"Ich durfte alles, was rosa war oder irgendwie weiblich konnotiert war, nicht anfassen."

04. März 2015

Die transsexuelle Serbin Jelena über Prinzessinnenstäbe aus der Kindheit, syrische Liebschaften und die Blicke in den Wiener Discos.

Von Bahar Tugrul, Fotos: Susanne Einzenberger

Jelena
Susanne Einzenberger

Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass du im falschen Körper geboren wurdest?
Ich bin nicht darauf gekommen, es war für mich irgendwie normal, dass ich so bin. Als fünfjähriges Kind wollte ich einen Prinzessinnenstab aus dem Supermarkt haben. Mein Vater hat mich daraufhin mitten im Geschäft vor allen anderen Menschen angeschrien. Ein anderes Mal habe ich ein seidenes Nachthemd meiner Mutter angezogen. Mein Vater kam und schlug auf mich ein.

Hast du gewusst, warum?
Ich habe eins und eins zusammengezählt. Wer einen Penis hat, muss ein Mann sein. Umgekehrt haben alle Frauen eine Vagina. Am Balkan ist dieses Denken üblich.


Und du hast dann dieses Spiel weitergespielt?
Ich durfte alles, was rosa war oder irgendwie weiblich konnotiert war, nicht anfassen. Das galt für Barbie-Puppen, aber auch für meine Haarlänge. Um meinen Eltern zu gefallen, hatte ich bis zu meinem siebzehnten Geburtstag kahlgeschorene Haare, 3 mm maximal. Ich hatte mir selbst die Haare geschnitten, um meinen Eltern zu gefallen. Ich musste ja mit ihnen zusammenleben.

Wann kam der Bruch?
Zuerst hat es meine Mutter erfahren. Wir haben miteinander geredet und uns geeinigt, dass wir es Papa nicht erzählen. Ich schätze, mein Vater hat es vermutet. Er fragte mich immer, warum ich mich wie eine O-Ton "Schwuchtel" anziehe und Handtaschen trage und betonte immer wieder, dass serbische Jungs mit bunten Hosen nichts anfangen können.

Wann hat es dein Vater erfahren?
Er hat es in der Zeitung gelesen.

Wie das?
Ich wurde vor drei Jahren auf dem Matzleinsdorfer Platz zusammengeschlagen.

Aus welchem Grund?
Ich hatte wie so oft eine große Goschn. Ein paar türkische Jugendliche standen herum und bezeichneten mich als „Schwuchtel“. Damals hatte ich noch ein männliches Aussehen gepaart mit Pelzmantel, Handtasche und Stiefel. Ich erwiderte ihre gehässigen Kommentare mit „Heast, hoits die Goschn, ihr Hurenkinder!“ Das ließen sie nicht auf sich sitzen und verprügelten mich krankenhausreif. Das stand dann in der Zeitung. Und mein Vater wusste offiziell, dass sein Sohn eine Transe ist.

Hast du noch Kontakt zu deinen Eltern?
Nein, ich habe gelernt, alleine zu leben. Jedes Mal, wenn wir uns nach längerer Zeit wieder hören, wollen sie, dass ich als Junge wieder zu ihnen zurückkehren soll.

Beschreibe uns deine Gefühle, als du vom Mord an Hande erfahren hast.
Ich war geschockt und traurig zugleich. Da gibt es eine Verbindung, da man sich selbst als Betroffene sieht.

Hast du sie persönlich gekannt?
Ja, aber nicht gut, weil sie ja erst im Sommer nach Österreich gekommen ist. Optisch gesehen hat sie mir stark imponiert. Als sie mir vorgestellt wurde, konnte ich gar nicht glauben, dass sie eine Transe ist. Ich fragte mich: „Wo ist jetzt eine Transe?“. Hande hatte unglaublich weibliche Hände. Sie war ein Vorbild für mich, extrem lieb und süß. Wir wollten unbedingt mal zusammen auf die Piste gehen. Leider kam es nicht dazu.

Gehören solche Vorfälle zum Alltag der transsexuellen Menschen in Österreich?
In Österreich ist es seit langem der erste Vorfall. Aber in Serbien sind solche Übergriffe auf der Tagesordnung. In der Türkei auch, nach meinem Wissensstand.

Und wie ist es in der Wiener Community?
Seit ich optisch eindeutig weiblich bin, habe ich gar keine Probleme. Ich war vor kurzem in einer Jugo-Disco in Favoriten. Natürlich wurde ich von den Besuchern mit großen Augen angesehen und manche haben auch gekichert. Das stört mich aber nicht, solange ich ins Frauen-Klo darf.

Erzählst du den Männern, die du datest, offen, dass du früher selbst als Mann gelebt hast? 


Ach, das sag ich gleich am Anfang. Ich will, dass niemand enttäuscht ist. Bei einem syrischen Jungen, mit dem ich mich eine Zeit getroffen habe, tat ich das nicht. Als wir dann nach drei Wochen das erste Mal rumgemacht haben, griff er mir zwischen die Beine und musste sofort weg. Als ich ihn darauf angesprochen habe, meinte er, dass er gar nicht gewusst habe, dass es so etwas gibt. (lacht)

Wie oft wirst du angestarrt in der Öffentlichkeit?
Oft, aber auch weil ich so groß bin. Ich war vor zwei Wochen in St. Pölten mit Minirock und Glitzer-High Heels unterwegs. Es ist normal, dass da die Leute schauen. Ich tue es ja auch bei Blondinen, weil ich sie interessant finde und mich mit ihnen vergleiche. Ich schaue dann auf ihren Po oder ihre Brüste.


Jelena, wie hast du noch als Mann geheißen?
Das weiß niemand mehr.

Jelena die Transe
Susanne Einzenberger


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

INTERVIEW mit DR. KAUFMANN 

(AKH, Leitung Trans-Ambulanz)

Wie wird die Transsexualität in der Medizin interpretiert?

Man spricht heute eigentlich von Geschlechts-Dysphorie. Die Transsexualität ist sozusagen die ausgeprägteste Form der Geschlechts-Dysphorie. Es besteht ein Unbehagen, ein Missempfinden verursacht durch die Diskrepanz zwischen Geschlechtsidentität und dem Geburtsgeschlecht. 

Wie viele TS gibt es in Österreich? Wie viele Anfragen bekommen Sie im AKH? Wie viele davon können aufgenommen werden?

Das ist schwer zu beantworten. Ich kann Ihnen nur den Anteil jener Personen nennen, welche in der Transgenderambulanz im AKH in Betreuung sind und das sind  derzeit ca. 500 Betroffene (Mann zu Frau- UND Frau zu Mann- Transidente). Hier gibt es gibt zirka 100 Neuvorstellungen im Jahr. Eine Psychiatrische/Psychotherapeutische/Psychologische Diagnosestellung ist Voraussetzung für den Beginn der medizinischen Behandlungen, sowie auch der Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

Übernimmt die WGKK die ganzen Kosten der Behandlung?

Die Versicherungsträger übernehmen den größten Teil der medizinischen Behandlungskosten. Die gegengeschlechtliche Hormontherapie, sowie die geschlechtsangleichenden Operationen werden von den Krankenkassen übernommen. Diverse kosmetische Eingriffe wie z.B. Laser-Epilation der Barthaare müssen selbst bezahlt werden. Die Kostenübernahme z.B. für einen gewünschten Brustaufbau (eben weil die Hormontherapie nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat) ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt.

 

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Kommentare

 

voll interessant bahar! top interview

 

kann mich dem Lob nur anschließen. Durfte damals beim Interview dabei sein. Es war eines der aufschlussreichsten Interviews, so viele neue Perspektiven aufgezeigt bekommen. Und was ich ebenfalls mitgenommen habe: Es ist das schlimmste, wenn du Jelena als "er" oder "ihn" bezeichnest. Dagegen ist "Transe" a Lercherlschas.

 

Super Interview.! Danke Bahar! 

 

Ich finde es schrecklich, dass wir in einem Land leben, wo Menschen mit homosexueller Orientierung keine völlige gesetzliche Gleichstellung zugestanden wird. Noch immer ist eine eingetragene Partnerschaft nicht gleichzusetzen mit eine Ehe. Auch gibt es für diese Menschen kein Recht auf Familie. Weder können Schwule mit Hilfe einer Leihmutter eigene Kinder zeugen, noch ist ihnen eine Adoption erlaubt.
Vergleichen wir die österreichische Gesellschaft mit den meisten Herkunftsländer der hier lebenden Migranten so kann man sagen, dass Homosexuelle hier in Österreich ein gutes Leben haben. Jedoch müssen sie in vielen Lebensbereichen weiterhin mit Diskriminierung und Ausgrenzung kämpfen.
Ein großes Lob an Jelena! Ich bewundere ihren Mut!

 

Super Interview, echt berührend.  

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