Die HOMO-HÖLLE

07. Juli 2011

Das katholische Zentrum „Odwaga“ in Polen behauptet: Homosexualität ist heilbar. biber ließ sich therapieren.

von Anna Thalhammer und Reinhard Lang (Fotos)

Ein katholisches Therapiezentrum für Homosexuelle hat sich die 26-jährige Joanna anders vorgestellt: düster, kahl, sakral und mit Kreuzen gespickt. Was sie an der angegebenen Adresse von „Odwaga“  (übersetzt Mut) vorfindet, ist eher paradiesisch: Sie steht vor einem kleinen gepflegten Haus mit weißem Lattenzaun in einer vornehmen Wohngegend Lublins. Der Rasen ist getrimmt, die Büsche sind zu runden Kugeln gestutzt, bunte Blumenkisten zieren die Fensterrahmen und ein Brunnen plätschert im Garten. Aus dem offenen Fenster duftet es nach Hausmannskost. Joanna hat das Gefühl, sie würde ihrer Großmutter einen Besuch abstatten und nicht einer katholischen Einrichtung, die Schwule und Lesben bekehren will.



Erfolg garantiert?
Das Zentrum „Odwaga“ wurde 2007 von der katholischen Organisation „Licht-Leben“ eingerichtet. Hauptzweck ist, Menschen mit homosexuellen Tendenzen mit einem Mix aus Psychotherapie und Gottesfurcht umzupolen. Nach Angaben von Odwaga konnte einem Drittel der früheren Klienten geholfen werden, ihren homosexuellen Lebensstil nicht  mehr auszuüben. Vielen soll es auch gelungen sein, trotz Homosexualität enthaltsam zu leben und sich nicht mehr zu versündigen. Einige Männer seien nach der Therapie sogar Priester geworden.

Es ist kein Zufall, dass diese düsteren Sexperimente in Polen abgehalten werden. Aktuellen Umfragen zufolge betrachtet mehr als die Hälfte der polnischen Bevölkerung Homosexualität als eine Krankheit. Gleichzeitig spielt die Kirche in kaum einem europäischen Land eine wichtigere Rolle im privaten und öffentlichen Leben.
Keks und Jesus
Joanna drückt die Klingel. Eine beleibte Dame im Kittelschurz öffnet die Türe und empfängt sie herzlich. Sie bietet Tee an. Leute lachen im Garten, immer wieder huschen im Flur Menschen vorbei. Man hat das Gefühl, bei Freunden zu sein und nicht in einer Heilanstalt. Wenige Minuten später taucht Dominika auf, die Chef-Therapeutin des Zentrums. Sie ist um die 60, gepflegt, aber modern. „Ich freu mich, dass du da bist“, sagt sie. „Komm wir gehen hoch.“

Joanna wird in einen Behandlungsraum geführt. Wie das ganze Haus ist auch dieser Raum hell und freundlich eingerichtet. Sie nehmen in der flauschigen Sitzecke Platz über der ein Ölgemälde von Jesu hängt. Joanna bekommt zur Auflockerung Kekse serviert, bevor das Gespräch losgeht. Dominika bietet das Du-Wort an und gibt ihr den Spitznamen „Asia“.

Wie Schokolade
„In Polen ist es schwierig, wenn die eigene sexuelle Orientierung nicht der Norm entspricht. Aber in der Kirche bist du gut aufgehoben und wir können dir helfen. Zu uns kommen Leute, die unglücklich mit ihrer Sexualität sind, weil sie wissen, dass sie sündigen“, sagt sie mit einem mitleidigen Blick und umgreift das kleine goldene Kreuz um ihren Hals.
Hilfe bedeutet in diesem Fall Joanna von ihrer eigenen Weiblichkeit und im Idealfall dem anderen Geschlecht zu überzeugen. Wie das gehen soll? Ganz einfach ist das nicht, gibt Dominika zu. „Aber es ist ähnlich wie bei einer Schokoladensucht. Man will es immer haben, aber man kann lernen, darauf zu verzichten und vielleicht etwas anderes zu essen.“ Geschmäcker sind eben doch nicht verschieden, sondern eine Sache der Disziplin.

Bevor die Therapie überhaupt beginnen kann, gilt es, herauszufinden, wie es überhaupt zu der „Abweichung“ kommen konnte. Dominika stellt Fragen zur Familiensituation, will mehr über die Beziehung zur Mutter wissen. Mitleidig drückt sie Joannas Hand.  Dominika versteht ihr Geschäft in Seelen herumzuwühlen und ein Gefühl des Vertrauens und der Geborgenheit aufzubauen.
Temporär schwul
Nach einer Besprechung, die länger als eine Stunde dauert, bekommt Joanna ihre Diagnose: Temporäre Homosexualität, Stadium 1., Heilungschancen gut. „Eigentlich bist du gar nicht lesbisch“, beruhigt Dominika. „Kein Mensch wird so geboren.“ Und immerhin habe Joanna ja schon Erfahrung mit Männern gehabt. „Du warst schon einmal auf dem richtigen Weg und weißt, wie sich das anfühlt.“ Grund für Joannas Verirrung: Äußere Einflüsse und die Familiengeschichte. Dominika bietet an, den familiären Defekt in einer weiteren Therapie zu lokalisieren und anschließend zu behandeln.

Wie lange die Therapie dauert, lässt sie offen. Joanna solle ein Wochenende im Monat anwesend sein und sich zusätzlich über Skype therapieren lassen. „Am besten wäre es, wenn du gleich bleibst. Es gibt kostenlose Einzelzimmer. Du bist auf dem richtigen Weg, wenn du jetzt aber nach Wien zurückkehrst, ist die Gefahr zu groß, dich wieder zu versündigen.“ Zum Abschied drückt Dominika ihr noch das Buch „The Heart of Female Same-Sex Attraction“ von Janelle Hallman in die Hand. „Das ist das Buch, nach dem wir Frauen therapieren. Das wird dich in Wien unterstützen, deine Weiblickeit zu finden. Normalerweise verkaufen wir es. Ich borge es dir, aber nur, wenn du versprichst, es persönlich zurückzubringen. Lass uns in nahem Kontakt bleiben und uns im Sommer wiedersehen.“

Dominika wird Joanna bis zu ihrer Rückkehr in ihre Gebete einschließen, die jeden Donnerstag im Zentrum während einer eigenen Messe gemeinsam stattfinden.


Im Dorf angspuckt
Joanna ist nicht lesbisch und war für biber auf geheimer Mission im Sexorzismus-Zentrum. Patryk hingegen hat es ernst gemeint und verbrachte ganze zwei Jahre in Odwaga. Seine Eltern, die mit der sexuellen Orientierung ihres Sohnes nicht zurechtkamen, drängten ihn dazu.  Patryk stammt aus einem kleinen Ort 30 km entfernt von Lublin. „In Polen – und vor allem am Land – schwul zu sein, ist eine Schande für die ganze Familie. Das geht einfach nicht. Ich versuchte es geheim zu halten, aber irgendwann kam es doch raus.“ Der ganze Ort wusste davon. Patryk wurde auf offener Straße angepöbelt, angespuckt und sogar geschlagen. Die Leute sahen weg. Er ging zur Polizei, aber auch die war nicht bereit, einem Schwulen zu helfen. „Ich wusste überhaupt nicht, wie ich so weiterleben sollte.“ Also suchte er Zuflucht bei Odwaga, wo er mehr als zwei Jahre immer wieder lebte.

Sich weiblich kochen
Patryk fand hier Freunde und Gleichgesinnte. „Du machst alles zusammen und hast einen ganz normalen Alltag, wie in einer Familie. Du isst gemeinsam, betest dann gemeinsam, dass Gott dir die Kraft gibt, den Kampf gegen dich selbst zu gewinnen. Am Sonntag geht man in die Kirche. Die Therapien finden in Gruppen statt. Die Frauen kochen gemeinsam, um ihre Weiblichkeit zu entdecken, die Männer spielen gemeinsam Fußball. Man ist gemeinsam so wenig schwul wie möglich.“
Nach einiger Zeit brach er seine Therapie wegen Erfolglosigkeit ab und kehrte Odwaga den Rücken. „Ich habe sehr lange gebraucht zu verstehen, wie diese Manipulation unter dem Deckmantel der christlichen Nächstenliebe funktioniert. Sie nehmen dich mit offenen Armen auf. Du tust ihnen leid und sie wollen dir helfen dich selbst zu finden. Dabei verliert man sich immer mehr und mehr. Das ist auch nicht besser als angespuckt zu werden.“

Patryk lebt heute mit seinem Freund in Warschau und engagiert sich gegen Schwulenfeindlichkeit. All das, was ihm Odwaga versprochen hatte – Glück, Zufriedenheit, Nähe, Geborgenheit – hat er nun als bekennender Schwuler gefunden.

Danke und Respekt an Patryk für seine Insiderberichte aus der polnischen Homo-Hölle und danke an Joanna-Katrzyna W., dass sie sich für biber therapieren ließ und mit Frau Dominika Händchen hielt.


INFO:

Homosexualität in Polen
Gegenwärtig gilt Polen als eines der gegenüber Homosexuellen intolerantesten Länder Europas. Die Diskriminierung nahm vor allem zwischen 2005–2007 unter der Regierung der konservativ-populistischen Partei PIS (Partei für Recht und Gerechtigkeit) zu. Warschau, Krakau und andere polnische Städte untersagten Demonstrationen Homosexueller, ein Berufsverbot für Lehrer wurde angedacht.

Prügeltruppen
Die Allianz von Opposititonsführer Jaroslaw Kaczynski (PIS) mit der Liga polnischer Familien und sogar die rechtsradikale antisemitische und ausländerfeindliche Prügeltruppe der Allpolnischen Jugend macht öffentlich Stimmung gegen Homosexuelle. Sie seien schuld an Drogen, Aids oder Pädophilie. Die Einstellung der Regierung gegenüber Homosexuellen ließ ein Spannungsverhältnis zwischen Polen und der Europäischen Union entstehen.

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Kommentare

 

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das is echt krank was die da abziehen... *kopfschüttel*

 

der Report hat mich umgehauen. Bin immer wieder aufs Neue schockiert, was für einen Müll die katholische Kirche von sich gibt.

 

toller Artikel! +++

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