Wir, die gefälschten Ausländer.

18. August 2017

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Unser ehemaliger Biber-Stipendiat, der für dieses Foto wundervoll posiert hat
Unser ehemaliger Biber-Stipendiat, der für dieses Foto wundervoll posiert hat

„Wallah, Brate gib Handy zurück, ich mach dich Meier sonst“ – Diese Ausdrucksweise ist in Wien nichts neues – nicht nur unter kleinen Azzlack-Ausländern, es schockiert auch keinen mehr, wenn sich zwölfjähige weiße, blonde Kinder namens Julian in der Straßenbahn so unterhalten. Mich schockiert es zumindest nicht mehr. Ist ja auch eine Form von Integration irgendwie. Aber am Wiener Trend-Horizont macht sich ein neues Phänomen breit: Die mittzwanziger Wiener Studenten, meist aus gutem Hause, die aus Ironie auf Tschusch tun und sich dabei extrem feiern. Entweder waschechte Österreicher oder eben „gut integrierte“ Ausländer, die bis jetzt nicht als solche aufgefallen sind. Warum?  Ausländersein war lange uncool. Es hat eine Weile gebraucht, bis die Gastarbeiterkinder in zweiter Generation die Adidas-Patschen gegen Converse und die gefälschten Gucci-Täschchen gegen Jutebeutel getauscht haben. Fast ist es so weit, und dann geht der  Trend wieder in die andere Richtung: Zurück in die Heimat, Habibi– zumindest zum Spaß. Oder zumindest war es anfänglich Spaß. So wie unser Slavs in Tracksuits- Style: Sweat-Jacken mit Adidas- Fila-und Nike-Logos drauf, die bis dato wohl nur in der polnischen Automechaniker-Szene in waren, am besten gepaart mit Goldkette und einem neuerdings unentbehrlichen Accessoire: der Bauchtasche.

Foto von der Autorin
Foto von der Autorin

Mirko aus dem bosnischen Dorf - unser aller Gott und Vorreiter.

Bauchtaschen waren bis vor kurzem nur akzeptabel, wenn du ein deutscher Familienvater am Ballermann warst. Und seien wir uns ehrlich, nicht mal dann. Plötzlich tragen sie die Wiener Hipster-Jungs zum Fortgehen. Ironisch gemeint, versteht sich von selbst. Aber woher kommt dieser Trend? Künstler wie Yung Hurn oder Jugo Ürdens machen es vor – oder nach? Wer hat eigentlich damit angefangen? Wenn es um den Style geht, dann ist mit ziemlicher Sicherheit irgendein Mirko aus einem bosnischen Dorf unser aller Gott und Vorreiter. Aber lassen wir Mirko im Dorf und bewegen uns wieder nach Wien: Adidas-Jogginghosen im Baustelac-Stil sind – zumindest in den hier erwähnten Kreisen - mittlerweile gesellschaftlich akzeptierter als diese roten „my daddy is a lawyer“-Hosen, die dank der Döblinger Elite mit zu viel Para lange Zeit unsere Stadt dominierten. Dafür danke ich allen Fake-Cuxxeln dieses Landes, amk*. Und dann kommen wir schon zum Nächsten: Dem Sprachgebrauch. Hier sehe ich mich selbst nämlich als Paradebeispiel. Ich habe einen Bachelor in Translation, arbeite als Journalistin und auch sonst dreht sich mein Leben mehr um Wörter und Sprache als um alles andere. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, ertappe ich mich in letzer Zeit ständig dabei, dass ich bei jedem zweiten Satz ein „amk“ am Schluss anhängen will, amk. Hat sich einfach so bei mir eingebürgert, yani. „Jebote“ und „Yalla“ kennen wir alle schon längst, aber ich sage euch, da geht noch mehr. Wollt ihr Nachhilfe in Cuxxl-Schimpfen? Polnische Schimpfwörter durfte ich nie benutzen, haben mir meine Eltern zumindest eingetrichtert. Deshalb wirft die blond gefärbte Polin mit einem (halben) akademischen Grad jetzt mit arabischen und türkischen Schimpfwörtern um sich. Ist das peinlich und möchtegern-cool? Bestimmt. Macht sie das ironisch oder meint sie es ernst? Irgendwie hat es aus Spaß begonnen, aus Spaß wurde ernst, und jetzt blasted sie ernsthaft Haftbefehl in Dauerschleife von ihrem pinken iPhone. 

Biber-Integrationsausflug
Biber-Integrationsausflug

Wir meinen das ja nicht ernst, amk. 

Ich liebe es, mich über mich selbst lustig zu machen, vielleicht liegt das daran. Und: Wir meinen es ja alle nicht ernst, wenn wir uns gegenseitig „Brudi“ nennen und „Ajd, gib Para für Döner“ zurufen. Oder? Wir können ja auch normal reden. So, wie es sich viele von uns mühselig angeeignet haben, damit sie sich eben gut integrieren und nicht als Ausländer herausstechen. Und natürlich differenzieren sich die Hipster-Tschuschen hier von den „echten“ Ausländern – erstere kommen sich eben besser vor, weil sie die Show nur aus Spaß abziehen. Und irgendwie ist das auch respektlos den Ausländern, die zwar eben die Originalen sind, sich aber keine originalen Adidasjacken leisten können, gegenüber. Aber ehrlich? Die Vorbilder sind aber immer noch genau diese, die Mirkos aus den bosnischen Dörfern, die unsere peinliche wannabe-Hipster-Tschuschen-Generation insgeheim zu ihren Helden gemacht hat. Aber traut euch ja nicht, euch über uns Hipster-Tschuschen lustig zu machen - Macht kein harakat*, wir rasieren euch sonst, amk. 

*amk= : Ausgeschrieben steht "AMK" für den türkischen Ausdruck "Amina Koyim" - heißt so viel wie "Ich mache dich fertig" oder eigentlich "Ich ficke deine Mutter"  (Also kein jugendfreier oder netter Begriff) 

*harakat= arabisch für Blödsinn 

Kleiner Anhang der Autorin:
Ich durfte das letzte Monat gemeinsam mit 19 anderen extrem hellen und innovativen Köpfen – oder zumindest wurden wir so vorgestellt - unseres Landes in den USA verbringen. Jusstudenten, WU-ler, Startup-Gründer, allgemein Overachiever (was ich dort unter denen gemacht hab, dazu kommen wir noch ein ander mal) -  Bis auf eine Person allesamt Ausländer. Nachdem der offizielle Part des Tages vorbei war, wir uns bei Meetings mit wichtigen NGO’s und Organisationen in gehobenem Englisch ausgetauscht haben ging es zurück auf den Boden der Tatsachen. Raus aus der UNO, rein in Ball-Käfig. Dialoge über Integration wurden ersetzt durch „Bruda, gib Tschik“, „Ajd, Schule aus, gemma Mäci Reumann schwänzen.“ Natürlich redete keiner von uns im ernst so – aber ich habe herausgefunden, um was es in dem ganzen geht: Ein Gefühl von Zusammenhalt, von Zugehörigkeit und diesem „wir haben alle etwas gemeinsam“-Gefühl. Und vor allem denselben Schmäh. Auch wenn ich mir sicher war, dass ich nach diesem Monat Artikel ohne Artikel schreiben werde, war dem nicht so. Mein Horizont an arabischen Schimpfwörtern hat sich genauso erweitert wie mein Wissen über andere Kulturen und Religionen – und darauf bin ich genau so stolz wie auf meine weiße Nike-Jacke aus einem polnischen Second-Hand-Laden. 

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