Liegt es an mir oder an dir? – Die "awkward silence"

06. Mai 2016

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und ist sie erst mal da, weiß keiner mehr, was er tun soll.

 

Wir grüßen uns. Fragen nach dem Befinden des jeweils anderen. Wollen vielleicht noch wissen, was es Neues gibt. Okay, gut, und dann? Dann passiert das, was wir am meisten befürchtet haben: Es wird still. Unglaublich still. Die ,,awkward silence‘‘ hat zugeschlagen.

Du bist nicht schuld

Ich gebe dir nicht die Schuld. Vielleicht wolltest du einfach nur höflich sein und "Hallo" sagen. Wie es mir wirklich geht, ist dir eigentlich egal. Und auf die Frage, was es so Neues bei mir gibt, erwartest du eh nur ein: ,,Nicht viel. Es passt alles.‘‘ Weiter hast du nicht gedacht. Du hast wahrscheinlich geglaubt, dass ich irgendeinen guten Einfall für ein Gespräch haben werde. Doch als ich nichts mehr darauf sage und dich nur erwartungsvoll anschaue, dämmert dir etwas. Achtung: Awkward silence alert. Vielleicht zählst du die Sekunden, voller Hoffnung, dass ich doch noch das Gespräch fortsetzen könnte. Doch vergebens. Du versuchst, ein paar Gesprächsstoffe aus der Smalltalkkiste herauszukramen, doch du findest nichts. Niente. Nada. Und die Stille wird immer größer.

Es wird knapp

Der Druck steigt. Es sind zwar erst fünf Sekunden vergangen, doch keiner von uns weiß, was sich daraus entwickelt. Fällt einem von uns noch etwas ein? Oder entsteht daraus ein betretenes Schweigen? Wir lächeln uns an. Ach, wie fake wir doch sind. Innerlich denken wir uns ja: ,,Boah, sag' endlich was!‘‘, doch niemand von uns macht den nächsten Schritt. Und die Stille füllt den Raum.

Vielleicht fliegt mir die Gesprächsidee ja auf den Kopf

Ich schau' verzweifelt in den Himmel. Vielleicht fliegt mir ja eine Gesprächsidee irgendwie auf den Kopf, direkt ins Gehirn und aus meinem Mund wieder heraus. Doch ich werde enttäuscht. Große Beklemmung breitet sich in mir aus. Was kommt als nächstes? Wann sagst du endlich was? Tief in mir drinnen werde ich auch immer wütender auf dich, weil du das Gespräch überhaupt angefangen hast. Aber andererseits, du hättest ja auch schlecht an mir vorbeigehen können ohne zu grüßen und die in unserer Gesellschaft obligatorischen Fragen zu stellen. Zehn  Sekunden sind vergangen, kein einziges Wort ist gefallen. Schon längst ist das da, wovor wir uns am meisten gefürchtet haben: Die ,,awkward silence‘‘.

Es liegt nicht an dir

Jeder weiß, ist sie erst einmal da, weiß keiner mehr so richtig, was man tun soll. Und es liegt nicht an dir - aber an mir auch nicht. Das einzige, was wir beide jetzt tun können: Sie beenden, uns verabschieden, weitergehen. Und hoffen, dass wir uns nicht mehr wiedersehen.

 

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