„Ich warte auf Sie und habe meine Waffe bereit“

02. Mai 2014

Ulrike Lunacek ist Spitzenkandidatin der Grünen für die EU-Wahl am 25. Mai. biber erzählt sie, warum sie für Journalisten keine Geschichte ist, wie Wind und Sonne Putin unter Druck setzen können und warum sie wegen ihrer sexuellen Orientierung mit Steinen beworfen wurde.

 

Wie wollen Sie das Interesse der Bürger an der EU wecken?

Europa ist unser Zuhause, und so wie in einem Zuhause, ist es oft so, dass einem nicht immer alles gefällt, aber dass man grundsätzlich schon gerne da ist. Im Europa-Parlament zählt jede Stimme, auch bei der Wahl. Es ist wirklich so, dass oft Entscheidungen mit einer Stimme mehr oder weniger fallen. Wir hatten vor drei Wochen eine Abstimmung, die ging 311 zu 311 aus. Wenn wir eine grüne Stimme mehr gehabt hätten, es sind ja 3 Mandate für die Grünen bei diesen Wahlen erreichbar, dann wären Umweltverträglichkeitsprüfungen bei der Erweiterung eines Atomkraftwerkes verpflichtend. In Österreich haben wir zum Glück keine AKWs, aber in Tschechien, in Slowenien oder in Ungarn. Wir haben hier um eine Stimme verloren, das heißt, Umweltverträglichkeitsprüfungen sind jetzt nicht verpflichtend.

 

Sie sind als Spitzenkandidatin im Wahlkampf noch nicht so aufgefallen…

Als ich vor knapp fünf Jahren als EU-Abgeordnete begonnen habe, hat mir einer der österreichischen EU-Korrespondenten in Brüssel gesagt: Wenn Sie ein Problem haben mit der Bundesregierung oder mit der eigenen Partei, dann ist das eine Geschichte für die Zeitung. Die FPÖ hatte den Konflikt um Mölzer. Zum Glück ist er gegangen, hätte er schon längst machen sollen. Das war also auch eine Geschichte wert. Ich habe sehr viel gearbeitet die letzten Jahre im Europa-Parlament, habe mir hier einen guten Namen gemacht. Nur mache ich keine andere Politik als die österreichischen Grünen. Insofern haben viele Journalisten empfunden, dass das keine Geschichte ist.

 

Stichwort Rechtsruck: Viele Wähler fühlen sich bedroht durch steigende Arbeitslosigkeit, durch Konkurrenz aus dem Ausland, durch Zuwanderung. Was sagen Sie diesen Menschen?

Das Problem ist, dass manche Politiker vermitteln, dass das so ist, auch wenn das nicht stimmt. Mit Argumenten dagegen anzukommen, ist schwer. Die eigentliche Bedrohung sind ja nicht die Migranten und Migrantinnen. Hier spielt natürlich die Globalisierung eine entscheidende Rolle. Daran ist aber nicht nur die EU schuld. Da ist die falsche neoliberale Politik der letzten Jahre schuld. Die FPÖ und Le Pen in Frankreich, die wollen alle aus dem Euro raus und aus dem Schengen raus. Aus dem Euro raus würde in Österreich bedeuten, 200.000 Arbeitsplätze zu verlieren. Was Jugendarbeitslosigkeit betrifft: Wir haben in Österreich ein mieses Bildungsproblem. Aber das ist nicht EU-verursacht, das macht die Bundesregierung alleine.

 

Immer wieder ertrinken im Mittelmeer Menschen auf dem Weg in die EU. Trägt Österreich eine Mitverantwortung dafür und sollten wir einen Teil dieser Flüchtlinge auch aufnehmen?

Das ist für mich der Sündenfall der europäischen Asylpolitik. Dass ein Flüchtling nur in dem Land Asyl ansuchen kann, wo er oder sie zum ersten Mal Fuß auf europäischen Boden setzt. Dass in der EU eine Abschottungspolitik vorherrscht, eine Festung Europa, wo man einfach Menschen ertrinken lässt. Nach Berechnungen sind seit 2000 nahezu 23.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Und da schäme ich mich oft für das, was in Österreich aber auch europaweit nicht geschieht. Es wäre sinnvoll, einen Verteilungsschlüssel innerhalb der EU zu haben. Dass man schaut, wie viele Flüchtlinge sind wo. Wie hoch ist das jeweilige BIP in diesen Ländern bzw. die Wirtschaftskraft? Und dass man dann aufgrund dieser Kennzahlen die AsylwerberInnen in der EU solidarisch verteilt und nicht die Länder mit EU-Außengrenzen unverhältnismäßig belastet werden.

 

Wir haben einen anderen Konflikt in Europa – die Krimkrise. Jetzt ist es aber so, dass Putin nicht unbedingt auf Diplomatie und rasche Lösungen setzt. Wie soll die EU mit der Krise in der Ukraine umgehen?

Ich finde ich, dass die EU schon früher mit Wirtschaftssanktionen auf Putins Politik hätte reagieren sollen.

 

Also hätte Russland bestraft werden sollen?

Die europäische Politik muss hier sowohl Sanktionsmöglichkeiten nützen, als auch Dialogangebote machen. Zu den Sanktionen: Es gab keine einheitliche Position innerhalb der EU. Entweder wir machen das gemeinsam oder nicht. Das andere, das sich leider auch nicht von einem Tag auf den anderen ändern lässt, ist die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas. Das schwächt sowohl Österreich als auch die Europäische Union. Deswegen wäre es für mich und die Grünen wichtig, endlich diesen Ausstieg aus Öl und Gas zu schaffen. Das mag jetzt etwas polemisch klingen, aber Sonne und Wind kann Putin nicht ausschalten.

 

Wo hört Europa für Sie auf?

Vor allem der Balkan – ich bin Berichterstatterin für den Kosovo im EU-Parlament – hat für mich Priorität was die Erweiterung betrifft. Was die Türkei betrifft, vertreten ich und die Grünen die Position, dass der Beitrittsprozess offen gehalten werden muss. Das Problem jetzt ist die Richtung, die Erdogan mit seiner Politik einschlägt. Die geht nämlich zurück, zurück in eine Türkei, die auch jene Menschen in der Türkei und in der EU, die für einen EU-Beitritt der Türkei sind, sicher nicht haben wollen.

 

Unter den jetzigen Bedingungen ist ein Beitritt nicht möglich?

Jetzt geht es sicher nicht.

 

Wann soll denn Serbien in die EU?

Ich nenne da keinen konkreten Termin. Die pro-europäische Art wie Premier Vucic auftritt und redet, macht mich zuversichtlich. Aber das wird sicherlich noch einige Jahre dauern.

 

Zu einem ganz anderen Thema: Ehe für homosexuelle Menschen. Kroatien als jüngstes EU-Mitglied hat eine Volksbefragung durchgeführt mit einem eindeutigen Nein. Sollte es auf EU-Ebene Menschen mit homosexueller Orientierung möglich sein zu heiraten?

Grundsätzlich ja. Das Problem ist, dass das Kompetenz der Mitgliedsstaaten ist. Ich habe einen Bericht im EU-Parlament gemacht, der einfordert, dass die EU einen Aktionsplan gegen Homophobie und gegen Diskriminierung von Homosexuellen vorlegen muss, so wie es solche Pläne auch gegen die Diskriminierung von Roma oder von Menschen mit Behinderung gibt. Ich erlebe hier einen starken Druck von Seiten religiöser Fundamentalisten, vor allem von Christen aus Spanien und anderen Staaten. Ich habe vor der Abstimmung über 40.000 Mails bekommen, meine Webseite wurde gehackt. Viele Kollegen und Kolleginnen wurden ebenfalls unter Druck gesetzt. Religiöse Fundamentalisten, egal von welcher Religion, haben sich dieses Thema als ihr ideologisches Kampffeld ausgewählt. Dennoch ist es mir gelungen, mich durchzusetzen, mein Bericht wurde mit großer Mehrheit angenommen.

 

Wurden Sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung schon gemobbt oder diskriminiert?

Ich beantworte das gerne. Ich rede auch darüber, dass ich selbst lesbisch bin. Es glauben ganz viele Leute, dass sie keine Lesben und Schwule kennen. Ich sag immer: „Sie kennen ganz viele. Sie wissen es nur nicht!“ Da ich öffentlich dafür einstehe, bekomme ich natürlich Hassmails bis hin zu Drohungen von wegen „Ich warte auf Sie und habe meine Waffen schon bereit“. Natürlich alle anonym. Als ich auf der Regenbogenparade in Bratislava auf der Bühne stand, wurden Steine auf die Bühne geworfen. Es gibt also durchaus Leute, die mich jetzt nicht schätzen wegen meiner sexuellen Orientierung. Das ist aber ihr Problem und nicht meins.

 

Sie und die NEOS sprechen teilweise die gleiche Zielgruppe an. Haben Sie Angst, dass Ihnen Stimmen an die NEOS abhanden kommen?

In der Politik Angst zu haben, hat keinen Sinn. Ich finde es innenpolitisch durchaus sinnvoll, dass es die NEOS gibt. Es macht bei den nächsten Nationalratswahlen endlich den Weg für andere Mehrheiten jenseits von Schwarz-Blau und einer großen Koalition frei. Europapolitisch gibt es einzelne Themen, wo es einen Gleichklang gibt: bei Bildungsfragen, Menschenrechtsfragen oder bei Homosexuellen-Themen. Aber zum Beispiel in der Frage der Regulierung der Finanzmärkte haben die NEOS eine völlig andere Position als wir Grüne. Die NEOS sind auch gegen Frauenquoten für Führungspositionen. Das sehe ich völlig anders. Solange die Situation so ist, dass Frauen nicht auf allen Ebenen in Politik und Wirtschaft gleich vertreten sind, braucht es Quoten. Die meisten NEOS kommen von der ÖVP, hier sehe ich also eine größere politische Auseinandersetzung.

 

Von Marina Delcheva, Dudu Gencel und Christoph Liebentritt (Fotos)

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