"So viel Grausamkeit hätte ich Assad nicht zugetraut."

01. Dezember 2015

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Luna Al-Mouslin, Eine Träne. Ein Lächeln, Autorin, Syrien, Flüchtlinge
Foto: Marie-Christine Gollner-Schmid

Luna Al-Mousli schreibt in ihrem Erstlingswerk „Eine Träne. Ein Lächeln.“ über ihre Kindheit in Damaskus. Im biber-Interview spricht sie über Assad, Sailormoon und syrische Flüchtlinge.

biber: Was ist der Duft deiner Kindheit?

Luna: Der Jasmingeruch aus dem Garten unserer Nachbarn.

Du bist mit 14 nach Wien gekommen. Wie war es davor Teenager in Syrien zu sein? 

Selbstentfaltung, Freunde treffen – das findet in Syrien nur Zuhause, im Privaten statt. In der Schule wird einem sogar vorgeschrieben, welche Farbe das Haargummi und die Socken haben müssen. In der Früh mussten wir immer aufstehen, die Hand strecken und „Lang lebe Assad rufen!“ Im Klassenzimmer hingen die Bilder von Hafiz al-Assad (Bashar al-Assads Vater) und seinem ältesten Sohn Basil, der eigentlich das Präsidentenamt seines Vaters übernehmen sollte, aber 1994 bei einem Autounfall starb. Ich hielt Basil al-Assad die ganze Zeit für den Propheten Mohammed. Erst viel später wurde ich darüber aufgeklärt.

Wie hast du die Anfangszeit in Wien empfunden?

Erst nachdem ich nach Österreich gekommen bin, ist mir aufgefallen, wie schräg manches in Syrien war. In der Schule in Wien hatte ich einen eigenen Stuhl, in Damaskus mussten wir uns zu dritt eine Schulbank teilen. In Syrien mussten wir immer die Schulbücher Wort für Wort auswendig lernen. Für die eigene Meinung war kein Platz. Das machte ich in den ersten Jahren in Wien auch so. Schriftlich war ich deswegen super, mündlich dafür nicht. Ich fühlte mich auch oft einsam. In Damaskus kam Freitag Abend die ganze Familie zusammen. In Wien saßen wir freitags alleine da.

Luna
bereitgestellt

Welchen Vorurteilen bist du damals begegnet?

„Wieso trägst du kein Kopftuch“, „Wieso bist du so weiß, du bist doch aus Afrika?“ Mich hat dieses Unwissen schockiert. Wieso wussten die Österreicher nicht, wo Syrien liegt? Heute würde ich mir dagegen wünschen, dass nicht jeder weiß, wo Syrien ist. Die „Berühmtheit“, die meine Heimat erlangt hat, ist traurig.

Wie hast du den Beginn des Syrien-Krieges erlebt?

Als die Tunesier 2010 auf die Straßen gingen, saßen wir die ganze Zeit gebannt vor dem Fernseher. „Das ist ein Moment, der in die Geschichte eingehen wird“, sagte meine Mutter damals zu mir. Als der arabische Frühling auch in Ägypten ausbrach, hofften wir, dass es in Syrien auch bald soweit sein würde. Dass das Ganze aber so ausarten würde, hätten wir nicht gedacht. Auch wenn es naiv klingt, so viel Grausamkeit hätte ich Assad nicht zugetraut.

Hast du noch Familie oder Freunde in Syrien? Was erzählen sie?

Ja, wir haben eine Whatsapp-Gruppe und schreiben regelmäßig. Aber nicht über den Krieg, sondern über die Schularbeitsnote meines Cousins oder meine Cousine schickt ein Foto von ihrem Mittagessen. Wir unterhalten uns nicht über Angst oder Zukunftsvorstellungen. Krieg hat ja auch einen Alltag. Nur, wenn jemand mal länger nicht zurückschreibt, sind wir besorgt.

Was geht dir durch den Kopf, wenn du Kriegsbilder aus Syrien in den Nachrichten siehst?

Ich schaue seit drei Jahren keine Nachrichten mehr. Ich kann die eigene Machtlosigkeit nicht ertragen. Es macht mich auch wütend, dass ständig über die ISIS berichtet wird und weniger über die einzelnen Schicksale der Flüchtlinge. Sie werden nur als Masse wahrgenommen. Es geht nur darum, was Europa nicht alles für die Flüchtlinge tut, statt zu überlegen, was man gemeinsam mit ihnen machen kann.

Welches Vorurteil gegenüber syrischen Flüchtlingen macht dich besonders wütend?

Dass davon ausgegangen wird, dass sie weltfremd sind. Ich hatte in der Schule genauso Mathe und Physik, habe in meiner Kindheit genauso Sailormoon und Disney-Filme geschaut und zu Christina Aguilera, Britney Spears und Backstreet Boys getanzt. Wir sind nicht viel anders aufgewachsen als Europäer.

Ständig wird über die Integration der Flüchtlinge gesprochen. Was muss passieren, damit das gelingt?

Es muss ein Miteinander entstehen. Sonderprogramme für Flüchtlinge bringen nichts, man muss gemeinsam arbeiten, um sie zu integrieren. Es geht nicht darum, dass die Syrer sich assimilieren, die Flüchtlinge müssen einen Weg finden, das in Syrien Gelernte mit den Möglichkeiten in Österreich zu vereinbaren. Dafür brauchen sie Zeit. Bevor nicht die Grundbedürfnisse wie ein Dach über dem Kopf, Nahrung und Arbeit, gedeckt sind, können sie sich aber nicht auf Anderes konzentrieren.

Du hast dieses Jahr ein Buch über deine Kindheit in Damaskus im Verlag weissbooks rausgebracht. Mit vielen Fotos aus dem Familienalbum. Der Text ist arabisch und deutsch. Wieso zweisprachig?

Weil es sonst nicht ich wäre. Es ist eine Art zu zeigen, dass ich mich für beide Teile entschieden habe. Nur mit beiden Sprachen fühle ich mich vollständig.

Wenn der Krieg zu Ende wäre, könntest du dir vorstellen, wieder nach Damaskus zu ziehen?

Ja, ich könnte mir vorstellen zurückzugehen, um zu helfen Syrien wieder aufzubauen.

Zur Person: Luna arbeitet heute als Autorin, Grafik Designerin und Impulsgeberin mehrerer Initiativen mit Schwerpunkt Bildung und Integration in Wien. Bei "Start-Alumni" unterstützt sie junge Flüchtlinge beim Lernen.

Buchpräsentation „Eine Träne. Ein Lächeln.“

11. Dezember, 19h in der Hauptbücherei Urban-Loritz-Platz

15. Dezember, 19h im Angewandte Innovation Laboratory

Hier kannst du das Buch kaufen

 

 

 

 

 

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