Sprengstoffgürtel statt Disco

21. April 2017

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Freier Fall - Theaterstück
© Theater Jugendstil

Von bombenlegenden Moslems und fremdenfeindlichen Österreichern handelt das von der Theaterproduktion „Jugendstil“ ins Leben gerufene Stück „Der freie Fall“. Wie es dazu kommen kann, dass sich zwei junge Menschen zum Schluss in die Luft sprengen möchten, wird mit viel Schwung erzählt.

Der Hass ist geschürt. Die Sprengstoffgürtel sitzen. Eine Rassistin und ein Dschihadist sind bereit für ihre jeweilige Überzeugung in den Tod zu gehen. Die verzweifelten Vermittlungsversuche eines „Gutmenschen“ laufen ins Leere.  Doch wie konnte es soweit kommen?

Karin ist eine im Bezirk Ottakring geborene junge Frau. Karim ist ein junger Österreicher mit Migrationshintergrund, dessen Eltern wegen Kriegs nach Österreich flohen. Zu Beginn des Theaterstücks „Der freie Fall“ von Raoul Biltgen lernen sich die beiden in einer Discothek kennen. Auf tollpatschige Annäherungsversuche Karims folgt schon bald eine von widersprüchlichen Gefühlen geprägte Beziehung. Die beiden hegen sehr wohl Sympathien füreinander, doch die Religion und vor allem die in der heutigen Gesellschaft existierenden Vorurteile treiben sie immer wieder auseinander. So wird Karim auf den bombenlegenden Moslem und den sozialschmarotzenden Flüchtling heruntergebrochen. Karin hingegen wird auf die Rassistin reduziert. Sie zerbrechen schlussendlich an den von der Gesellschaft heraufbeschworenen Gegensätzen und wählen den Weg der Radikalisierung. Karim beginnt mit dem Dschihad zu liebäugeln und Karin ist bereit, fremde Kulturen mit allen Mitteln zu bekämpfen. Erst als die Sprengstoffgürtel bereitliegen, taucht ein „Gutmensch“ auf, der verzweifelt versucht zu vermitteln. So abgehoben seine Kleidung ist, so nutzlos erscheinen auch seine Belehrungen für die beiden hasserfüllten jungen Leute. Seine Beschwörungen, wir wären alle Menschen und sollten uns gegenseitig achten und wertschätzen, gehen in diesem fortgeschrittenen Stadium der Radikalisierung an der Lebensrealität der Hauptfiguren vorbei und können den Tod der beiden nicht mehr verhindern.

Damit wird sehr schön versinnbildlicht, dass es nichts hilft, die Welt schönzureden und erst dann mit dem Wasserschlauch angelaufen zu kommen, wenn die Hütte lichterloh in Flammen steht. Probleme und Gegensätzlichkeiten existieren in der heutigen Gesellschaft und an diesen muss rechtzeitig gearbeitet werden, wenn man Phänomene wie Rassismus und Dschihadismus effektiv bekämpfen möchte. Das Stück schafft es, unterstützt durch die beachtlichen schauspielerischen Leistungen von Hisham Morscher, Rina Junika und Lilly Anna Janoska, mit viel Augenzwinkern und Plakatismus zahlreiche heutige Problemfelder zu thematisieren. Dabei wird auch betont auf das 12 – 19 Jährige Zielpublikum eingegangen. Sei es fetzige Musik oder die große Leinwand im Hintergrund der Bühne, die für Selbstvermarktungszwecke der beiden Hauptfiguren und mehrere eingespielte Videos dient.

Ein Problem dürfte aber vor allem für den jüngeren Teil des Zielpublikums sein, dass zwar die Problematik von Radikalisierung aufgezeigt wird, jedoch keine Lösungen dafür angeboten werden. Ein Rückblick auf die glücklichen Zeiten in der Disco zum Schluss des Stücks bietet Raum für Reflexion. Was hätte anders laufen müssen, damit es nicht so weit gekommen wäre, fragt man sich. Doch für einen 12-Jährigen ist das äußerst schwer zu beantworten. Das zeigte sich im anschließenden Publikumsgespräch. Die Fragen der Jugendlichen gaben Anlass daran zu zweifeln, ob die Kernbotschaft des Stücks auch tatsächlich erfasst wurde. Hier hätte man das junge Publikum ruhig etwas bei der Hand nehmen dürfen.

Im März 2018 präsentiert die Produktion „Theater Jugendstil“ ihr nächstes Stück. Dabei wird der Fokus auf das Phänomen „Smack Cam“ gelegt werden, was nicht zuletzt auch hier in Wien mit einem brutalen Video für Aufsehen gesorgt hat. Man darf gespannt sein.

"Der freie Fall":

Regie: Christian Himmelbauer

Schauspiel: Hisham Morscher, Lilly Anna Janoska,​ Rina Juniku

Autor: Raoul Biltgen

Produktion: Theater Jugendstil (Susanne Preissl und Sophie Berger)

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