GESUNDHEITsSPECIAL: Das gut verhütete Geheimnis

06. Mai 2011

Happy Birthday, Anti-Baby-Pille! Was ein Wiener vor 60 Jahren erfunden hat, verstecken viele Migrantinnen immer noch vor ihrer Mutter im Nachtkastl. Über sozialistische Verhütungsmethoden und kulturelle Sprachlosigkeit unterm Bettlaken.

Von Ivana Cucujkić und Lucia Bartl (Fotos)

Zorana war 19 als sie sich zum ersten Mal die Pille verschreiben ließ. Vor ihrer Mutter versteckte sie die kleine Schachtel im hintersten Winkel ihres Zimmers. Die Einstellung der Mutter war nämlich: „Wenn man schon mit einem Mann schläft, dann mit dem, den man später auch heiraten wird.“ Als die Mutter beim Staubwischen dann doch auf die kleinen weißen Pillen stieß, gab es einen zornigen Vortrag über Krankheiten und Risiken. „Sie sagte, ich würde meinen Körper mit dem Zeug vergiften“, erinnert sich Zorana.

 

 

„Du vergiftest dich!“
Aus denselben Gründen wie Zorana verheimlichte auch die 24-jährige Lidija ihrer Mutter, dass sie die Pille nimmt. „Sie ist voll dagegen. Als sie die Pille in meiner Tasche fand, schrie sie: Was soll das?!“ Lidijas Frage an die Mutter, ob sie schon bereit sei, Oma zu werden, wurde mit einem Schweigen quittiert.

Pille und Kommunismus
Sind unsere Mütter sonst für regen Informationsaustausch aus allen Lebensbereichen, verstummen sie schlagartig, wenn es drum geht, dass ihre Töchter gut verhütet Sex haben möchten. Komisch. Sonst wurde im guten alten Kommunismus jedes Wehwehchen mit einer Allround-Spritze gelöst, und das Allheilzweckmittel in der Hausapotheke hieß Parkemed. Aber bei der Pille sind Medikamente plötzlich pfui und die Mütter sehen nur mehr Risiken und Nebenwirkungen. 

„Da gibt es einen großen Unterschied zwischen den Generationen“, bestätigt Edina Velić-Strobl, Privat-Frauenärztin im 18. Bezirk. „Bei Frauen aus Exjugoslawien, die heute 50 Jahre oder älter sind, war Schwangerschaftsabbruch etwas Normales - das war sogar gratis. Im Sozialismus spielte Religion keine Rolle, dementsprechend geringer waren moralische Bedenken." Frauen dieser Generation verhüten weniger.
Dementsprechend groß ist heute das Misstrauen gegenüber der unbekannten Pille und ihren Nebenwirkungen.

Nicht meine Tochter!
Dass die Töchter die alten Bilder und Vorurteile der Mütter übernehmen, ist vorprogrammiert. Eliza ist mit 15 Jahren von Bosnien nach Wien gezogen. In diesem Alter tasteten sich viele ihrer österreichischen Schulfreundinnen langsam an das Thema Verhütung heran. „Das war komisch. Sie wussten schon alles darüber. Am schlimmsten fand ich, dass sie schon die Pille nehmen und sogar von ihrer Mutter zum Frauenarzt geschleppt wurden. Das ist ja krank.  Viel zu früh, bitte!" 

Edina Velić-Strobl kann den unterschiedlichen Zugang zur hormonellen Verhütung zwischen Migrantinnen und Österreicherinnen nur bestätigen: „Zu mir kommen auch Mütter mit der 14-jährigen Tochter und ihrem Freund. Das sind aber Österreicherinnen. Unsere Frauen würden das nie tun. Sie verschließen da eher die Augen und sagen, nein, meine Tochter hat noch keinen Sex. Die tut das nicht.“

Wo ne Pille, da kein Weg

Einmal für die Pille entschlossen, stoßen viele Migrantinnen in den eigenen vier Wänden auf eine Mauer des Schweigens. Wenn zusätzlich die Religion ins Spiel kommt, scheinen die Barrieren unüberwindbar. „Die Kinder der zweiten Generation sind oft durch das Ursprungsland der Eltern sozialisiert und in deren Sexualmoral verhaftet. Sexualität wird oft nicht als normaler Teil des Lebens akzeptiert, darum haben sie eine höhere Hemmschwelle, sich wirksame Verhütungsmittel verschreiben zu lassen. Das ist ein Drama!" erklärt Christian Fiala, ärztlicher Leiter des Gynmed Ambulatoriums für Schwangerschaftsabbruch und Familienplanung.
Gynäkologen, die mit Abtreibungen zu tun haben, verzeichnen unter ihren Patientinnen einen markanten Anteil an Frauen mit Migrationshintergrund - ein Beleg für den schwierigen Umgang mit Sex und Verhütung.

 

 

Tabuthema Sex
Über Sex spricht man in der Familie nicht. Wenn überhaupt, dann höchstens durch die Blume: "Wenn meine Eltern oder meine Geschwister versuchen, mir einen Ratschlag zu geben, dann tun sie das so, als ob sie über eine dritte Person reden würden, meinen aber mich", erzählt eine Betroffene.

Sich extern beraten zu lassen, ist für viele Migrantinnen, geschweige denn ihre Mütter, einfach nicht üblich. Die Frauen möchten nicht, dass jemand von ihren Probleme erfährt, oder sieht, dass sie Hilfe in Anspruch nehmen. Man möchte nach außen keine Schwäche zeigen.

 „Die Schwellenangst zu Gesundheitseinrichtungen ist eine viel größere als bei der Mehrheitsgesellschaft, was natürlich viel mit dem Bildungsgrad zu tun hat“, erklärt Soziologin und Sexualpädagogin Sabine Ziegelwanger.

„Der Bildungsgrad der Eltern, ist oft entscheidend, wie liberal und offen man in der Familie mit Sexualität umgeht“, meint auch Özlem Akar, Pädagogin und Psychotherapeutin im Gesundheitszentrum FemSüd. „Wir leben in Europa, hier herrschen andere Werte, das bekommen die Jugendlichen und ihre Eltern mit. Manche Eltern fangen da durchaus an, ihr Wertesystem anzupassen.“

Sprache als Schlüssel
Bei externer Beratung ist die Sprache entscheidend: Eine Beratungsstelle kann ja gut sein, aber wenn dort niemand ist, der die Frauen sprachlich und vor allem kulturell versteht, bleiben Migrantinnen fern: „Ich bin Österreicherin, aber ich werde nie so gut mit serbischen Mädls reden können, wie eine Serbin. Es ist wichtig, dass die Mädels wissen, dass da jemand ist, der weiß, wie das mit der Hochzeitsnacht ist“, weiß Ziegelwanger aus ihrer Erfahrung mit Jugendlichen.

Die Muttersprache also ist der Schlüssel zu den Migrantinnen, die offen über Verhütung sprechen wollen. „Die jungen Frauen kommen dann meist zu mir in die Praxis, nur um sich auszusprechen“, so Edina Velić-Strobl über ihre Patientinnen, die Großteils aus dem exjugoslawischen Raum kommen, denen es „gewaltig an muttersprachlicher Beratung fehlt“.

Zu Frau Akar kommen vor allem Frauen und Mädchen aus der Türkei. „Verhütung ist eine persönliche Sache und ein sehr heikles Thema, selbst bei Ehepaaren. Mädchen kommen meistens mit der Sorge zu mir, was passieren könnte, nachdem sie Sex gehabt haben. Sie bekommen ja mit, wie offen ihre österreichischen Freundinnen mit Sexualität umgehen. Sie wissen aber, dass sie selbst das nicht dürfen.“

Für viele gläubige und unverheiratete Muslima ist die Pille kein Thema, weil sie Sex vor der Ehe ablehnen, wie WU-Studentin Sibel. Sie ist voll auf der Linie ihrer Mutter. „Verhütung wird höchstens kurz vor der Hochzeit zum Thema, damit muss sich dann jede Frau selbst beschäftigen.“

Reden wir darüber
Sexualität und Familienplanung werden früher oder später im Leben jeder Frau ein Thema. Darum wird biber nicht müde, darüber zu sprechen und zu schreiben, auch wenn und das schon  einige besonders konservative Leser gekostet hat.

 

Wer hat’s erfunden?
Die Mutter der Pille ist männlich und heißt Carl Djerassi. Dem Bulgaren gelang es als Erster, das Sexualhormon Norethisteron künstlich herzustellen. Damit entwickelte der Chemiker gemeinsam mit anderen Kollegen 1951 die erste Antibabypille.
Djerassi wuchs als Sohn einer Wiener Jüdin und eines Bulgaren in Sofia auf. Später zog er in seiner Geburtsstadt Wien zurück. Mit Beginn der Nazizeit immigrierte er mit seiner Mutter in die USA und lehrt seither auf der Standford University.
Djerassi ist am 29.Oktober 1923 in Wien geboren. Er hat unter anderem das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, die National medal of Technologie des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen bekommen.

 

Deine Adresen:

FEM Süd Frauengesundheitszentrum
im Kaiser Franz Josef Spital
Kundratstr. 3, 1100 Wien
www.fem.at

FIRST LOVE – Beratungsstellen für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren
Langobardenstraße 122/Donauspital SMZ-Ost, 1. Stock, 1220 Wien
Juchgasse 25/Krankenanstalt Rudolfstiftung, 1. Stock, 1030 Wien
www.firstlove.at

Gynmed – Ambulatorium für Schwangerschaftsabbruch und Familienplanung
Mariahilfergürtel 37, 1150 Wien
www.gynmed.at

pro: woman – Ambulatorium Sexualmedizin und Schwangerenhilfe
Fleischmarkt 26, 1010 Wien
www.prowoman.at

YoungMum – Begleitung für schwangere Teenager
Dornbacher Strasse 30, 1170 Wien
www.khgh.at

Deine Links:

www.merhabakondom.at

www.meine-pille.at

www.notfallpille.at

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Kommentare

 

in der zeitschrift steht, dass es ein bulgare war ?!

 

Ich kann jetzt nicht für die Autorin sprechen, aber meines Wissens wurde Djerassi in Bulgarien geboren und hat ist dann später in die USA emigriert. Hast du andere Quellen, ana?

 

entschuldigung, es war ein fehler- ich habe das geschrieben, nachdem ich nur den anfang gelesen habe :-/ und löschen konnte ich es auch nicht-
übrgens-ich habe eure zeitschrift zufällig "entdeckt" und finde die themenwahl sehr interessant.

 

keine entschuldigung wert, erst recht nicht, nachdem du unsere zeitschrift entdeckt hast und hoffentlich in zukunft mal hineinschmökern wirst;)

 

das werde ich auf jeden fall tun!:-)

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