Glaubst du an die Evolution?

13. Februar 2017

Evolution Glaubenssache
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Wissenschaftlich ist sie ein Fakt. Trotzdem finden Wiener Schüler die Evolutionstheorie unlogisch. Sie kennen sie, aber glauben nicht dran. Warum?

Von Delna Antia

 

„Also das war so, erst waren da Bakterien und daraus hat sich nach und nach das Leben entwickelt.“ „Das nennt man Evolutionstheorie!“ „Ja, und der Mensch hat mit dem Affen gemeinsame Vorfahren!“ – Es ist Montagmorgen, 11 Uhr und die Schüler der 4c einer Mittelschule in Simmering kennen sich bestens aus in Punkto Evolution.

 

Während die 13-15-Jährigen mir eifrig und detailliert die Abläufe der Menschwerdung erklären, fällt immer häufiger ein Wort: „Angeblich.“ Die Evolutionstheorie runterbeten heißt nämlich, wie ich sehr bald merke, noch lange nicht auch an sie zu glauben. Ein Mädchen meldet sich: „Es gibt noch eine andere Theorie. Nämlich die, dass Gott die Welt erschaffen hat.“ Und was denkst du, frage ich sie. „Weil ich an Gott glaube, an die Gott-Theorie.“ Ich frage die gesamte Klasse, welche Theorie sie für richtig hält – und bin dann doch überrascht. Obwohl sich alle bestens mit Charles Darwin auskennen, heben nun 11 von 16 Schülern ihren Zeigefinger bei „Gott!“ Sie glauben an die Kreation – wie es im Fachjargon heißt – nicht an die Evolution. Gott habe die Welt, alle Lebewesen und den Menschen erschaffen. Und um das gleich klarzustellen, in der Klasse sitzen muslimische, serbisch-orthodoxe und katholische Kinder.

 

Seit der türkische Bildungsminister mit dem Vorhaben Ende Januar Schlagzeilen gemacht hat, Darwins Evolutionstheorie aus den Lehrbüchern zu streichen, regte sich jenseits des Bosporus große Empörung. Verständlich, die Evolution gilt hier zu Lande als Fakt. Sie ist der Grundstein der Biologie, weder alternative Tatsache, noch Glaubensfrage. Nun, wirklich? Im Klassenraum in Simmering scheint sie genau das zu sein. Als wäre man in einem ökumenischen Gottesdienst zeigen sich die Schüler den „Andersgläubigen“ gegenüber respektvoll und tolerant. „Ich glaube an die Evolution, er hier an Gott – und wir sind trotzdem beste Freunde“, erklärt mir ein Bub und zeigt auf seinen Sitznachbarn, der katholisch ist.

 

BAKTERIEN, AFFEN, ÄGYPTER

Die Schüler haben letztes Schuljahr die Evolutionstheorie im Biologieunterricht durchgenommen. Wie war das, etwas zu lernen, was einem nicht richtig vorkommt, will ich wissen. „Wir hören zu und machen die Schularbeiten. Aber wir glauben nicht dran.“ Das Wissen um Darwins Theorie möchten sie trotzdem nicht missen. Im Gegenteil, bei diesem Punkt sind sich alle einig. „Jedem sollte beigebracht werden, wie die anderen denken!“ Das Verbot von Wissen fänden sie schlecht. Und außerdem spricht ja auch vieles für die Theorie. Ein Bub meint: „Die Evolutionstheorie hat Lücken und Gott füllt sie.“

 

Die größte Lücke ist für die Schüler die Frage nach der Erschaffung. Dass ein Urknall einfach so passiert, erscheint den Kids nicht vorstellbar. Jemand muss für den Urknall gesorgt haben. Am „unlogischsten“ finden sie die Sache mit den Bakterien. Die Vorstellung, dass der Mensch vom Affen abstammt und das mit den Ägyptern. Ägypter? Ja, die Pyramiden hätten schließlich schlecht vom Mensch allein gebaut werden können – für dieses Weltwunder muss es einen Plan von oben gegeben haben. Von Gott. „Oder von Aliens!“, wirft ein Bub ein – ernsthaft. Dann sprechen wir von Adam und Eva und von Dinosauriern. Ein serbisch-orthodoxes Mädchen erzählt, dass der Mensch schon zusammen mit den Dinosauriern auf der Welt gelebt hat. „Kann nicht sein!“, wird sie von einer muslimischen Klassenkameradin unterbrochen, „dann hätten Dinosaurier die Menschen aufgefressen.“ Allerdings glaubt diese Kritikerin an die Schöpfungstheorie in 7 Tagen, und in dieser „Logik“ müssten Dinos und Menschen gleichzeitig auf der Welt gewesen sein. Wir verstricken uns.

 

Was kindisch klingen mag, trifft den Kern der Sache. So ist die „Bakterien“-Frage, also die Frage, wie die erste Zelle entstanden ist, tatsächlich noch nicht komplett nachvollziehbar, wie mir der Evolutionsbiologe Bert Hobmayer von der Universität Innsbruck erklärt. An die chemische Evolution müsse man letztlich „glauben“. Zudem ist die Vorstellung, dass Menschen und Dinosaurier gleichzeitig gelebt haben, für stolze 40 Prozent der Amerikaner wahr. Die Kreationisten glauben nicht an den Urknall, sondern daran, dass Gott vor 6000-10000 Jahren die Erde und den Menschen erschuf. Es wurde sogar ein Museum errichtet, ein Millionen-Projekt, das als „Disneyland für Darwin-Gegner“ die „Kreation“ samt Arche Noah und Dinos erlebbar macht. Anti-Darwin ist also kein „muslimisches“ Phänomen.

 

EVOLUTION, EIN "WAHLFACH"

Am Nachmittag treffe ich mich trotzdem mit zwei jungen Muslima. Die beiden Wienerinnen beginnen sich bei den Jungen Neos zu engagieren. Eine studiert Ernährungswissenschaften und lernt gerade für eine Chemieprüfung, die andere ist Jus-Studentin. Die Evolutionstheorie besitzt für beide keine Logik. „Wie eine Boeing 747 vom Menschen erschaffen wurde, so muss Gott die Welt erschaffen haben.“ Trotzdem lehnen sie die Verbannung von „Darwin“ ab. „Wenn wir Wissen abschaffen, ist das ein enormer Rückschritt!“ Und: „Man sollte die Wahl haben!“

 

Die Wahl lässt Melanie Hofer ihren Schülern. Am Abend telefoniere ich mit der Biologielehrerin der Simmeringer Klasse, die ich besucht hatte. „Ich frage die Kinder, wie sie das sehen. Ich nehme ihnen nicht den Glauben an Gott.“ Vielmehr sei es für Hofer wichtig, dass die Schüler von Darwin gehört haben und darüber Bescheid wissen, wenn sie älter werden. Den kindlichen Glauben will sie nicht zerstören, sie würde es für falsch halten, die Evolutionstheorie als das einzig Richtige zu präsentieren. Sie selbst sei natürlich Naturwissenschaftlerin, für sie ist Darwin ein Fakt.

 

Und das ist die Evolution auch! Sie ist kein Wahlfach. Naturwissenschaftlich gesehen ist sie nicht einmal mehr eine Theorie, sondern eine Tatsache. Darwin gilt als bewiesen, und das seit 150 Jahren, so Hobmayer. Schülern die Wahl zu lassen und den Glauben nicht zu zerstören, ist ein verständlicher Ansatz. Aber angesichts von Tendenzen, wo Wissenschaft durch Glaube eingeschränkt wird, müsste man sich vielleicht auch eingestehen: Wahrheit kann wehtun. Und schließt Glauben nicht zwangsläufig aus.

Womit wir wieder bei den Bakterien wären.

 

Nachgefragt beim Experten:

„Die Evolution ist ein Fakt“

Evolutionsbiologe und Universitätsprofessor Bert Hobmayer, Universität Innsbruck

 

Herr Prof. Hobmayer, stammt der Mensch vom Affen ab?

Wir stammen natürlich nicht von den heutigen Schimpansen ab. Aber wir besitzen gemeinsame, affenähnliche Vorfahren. Aus diesen Vorfahren entwickelten sich in einer Linie die Schimpansen, in einer anderen die Menschen. Man kann sich das wie Verzweigungen in einem Baum vorstellen.

Charles Darwin gilt als Begründer der Evolutionstheorie. Ist sie auch heute gültig?

Ja, das ist sie! Man weiß nur heute viel mehr. Charles Darwin begründete um 1860 gemeinsam mit Alfred Russel Wallace die moderne Evolutionstheorie. Ihre Prinzipien der geschlechtlichen und natürlichen Selektion und Anpassung konnten bis heute, mehr als 150 Jahre später, nie widerlegt werden. Evolution ist auch heute das verbindende Konzept aller biologischen Teilfächer.

Wie sehen Sie die Entwicklung in der Türkei und dass auch bei österreichischen Schülern die Evolution eine „Glaubenssache“ ist?

Für mich ist das eine Katastrophe! Glauben kann Menschen auch daran hindern, selbst Verantwortung zu übernehmen. Ich weise daher in meinen wissenschaftlichen Einführungen stets auf die Unterscheidung zweier fundamental unterschiedlicher Dinge hin: Wissen und Glauben. Beides muss man trennen, aber es muss sich nicht widersprechen. Ich kenne auch Evolutionsbiologen, die an Gott glauben - abstrakt.

Glauben Sie an Gott?

Nein. Was aber nicht heißt, dass ich nicht an eine (natürliche) Ordnung des Lebendigen glaube.

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Kommentare

 

Ich finde das unglaublich traurig zu hören. Die Evolutionstheorie ist ja nicht nur wegen der biologischen Artefakte interessant sondern weil sie einfach extrem viel darüber aussagt wie unsere Welt generell funktioniert.

Das deutet für mich darauf hin dass die Unterrichtsmaterialien anscheinend nicht gut genug sind.

Man kann ja gerne glauben dass Gott diese praktische Evolutionstheorie geschaffen hat dank der jetzt quasi alles von selber läuft. Aber dass die Evolutionstheorie genauso funktioniert wie es beschrieben ist und dass sie auf diesem Weg alles erklärt sollte klar sein.

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