Reumannplatz - die Reisepässe bitte

Manche sagen, wenn der 66a zum Reumannplatz fährt, muss man, wie beim Grenzübertritt, den Pass bereit halten – man reist ja schließlich in Klein-Istanbul ein. Ich habe 20 Jahre lang gerne dort gewohnt. Und natürlich ist das mit dem Pass eine grenzenlose Übertreibung. Manche sagen zu „meinem“ Bezirk, er sei „durchsetzt von Ausländern“ – ich sage, er ist weltoffen: Man brauch nicht teuer zu verreisen, um mit fremden Kulturen in Berührung zu kommen. Ganz schnell gewinnt man neue Bekannte, die dich aufgebracht fragen: „Hast du ein Problem, oida?“ Abgesehen vom vorschnellen „Körperkontakt“ mit manchen Bewohnern, ist das eine Welt, die sich lohnt, entdeckt zu werden: Friseur um 22 Uhr? Kein Problem. Einkaufen am Sonntag? Kein Problem. Handyladekabel kurz vor dem Abflug in den Urlaub um vier Uhr in der Früh? Alles machbar. Sicher irritiert es anfangs, wenn man an der Quellenstraße entlangspaziert und in vielen Geschäften und „Süpermärkten“ Waren findet, deren Namen man weder lesen, noch aussprechen kann. Das war nicht einfach als Migrant aus Ungarn: ich war zwar Ausländer, konnte aber weder mit den Jugos, noch mit den Türken auf einer anderen Sprache als Deutsch sprechen. Umso größer war die Motivation, schnell und gut Deutsch zu lernen. Ich war auch in keiner Clique: für die Österreicher war ich der Ausländer, für Türken und Jugos eine Art Schwabo – kein echter, aber so etwas ähnliches.

Aus Favoriten zu kommen, bedeutete automatisch „Respect“ von meinen Schulkollegen

Für viele ist es eine „oarge“ Gegend, in der man auf sein Handtascherl schauen muss und nicht mit Fremden sprechen darf. Für mich ist es meine Heimat, ich bin hier groß geworden. Es ist ein Bezirk, der architektonisch und kulturell alles hat; beschauliche Häuschen in Rothneusiedl, Glas-und-Stahl Hochhäuser am Wienerberg oder 100-jährige Gebäude im historischen Arbeiterviertel. Viele Orte haben eine besondere Bedeutung: Ich kann mich noch gut an meinen ersten Kuss mit meiner großen Liebe in der Unterstufe in der Otto-Probst Siedlung erinnern. Ach, Petra! Die Schneeballschlacht auf der Ettenreichgasse nach der Schule. Gröhlen von Schlachtgesängen in der vollbesetzen Bim aus dem Horr-Stadion kommend. Oder das Heimspazieren um vier Uhr in der Früh von der N6 Haltestelle auf der Triester Straße – durchgehende U-Bahn gab‘s damals noch nicht, liebe Kinder. Da hieß es dann: Nur die Harten kommen in den Garten bzw. nach Hause. In der Schulzeit waren wir oft beim Tichy am Reumannplatz oder beim „Mäci“ am Wienerberg – je nachdem, ob Winter oder Sommer war, und ob die Schule gerade interessant war. Auch meine erste Fahrstunde auf der Laaer-Berg Straße werde ich nie vergessen, die im dichten Nachmittagsverkehr geendet hat. Den Soundtrack dazu lieferten die Möchtegern-Rennfahrer, die nichts besseres zu tun hatten, als einen überforderten Fahrschüler anzuhupen.

Ob jemand ein Idiot ist, hängt nicht unbedingt davon ab, wo er herkommt.

Bei so vielen verschiedenen Menschen kommt es manchmal zu Reibereien. Aber mal ehrlich: wo nicht? Ob jemand ein Idiot ist, hängt nicht unbedingt davon ab, wo er herkommt. Das ist vielleicht die wichtigste Lektion, die ich in 20 Jahren Favoriten gelernt habe. Und jetzt wandere ich aus. Direkt in den 20. Bezirk. Nach dem Zehnten in den Zwanzigsten? Ist es dort nicht doppelt so arg? Ich kann‘s nur hoffen.

Favoriter Flair in der biber-Akademie

Also, wie ihr es sicher schon geahnt habt, bin ich einer der neuen Stipendiaten an der biber-Akademie und teile mit Euch meine Erlebnisse aus der "hood"