„Pussy Intifada“

07. Oktober 2015

Die weibliche Sexualität spaltet die arabischen Gesellschaften. Mouwafak Chourbagui, ägyptischer Filmemacher, spricht von der männlichen Kontrolle über die weibliche Sexualität als ein eigennütziges und pervertiertes Verständnis von Sex. Er ruft Männer und Frauen zu einer ’Pussy Intifada’ auf, um den beiden Geschlechtern eine Chance zu geben, ihre Körper neu zu begreifen.

In den meisten arabischen Ländern werden junge Männer, wie auch Frauen, kaum über Sexualität aufgeklärt. Dies rührt zum Teil aus einem religiösen und gesellschaftlichen Verständnis, welches Sexualität ausschließlich auf die Institution der Ehe beschränkt. Gerade junge Paare leiden unter falschen Erwartungshaltungen und sexuellem Druck. Dies äußert sich bereits in der Hochzeitsnacht, welche oftmals von Frauen als gewalttätiger Akt erlebt wird. Das Problem eines unnatürlichen Zugangs zu gegenseitiger Zuneigung und Zärtlichkeit ist in der Gesellschaft verortet. Bereits der unschuldigste Körperkontakt zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts ist in vielen arabischen Ländern gesellschaftlich verpönt.

Porno-Aufklärung

„Kollo ya Walid „ („Gib mir alles, Walid“) flüsterte das Mädchen am Tisch ihrer Freundin leise zu und beide brachen kurz darauf in Gelächter aus. Der Satz stammt aus einem ägyptischen Amateurporno. Von einer prüden Einstellung zu Sex kann in diesem Fall in einem ägyptischen Straßenkaffee nicht die Rede sein. Allerdings gibt es einen enormen Unterschied im Umgang mit Sex und Pornografie bei arabischen Mädchen und Jungen. Frauen wird selbst die Bezugnahme auf sexuelle Handlungen negativ angerechnet und moralisch problematisiert. Bei den meisten arabischen Männern allerdings gilt Pornografie bereits als ein fixer Bestandteil in der pubertären Entwicklung.

Trotz eines Verbots von einschlägigen pornografischen Seiten in vielen arabischen Staaten, wie den Vereinigten Emiraten, Qatar oder Saudi Arabien, werden laut Statistik in fast allen arabischen Ländern überdurchschnittlich viele pornografische Inhalte konsumiert. In Ägypten und Tunesien sind, nach Google Statistics, Pornoseiten unter den Top 25 der meist besuchtesten Seiten. Im Gegensatz zu den USA, wo pornografische Inhalte lediglich auf Platz 42 der gefragtesten Seiten liegen.

Ein ägyptisches Mädchen erzählt von den Wochen vor der Hochzeit, als sie sich pornografische Videos im Internet ansah. Als Vorbereitung auf ihr Sexualleben in der Ehe hat sie dies verstanden. Pornos vermitteln jedoch vergeschlechtliche Rollenbilder und inszenierte Sexualität, die mit der Realität kaum vereinbart werden können. Ob es dadurch auch maßgeblich zu einem gestörten Verhältnis zu Sexualität und sexuellen Problemen in der Ehe kommen kann, darf spekuliert werden.

Genitalverstümmelung

Laut UN-Studie sind 97% aller ägyptischen Frauen über 25 Jahre genital verstümmelt. Im Jemen sind 23% aller Frauen und im Sudan 73% der Frauen von dieser menschenverachtenden Praxis betroffen. Ein ägyptischer Frauenarzt, Mohannad S., legitimierte die offiziell verbotene Praxis der Genitalverstümmelung von Frauen durch die Annahme, dies würde die "übersteigerte Lust" und den Sexualtrieb der Frauen zügeln und ihre "Keuschheit vor der Ehe wahren". Gerade aufgrund dieser Geisteshaltung überlebt diese alte, misogyne Tradition, die Frauen die Selbstbestimmung ihrer Sexualität untersagt.

Jungfrau-Sein

Das Deflorieren einer Jungfrau ist genau so ein bedeutungsvoller wie auch tabuisierter Akt als. Die Jungfräulichkeit ist nicht nur der Innbegriff der Reinheit und Keuschheit, sie entscheidet auch über die soziale, gesellschaftliche und ökonomische Zukunft eines Großteils der Frauen. 

Ein ägyptischer Freund umschrieb die Jungfräulichkeit einer Frau mit dem Sinnbild eines Bonbons. Entfernt man das Papier, in welches das Zuckerl eingewickelt ist, und lässt es zu Boden fallen, wäre dieses Bonbon schmutzig und nicht mehr genießbar. Ein verstörender Vergleich, der zugleich nicht unüblich ist. In den meisten Fällen ist die Jungfräulichkeit Voraussetzung für eine Heirat. Sexuell aktive, unverheiratete Frauen sind meist gesellschaftlich geächtet. Zudem steht der uneheliche Geschlechtsverkehr, bis auf wenige Ausnahmen, in den arabischen Ländern unter Strafe.

Bei der Betrachtung der Verhältnisse könnte man sich fragen, ob es nicht wirklich einer sexuellen Revolution bedarf. Eine 68er-Bewegung 2.0 oder, wie Chourbagui überspitzt meint, eine ’Pussy Intifada’?

 

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