Schulnoten und Elternlogik

12. Februar 2016

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nikola, biber, kommentar
Foto: Hristina Micevska

Es gibt eine Zeit im Leben, da liegen Schul- und Elternterror nah beieinander. Wenn es mal knapp wird und die Situation es verlangt, kann ein Hollywoodfilm Abhilfe schaffen. 

Es ist eine Woche seit der Mathematikschularbeit her, nun sitzt man gebannt in der Schule und wartet darauf, dass der Lehrer die Schularbeiten austeilt: „Die Schularbeit ist insgesamt schlecht ausgefallen. Monika, du hast den einzigen Einser. Und du Nikola…hast du überhaupt gelernt?“ Im gleichen Moment dreht sich mir der Magen um, der Überschuss an Adrenalin pfeift mir aus den Ohren und im Kopf höre ich meinen Geist zu mir sprechen: „Nikola. Wenn das Mama sieht, bist du im Arsch.“ Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt und es werden erste Anläufe unternommen, um einen Vierer daraus zu biegen. Nein, nicht indem man sich die eigenen Fehler eingesteht und daraus lernt. Am naheliegendsten erscheint es einem, die korrigierte Schularbeit in die Hand zu nehmen und nach den Versäumnissen des Lehrers zu suchen, um einen halben Punkt rauszuholen. Im Falle, dass der halbe Punkt die Note nicht rettet, hilft nur noch bei der französischen Fremdenlegion anzuheuern oder die berühmteste Ausrede: „Der Lehrer mag mich nicht.“

Entweder-Oder

Der Grund für diese Panikreaktion war die indoktrinierte Weltvorstellung der Eltern, die gerne besagte, dass man ein erfolgreicher Chef eines internationalen Konzerns wird, wenn man ausschließlich Einser schreibt - und ein übler Drogenjunkie, wenn man einen Test vermasselt. Der Versuch, ihnen zu erklären, dass eine negative Note kein Weltuntergang ist, hätte nur einen Lawinenabgang provoziert.

Eltern hatten ein Repertoire an Ausredenblockern, die jeder Verteidigungsrede des Jünglings standhielt. Wer erinnert sich nicht gerne an „Mich interessiert nicht, was die anderen haben“. Oder, wenn man an guten Tagen nach Hause kam und von seinem Einser erzählte, nur um im nächsten Moment mit einem „Du machst das alles eh für dich, nicht für mich“ wieder auf den Boden der Tatsachen gebracht zu werden. Traumhaft.   

Der Film

Bei mir hat sich damals eine Mischung aus Theatralik und „Der Lehrer mag mich nicht“ bewährt. Meine beste Leistung lieferte ich bei meiner letzten Englisch-Schularbeit ab. Gemeint ist nicht die Englischleistung, sondern die erbrachte Leistung im Schauspielbereich, nachdem nichts mehr zu retten gewesen war. Vor dem Betreten des Hauses ging ich nochmal meine Rolle durch. „Werde ich eher traurig oder zornig sein?“ fragte ich mich ein letztes Mal. Ich kam mit einer Mischung aus Zorn und Trauer durch die Eingangstür und schmiss Schuhe und Jacke zu Boden. Meine Mutter kam schnell ins Vorzimmer und fragte besorgt, was geschehen sei. „Nichts“ erwiderte ich und ging weiter zur Küche. „Du bist, aber so aufgebracht“, fuhr sie fort, „Hast du Englisch zurückbekommen?“ - „Ich will nicht darüber reden“, sagte ich knapp und ging zum Kühlschrank, um mir eine Milchschnitte zu holen. Ich wusste zu gut was als nächstes kommen würde und bereitete mich auf die wichtigste Szene vor, sie würde über alles entscheiden. „Du hast es wieder verkackt, ha?“ hielt sie mir vor und initiierte somit das Stichwort für meinen Einsatz. Zum offenen Kühlschrank gedreht und mit der abgebissenen Milchschnitte in der Hand versuchte ich nun an meinen letzten traurigen Film zu denken um zumindest eine halbe Träne rauszudrücken. Im Eifer des Gefechts fiel mir nur die Szene von „Forrest Gump“ ein, bei der Tom Hanks seinen „besten guten Freund“ Bubba in Vietnam sterben sieht - eine aufwühlende Szene, die die Grausamkeit des Vietnamkrieges gut einfängt. Ich zerquetsche meinen  Milchsnack, schmeiße diesen zu Boden und lehne mich mit einer Hand am Kühlschrank an. Es folgt ein Krampf im Gesicht, um diese halbe Träne rauszupressen und ich versetze mich ins hysterische Schluchzen: „Diese Professorin in Englisch, sie hasst mich. Ich weiß nicht wieso, ich habe ur viel gelernt. Sie kann mich einfach nicht leiden.“ Leicht verwirrt stellt meine Mutter klar, dass ich eigentlich am Freitag und Samstag in den Clubs fort war, wo soll da Zeit gewesen sein zum vielen Lernen, möchte sie wissen. „Schau!“, zeige ich ihr Blätter und werfe sie ebenfalls zu Boden, „Alles umsonst. Alles umsonst! Verstehst du?“, sage ich während ich wieder zur zermatschten Milchschnitte gehe, um sie auch noch wegzuschießen. Ich ernte nur verdutzte Blicke von allen Anwesenden, denn so aufgelöst sah man mich selten. „Nikola“ folgt mir meine Mutter in die Küche, „ich kann deinen Unmut verstehen, aber wenn du etwas nicht geschafft hast, musst du beim nächsten Mal mehr Fleiß hineinstecken.“

Gewonnen!

Ich war überrascht, sie erließ mir zwar nicht die ganze Schuld und meinte, ich muss noch mehr unternehmen, damit aus mir ein Chef wird, aber es war ein Etappensieg, denn es wurden keine Drohungen oder Verbote ausgesprochen. Dieses eine Mal hatte es sich ausgezahlt, nicht zu lernen, schließlich hatte ich das Wochenende über Spaß und es hatte auf kurze Sicht gesehen keine Konsequenzen. Vorausgesetzt, dass eine Nachprüfung in Englisch keine negative Konsequenz ist.

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