Suruç: Wo bleibt mein Aufschrei?

04. August 2015

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Suruc
Facebook Screenshot Bradford E. Nelms

Montagabend auf der Mariahilferstraße, Ecke Neubaugasse: Drei Straßenmusikanten fiedeln munter Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, zwei Zeugen Jehovas präsentieren das aktuelle „Erwachet! Hört da jemand zu?“, junge Männer in langen weißen Gewändern verteilen den Koran und an der vierten Ecke schreien Kurden eschauffiert in ein Mikrofon. Ein Mikrokosmos zwischen Einkaufstüten.

„Nein zum Krieg“ brüllt ein junger Kurde und die Menge stimmt ihm natürlich zu. Sie beschuldigen die türkische Regierung den islamischen Staat zu unterstützen.  Es gibt ein Bündnis zwischen AKP und den „Terrorbanden des IS“ schreibt der kurdische Rat Österreich in seinem Pamphlet. Die hellgrauen Pflastersteine der neuen Begegnungszone zieren die Bilder der Ermordeten. Es sind die Opfer des Terroranschlags in Suruç bei dem dreißig junge AktivistInnen starben, und die entstellten Körper der zivilen kurdischen Opfer,  die durch Angriffe der türkischen Luftwaffe seit Ende Juli getötet wurden. 

„No Pasaran – Nein zum Krieg „ klingt zu schön, auch auf Kurdisch, doch Realität ist die Gewalt trotzdem. Die Länder des Nahen Ostens versinken im Strudel der Vergeltung, des Krieges und der abscheulichen Gewalt. Der kurdische National Kongress warnt in seiner Aussendung: „Die Weltgesellschaft schweigt weiter und zusammen mit den türkischen Attacken gegen Kurden gewinnt nur der ISIS Terrorismus an Stärke und Moral“.

Schweigen wir wirklich alle oder verhallt unser Aufschrei nur viel zu schnell? Ja, ich teile das Bild der jungen, hübschen AktivistInnen wie sie in die Handykamera lächeln, kurz bevor sie ein Selbstmordattentäter mit in den Tod reißt, auf Facebook. Ja, ich bin bestürzt, wenn ich von den Massenvergewaltigungen ezidischer Mädchen durch die IS höre. Ja ich verurteile auch Vergeltungstaten kurdischer Extremisten. Ja, ich bin gegen die Schreckensherrschaft eines Herrn Asad. Ja, ich halte nichts von einer türkischen Regierung, die gegen Demonstranten vorgeht. Ja, ich lehne die Unterdrückungspolitiken einer ägyptischen Militärdiktatur ab. Ja, ich finde es schrecklich wenn Weltkulturerbe vernichtet wird und jemenitische Kinder hungern und bei Bombenangriffen um ihr Leben zittern. Aber ich bin wahrscheinlich meist zu leise. Ich schreie es nicht in ein Mikrofon. Der Westen und ich schauen zu, schauen weg, entsetzen sich kurz über die Schreckensbilder und natürlich verurteilen wir den Krieg und die Barbarei. Doch wir bleiben untätig und kaum einer schreit mehr laut auf. Anstatt dessen richten manche hierzulande ihre Energien darauf, die zu hassen und zu schikanieren die nur knapp dem Krieg und dem Tod entgangen sind und nun an Europas Toren um Zuflucht bitten.

Daher könnte ich es nicht besser sagen als diese kurdischen Studenten: „No Pasaran! Es lebe die Geschwisterlichkeit der Völker, die Solidarität!“.

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