Warum keiner mehr fix zam ist.

02. Oktober 2015

Unsere Welt dreht sich immer schneller. Ständig verändert sich etwas, ständig wird das Leben um uns herum modernisiert, verbessert, ausgebessert. Wir haben immer mehr Möglichkeiten, unser Dasein so zu gestalten, wie wir es gerne hätten.

Fragt man heutzutage eine Gruppe von Mittzwanzigern, was für sie denn das Wichtigste im Leben sei, werden die gängigsten Aussagen sein: Man will sich selbst verwirklichen, seinen Traum leben, Erfahrungen sammeln, Karriere machen und meistens kommt noch dazu: frei und ungebunden sein. Wir sind die Generation, die für die gesellschaftlichen Revolutionen der letzten beiden Jahrhunderte zu spät dran ist. Die Generation, der der Weg schon geebnet wurde.

Die Generation, die Kompromisse nicht gewohnt ist. Wir leben in einem Konkurrenzkampf mit uns selbst und anderen. Es geht immer noch besser, toller, erfolgreicher. Und dieser Wahn projiziert sich stark auf das Liebesleben. Unsere Welt mag sich schneller drehen, wir brauchen aber immer länger, um herauszufinden, was wir wirklich wollen. 

Die Generation unserer Eltern war mit 25 verheiratet, hatte eine eigene Wohnung oder sogar ein Haus und zwei Kinder. Heutzutage wohnt man mit 25 in einer WG, arbeitet schleppend auf seinen Uni-Abschluss hin und hat - wenn's hoch kommt - eine zweijährige Beziehung am Laufen. Es war damals einfach anders, und jetzt sieht es so aus.

Es geht hier nicht darum, welches Szenario gut und welches böse ist. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Frage, die sich aufwirft, ist vielmehr: Wieso? Wieso sind so viele Menschen unserer Generation so beziehungsunfähig?

Die Angst, etwas zu verpassen und Freundschaften für eine Nacht.

Man hat Angst, etwas zu verpassen (dafür gibt es natürlich schon einen Trend-Begriff: FOMO- Fear of missing out), sich nicht genug auszuleben. Angst, dass es an dieser verdammten Selbstverwirklichung scheitert. Angst, nicht mehr frei zu sein. Diese Ängste sind allesamt menschlich, die Generationen vor uns hatten bestimmt ähnliche Gedanken. Das alles hat  aber meiner Meinung nach weniger mit dem Beziehungsstatus zu tun, und mehr damit, wie man sein Leben lebt.                                                                             

Was aber ein relativ neues Phänomen zu sein scheint, ist diese Auswechselbarkeit.

Man lernt so schnell neue Leute kennen. Wir sind die Fortgeh-Generation. Und wo lernt man denn heutzutage eher seine potentiellen zukünftigen Partner kennen als beim Fortgehen? Die Stimmung ist top, man ist entspannt, alles ist lustig, alle sind freundlich weil betrunken, man selber ist auch freundlich weil betrunken, was eben dazu führt, neue Freundschaften zu schließen. Oder Freundschaften für eine Nacht eben. Oder eben mehr. Und bei "mehr" stellt sich die Frage, wann und ob es überhaupt ernst wird. Oder ob es nicht sinnvoller ist, seine "Gspusis" alle paar Wochen auszutauschen, sich emotional nicht zu sehr zu binden, damit man nicht verletzt wird - und alles ist cool?

Weil wir's können?

Doch wieso tun wir das? Ich konter' jetzt in der coolen Jugendsprache: Weil wir’s können. Und früher konnte man halt nicht. Vor hundert Jahren hast du eben im Alter von 18 oder 19 Jahren den ersten Mann geheiratet, den du geküsst hast, weil es sich so gehört hat. Auch wenn deine Eltern ihn für dich ausgesucht haben.

Im Vergleich dazu kenne ich fast keine Person, die nur einen Menschen in ihrem Leben geküsst hat. Und wieder kann ich euch nicht sagen, was hier das gute und welches das böse Szenario ist. Das muss jeder für sich selbst wissen. Nur, dass wir eben heutzutage die Wahl haben, welches wir leben wollen. Weil wir eben frei sind. Wir haben die Möglichkeit, unsere Entscheidungen alleine zu treffen. Ich bin mir sicher, es gab immer schon Ehen, die total unglücklich waren, Ehen und Beziehungen, die man hätte beenden müssen, es aber nicht getan hat, weil Scheidungen verpönt waren und: "Was würden die Nachbarn sagen?". Aber: Was ich auch weiß, ist, dass man früher mehr daran gearbeitet hat, etwas wieder hinzubiegen, anstatt es einfach auszutauschen und wegzuschmeißen.

Jeder Mensch hat Fehler. Wenn man die Person mag, dann wird man sie auch akzeptieren. Den perfekten Menschen oder den perfekten Partner gibt es einfach nicht. Unser Streben nach besser, besser, besser macht uns irgendwann noch wahnsinnig. Haben wir einfach zu viel Auswahl? Wahrscheinlich.

Die Hakerl bei Whatsapp sind blau

Diese Theorie bestätigt auch die moderne Technologie. Auf Tinder einen Abend lang mit fünf Typen schreiben, und dann am Schluss entscheiden, welcher der „beste“ ist, und nur ihm dann die Nummer geben? Auf einer Party mit jemandem schmusen, ihn dann auf Facebook ausfindig machen und stalken? Das haben wir doch alle schon mal gemacht.

Und dann sehen wir, dass er vor drei Wochen mit einem Mädchen auf einem Bild markiert wurde. Ist das etwa seine Freundin? Seine Ex? Wieso hat sie dann gestern noch sein neues Profilbild geliked? Und zu allem Überfluss hat er auch noch unsere Whatsapp-Nachricht erhalten und GELESEN, die Hakerl sind blau. Schon vor ganzen ZWANZIG MINUTEN. Aber immer noch keine Antwort. Wahrscheinlich ist er gerade bei ihr.

Während man sich dann abwechselnd Mord- und Hochzeitszenarien ausmalt, kommt es uns aber nicht in den Sinn, den armen Typen vielleicht einmal besser kennenzulernen, als ihn vorschnell mit erstalkten, zusammengereimten Fakten zu verurteilen.  Und dann ist das Mädchen eh nur die Schwester.

Läuft bei uns. 

Ein Beispielszenario, das wir alle wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad schon einmal durchlebt haben, das zeigt, dass wir vielleicht doch nicht so cool sind, wie wir gerne wären. Und so frei sind wir dann auch wieder nicht, weil die Gedanken ja doch im Kopf bleiben. Aber das kann man doch nicht zugeben, Sonnenbrille auf und "läuft bei uns".

Wir müssen uns ja noch selbst verwirklichen. 

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