu einer Moralfrage, kaufen in teuren Hipster Geschäften ein und bezeichnen jegliche Form von Islamkritik als Rassismus. Dabei war etwa die Religion laut Marx das „Opium des Volkes“, was abgeschafft gehört. Heute muss man unter Linken vor einer Kritik an Religion, Migration oder offenen Grenzen ein Bekenntnis ablegen, kein Rechter zu sein.  Es kann doch nicht sein, dass man als FPÖ’ler bezeichnet wird, wenn man gegen den Bau von Moscheen ist. Hinzufügend möchte ich sagen, dass ich allgemein der Meinung bin, dass Religion im öffentlichen Raum nichts zu suchen hat und dass der Glaube in die Privatsphäre gehört.

Es gibt Dinge, die gehören angesprochen und kritisiert. Man sollte dabei in der Lage sein, das so zu handhaben, dass es sachlich und ohne Hetze geht. Als Linker sollte es beispielsweise auch möglich sein, in der Flüchtlingspolitik zu differenzieren, statt unhinterfragt „Refugees Welcome“ zu brüllen. Ich als Linker muss feststellen, dass es extrem schwierig geworden ist, unter Gleichgesinnten Dinge unmissverständlich auszusprechen, ohne dass man wegen seiner Wortwahl ermahnt wird.

In diesem Sinne verstehe ich mich als Linker, der von Werten wie sozialer Gerechtigkeit, Chancengleichheit in Karriere und Bildung sowie von der Gleichheit der Völker überzeugt ist. Idealerweise sollten sich die Linken für diese Ziele einsetzen. Marx hätte das auch getan.

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