Mama, wie geht es Ihnen?

29. April 2015

Siezen oder Duzen, das ist hier die Frage. Während es in Österreich undenkbar wäre seine Eltern mit „Sie“ anzusprechen, so ist es in Tadschikistan, Afghanistan oder im Iran ganz normal. Respekt gegenüber den Verwandten ist das höchste Gebot, das durch die Anrede „shoma“ eingehalten wird.

„Du Oma, kannst du meine Puppe kurz halten?“ höre ich ein Mädchen in der U-Bahn zu seiner Großmutter sagen. Ein eigentlich ganz normaler Satz, der mich zum grübeln bringt. Denn wenn  ich das gleiche in diesem Alter zu meiner persischen Großmutter gesagt hätte, hätte ich sie gesiezt. Und auch wenn mein Onkel zu Besuch kommt und wir uns bei dem täglichen Nachmittagstee an den herrlich duftenden Bakhlava erfreuen, sieze ich ihn, weil sich das so gehört.

Obwohl das in Österreich kaum vorstellbar ist, werden im Orient sämtliche Verwandte mit „Sie“ angesprochen. Das „shoma“ verwendet man in Tadschikistan, Afghanistan oder im Iran für alle, vor denen man großen Respekt erweisen muss, was so ziemlich bei jedem ist.  Gesiezt werden demnach alle Verwandten, die älter als jemand selbst sind, also Großeltern, Eltern, Onkel, Tanten und auch Cousinen, zu denen man einen großen Altersunterschied aufweist.

Mama, Papa, shoma?

Ich sieze zwar nur Onkel und Tante, aber Tanya erzählt mir, dass sie sogar ihre Eltern gesiezt hat. Mutter und Vater zu siezen ist ihr ganz normal vorgekommen und hat in keinster Weise zu einer Distanzierung geführt. Wenn in Österreich eine Person gesiezt wird, möchte man sich eher von ihr distanzieren, nicht jedoch im Orient.  „Wenn ich jemanden mit „shoma“ anrede, dann ist das ein Naheverhältnis, ein gegenseitiger Respekt ist gegeben“, sagt Tanya, „genauso liebe und respektiere ich meine Eltern, deshalb sieze ich sie auch.“

Wer wird dann doch geduzt?

Bei Freundinnen oder Kolleginnen ist das etwas anders, die werden geduzt. „Kannst du mir mal helfen?“ würde zwischen zwei Kolleginnen ganz normal sein, wenn aber der Chef oder die Chefin kommt, dann muss gesiezt werden. Klingt ganz logisch, ist in Österreich ja auch so (außer in der Biber-Welt, wo das alles etwas anders läuft).

„Du“ (Farsi: „to“) ist aber kein Wort, das im orientalischen Raum normalerweise benutzt werden würde. Wenn man jemanden duzt, dann nennt man ihn oder sie beim Namen, aber dass man explizit „du“ sagt, das kommt sehr selten vor. Am ehesten, wenn man schimpft. Beim Beschimpfen und Raunzen kann man das Du verwenden, denn es ist unhöflich und naja, einfach schirch. „Das war für mich so schwer, als ich hergezogen bin“, schildert Tanya ihre Erfahrungen, „Leute mussten mir immer wieder sagen, dass das per Du in Ordnung war.“ Für sie war es schwer verständlich, warum Menschen so ein „hässliches Wort“ als persönlich empfinden.

Sollten wir Vater und Mutter nun auch siezen? In Österreich war das ja üblich, nur ist das etliche Jahre her.  Im Musikunterricht haben wir gelernt, dass der kleine Wolfgang Amadeus, seinen Vater mit „Herr Vater“ anreden musste. Ich kann mir ja nicht vorstellen, dass wir wieder zurück zum Siezen kommen. Wenn es doch gelingen sollte, dann hätte das kleine Mädchen wahrscheinlich gesagt: „Werte Frau Großmama, könnten Sie freundlicherweise dieses Spielzeug einen Augenblick halten?“. Und das hätte mich dann wieder zum Nachdenken gebracht.

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Kommentare

 

Also ich fand es auch schon sehr speziell, als ich gesehen habe, dass türkische Freunde allen älteren Personen die Hand küssen und dann an die Stirn halten. Hat mich anfangs Überwindung gekostet das auch zu machen, weil es so ungewohnt ist. Der Respekt vor Älteren ist in anderen Kulturen nun mal stärker ausgeprägt als in Österreich. 

 

voll interessant, hab ich nicht gewusst! :) 

 

Cool!! Wir haben das auch in der Ukraine. Aber in der Kinderheit mochte ich das ändern..=) Deswegen sage ich jetzt meine Mutti "du" und papa "sie" ) Die Freunde aus anderen Teil der Ukraine wundern sich auch, wenn sie hören, wie ich mit dem Vater spreche) Aber ich like das sehr ihm per "Sie" sagen und trotzdem fühle seeeehr "nativ"

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