"Herr Kurz sollte sich um sein Studium kümmern."

24. August 2015

Vom Allgemeinarzt aus Simmering zur meist interviewten Person des Sommers. Neopolitiker Turgay Taskiran will Brücken bauen, rät Außenminister Kurz sein Studium zu beenden und spricht sich gegen das Adoptionsrecht für Homosexuelle aus.

Von Amar Rajkovic (Text), Marko Mestrovic (Fotos) und Sümeyra Akarcesme (Mitarbeit)


 

Biber: Die erste Reaktion meiner bosnischen Mutter auf die Gründung einer türkischen Partei in Wien: „Das geht ja los wie bei uns vor 25 Jahren, als einzelne Volksgruppen ihre Parteien gründeten.“ Steht uns ein Krieg bevor, Herr Taskiran?

Taskiran: Auf keinen Fall. Die „Türkenpartei“ gibt es nicht, weil wir alle Ethnien der Stadt Wien einbinden wollen. Zuerst waren wir eine „Türkenpartei“, dann eine „Moslempartei“ und zuletzt wurden wir als „Migrantenpartei“ bezeichnet. Das haben die Medien so verdreht.

Das heißt die Beschreibung „türkische Liste“ kam gar nicht von Ihnen?

Richtig. Ein Presse-Reporter hat mich angerufen und wollte wissen, ob es eine türkische Liste wird. „Nein“, sagte ich zu ihm, warum er das Gegenteil schrieb ist mir ein Rätsel. Medien hören nur das, was sie hören wollen.

Sie waren von 2009-2013 Präsident der UETD (Union of European Turkish Democrats), eines AKP nahestehenden Vereins, der auch den Auftritt von Recep Erdogan letztes Jahr in Wien organisierte. Das hinterlässt einen komischen Beigeschmack.

Während meiner Amtszeit als UETD-Präsident habe ich verschiedene Projekte durchgeführt. Wir arbeiteten zusammen mit der Wirtschafts- und Arbeiterkammer, Stadt Wien oder dem Innenministerium. Das Ziel war es, Brücken zu bauen und die Basis für den EU-Beitritt der Türkei zu schaffen. Auch Abgeordnete der CHP kamen auf unsere Einladung nach Wien, womit man sieht, dass es eine parteiunabhängige Sache war.

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Marko Mestrovic

Können Sie die Kritik der westlichen Welt gegenüber Erdogan nachvollziehen?

Nicht wirklich. Ich sehe, dass die AKP in der Türkei viel vorangetrieben hat. Nehmen wir ein Beispiel aus der Medizin: Das Gesundheitssystem in der Türkei hat sich in den letzten zehn Jahren gut entwickelt, was man am elektronischen Rezept sieht, das es in Österreich noch nicht gibt. Auch in Sachen Menschenrechte hat sich viel getan. Die kurdische Sprache ist anerkannt, kurdischsprachige Fernsehsender und Zeitungen wurden mit staatlicher Unterstützung eröffnet.

 

 

„Die Türkei braucht einen starken Erdogan.“

 

 

Erdogan geht mit seinen Gegnern nicht gerade zimperlich um. Braucht die Türkei, die mitten in der Entwicklung steckt, einen starken Mann an der Spitze?

In den 90ern und Anfang des neuen Jahrtausends ging es der Türkei richtig schlecht. Die AKP erreichte mit 30% die absolute Mehrheit, was dem dortigen Wahlsystem geschuldet ist. Ob die CHP (Republikanische Volkspartei) einen ähnlichen Aufschwung wie die AKP hinbekommen hätte, kann ich nicht beurteilen. Wichtig war die Alleinregierung Erdogans, weil dadurch viele Reformen umgesetzt werden konnten und nicht jeder jeden blockierte, wie in Österreich unter Schwarz-Rot. Die Türkei braucht einen starken Erdogan.

Wir machen einen Sprung in das Wien der Gegenwart. Wie beurteilen Sie die Arbeit von Rot-Grün in den letzten fünf Jahren?

Häupl hat ja keine schlechte Arbeit geleistet. Er ist aber schon zu lange im Chefsessel und wirkt ausgebrannt. Er möchte nicht mehr weiter machen, das sieht man auch. Und abgesehen von kleinen Erfolgen wie der Jahreskarte gab es keine positiven Akzente.

Die Jahreskarte ist das einzige, was Ihnen einfällt?

Ja. (lacht)

Und das Problem mit der Mariahilfer Straße. Die Anrainer beklagen sich, dass nichts ordentlich funktioniert. Ich fahre gerne mit dem Auto, aber das tue ich auf der Mariahilfer Straße nicht mehr.

Sie wollen ja auch nicht während Ihres Kaffees Abgase einatmen.

Nein. Das Konzept ist aber nicht Fisch und nicht Fleisch. Man hätte es gleich so wie auf der Kärtnerstraße machen können. Aber auf der Mariahilfer Straße weiß ich nicht, wo ich hinfahren darf mit dem Auto, wo parken?

 

 

„Ich bin hier geboren und wurde trotzdem nie als Österreicher akzeptiert.“

 

 

Integrationsminister Kurz unterstellt Ihnen mangelnde Integrationswilligkeit. Sie hätten sich, anstatt eine eigene Partei zu gründen, besser in die bestehenden eingliedern können.

Herr Kurz sollte mal genau lesen. Wir sind keine rein ethnische Liste. Es ist mein demokratisches Recht eine neue Bewegung zu starten, wieso muss ich Herrn Kurz um Erlaubnis fragen? Er sollte sich lieber um sein Studium kümmern.

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Marko Mestrovic

 

Die Gegend um den Quellenplatz in Wien Favoriten wird von BewohnerInnen als „Little Istanbul“ bezeichnet. Eine Parallelgesellschaft, in der man selbst ohne Deutschkenntnisse durchkommt. Finden Sie das förderlich für ein Miteinander in Wien?

Teilweise gibt es dieses Phänomen. Genauso wie es österreichische Parallelgesellschaften gibt. Menschen, die keinen Kontakt zu Migranten pflegen und trotzdem eine Meinung über sie haben.

Aber das Problem gibt es trotzdem, oder nicht?

Natürlich. Wir wollen damit aufbrechen. Man soll aufeinander zugehen und miteinander reden. Damit könnte man die Vorurteile wie „alle Türken sind Hilfsarbeiter und können kein Deutsch“ aus dem Weg räumen. Es gibt so viele türkische Akademiker, über die keiner redet.

Ein soziales Problem?

Ja. Und ein mediales. Letztens las ich „Türke vergewaltigt eine Frau.“ Da wird bewusst medial polarisiert.

 

 

„Wir schließen niemanden aus, wir umarmen alle.“

 

 

Apropos polarisieren: Haben Sie eine Antwort auf die Flüchtlingsfrage?

Ich finde man sollte die Menschen offen empfangen und ihnen die Chance geben, in das Leben einzusteigen. Viele von ihnen werden bleiben. So wie wir sie empfangen, so werden sie das Land in Erinnerung haben.

Wenn Sie Ungerechtigkeiten und Diskriminierung ansprechen, wirken Sie besonders betroffen. Geht Ihnen das so nahe?

Als Arzt muss ich mich gut in Menschen hineinversetzen können. Vieles habe ich persönlich erlebt. Ich wurde hier geboren und wurde trotzdem nie als Österreicher akzeptiert.

Das Gesetz, die Staatsbürgerschaft automatisch bei der Geburt (Jus soli) zu erhalten, würde da vielleicht helfen?

Das wäre eine gute Idee.

Sie sagten in einem Interview, Herr Strache habe einen weichen Kern. Wie ist das zu verstehen?

Herr Strache predigt Wasser und trinkt Wein. Er selber lebt nicht das, was er seinen Leuten sagt. Er hat auch Freunde mit Migrationshintergrund, wie ich gehört habe. Zuerst geht er mit ihnen was trinken und dann schimpft er über diese Leute. Viele Wähler sehen in Strache den mächtigen HC Strache. Reden wir über Heinz Christian. Ein Mensch, wie wir alle, der zu viel Angst sät und Hass predigt. So kommen wir nicht weiter.

 

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Marko Mestrovic

Sie würden mit Strache koallieren?

Wenn er sich ändert. Wieso sollte ich ihn ausschließen? Ich glaube aber nicht, dass sich Herr Strache überhaupt an einen Tisch mit mir setzt.

Was ist mit Wählern aus Ex-Jugoslawien?

Wir wollen Kandidaten aus dem Balkan, Lateinamerika, Südostasien, dem Baltikum aufstellen. Auch Österreicher sind dabei. Wir schließen niemanden aus, wir umarmen alle.

Und könnten HC Strache zum Bürgermeister machen.

Naja, die regierenden Parteien haben versagt. Ich möchte durch meine Arbeit Protestwähler gewinnen, die vorwiegend blau wählen. Ich bin mir 100%ig sicher, dass die FPÖ am 11. Oktober nicht zulegen wird.

Ich habe in einem Falter-Artikel gelesen, dass Sie selber im 10. Bezirk aufgewachsen sind und in ärmlichen Verhältnissen gelebt haben. Im selben Artikel sagen Sie, Sie werden ihre Tochter auf eine katholische Privatschule schicken. Wie ist das mit Ihrem islamischen Glauben vereinbar?

Ich bin ein gläubiger Moslem. Ich sehe das Schulsystem in der Schuld und schicke deswegen mein Kind in keine öffentliche Schule.

Warum glauben Sie, eine Privatschule ist besser für Ihr Kind?

Ich war einer der besten in der Klasse und meine Volksschullehrerin sagte wiederholt, ich würde es niemals auf ein Gymnasium schaffen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ich auf eine Hauptschule mit 100% Migrantenanteil gehen sollen. Die meisten meiner Bekannten, die dort waren, gerieten auf die schiefe Bahn. In einer Privatschule wird weniger zwischen den Ethnien unterschieden.

 

 

„Wären wir alle homosexuell, könnten wir uns nicht mehr vermehren.“

 

 

Was halten Sie vom Adoptionsrecht für Homosexuelle?

Ich bin dagegen. Es gibt ein bestimmtes Familienbild und biologische Voraussetzungen. Wenn ein Kind in einer homosexuellen Partnerschaft aufwächst, bekommt es ein falsches Bild vermittelt. Wären wir alle homosexuell, könnten wir uns nicht mehr vermehren.

Ich denke, diese Angst ist unbegründet. Nicht alle fühlen sich zum selben Geschlecht hingezogen.

Ich glaube, dass ein heterosexuelles Paar einem Kind viel mehr mitgeben kann.

Ein Mann kann nicht wie eine Frau denken und umgekehrt. Das sind zwei gleichberechtigte Teile, die aber andere Hormone und Kräfte haben.

Die Mutter stillt das Kind, sie gebärt das Kind. Die Schmerzen bei einer Geburt, das sind die stärksten Schmerzen, die ein Mensch ertragen muss. Das kann ein Mann nie verstehen.

 

Infobox:

Wer ist er:
Name: Turgay Taskiran
Beruf: Allgemeinarzt
Alter: 42
Geboren: Mödling, NÖ.
Besonderes: Möchte bei den Wien-Wahlen im Oktober mit „Gemeinsam für Wien“ in den Gemeinderat einziehen. 

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Kommentare

 

Herr Taskiran hat seine UETD Zielgruppe gut angesprochen. Kann mir schon vorstellen, dass er der SPÖ die paar ausschlaggebenden Stimmen wegnimmt, und dann Strache gewinnt und mit Taskiran koaliert - die gleichen Wertvorstellungen haben sie ja.

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