Afghanistan, Sachertorte & Kickboxen

12. Juli 2017

Ismail Noori ist aus Afghanistan geflüchtet, kein volles Jahr in Österreich und hat bereits eine fixe Lehrstelle im Hotel Sacher und ist Staatsmeister im Kickboxen. Die unglaubliche Geschichte eines jungen Mannes mit eisernem Willen.

Von Jelena Pantić und Ayham Youssef, Foto: Marko Mestrović


Ich habe zu meinem Vater gesagt: ‚Papa, ich will nach Österreich!’ Er fragte mich, wo das sei. Ich sagte: ‚Ich zeig es dir, wenn ich dort bin.‘” Zu dem Zeitpunkt ist Ismail Noori 17 Jahre alt und macht sich nach Österreich auf, um dem Grauen Afghanistans zu entkommen. Circa acht Monate später hat er eine fxe Lehrstelle als Koch im Hotel Sacher und ist Staatsmeister im Kickboxen. Aber eins nach dem anderen.

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Ismail ist 18, Afghane, Hotel Sacher-Lehrling und Staatsmeister im Kickboxen! (Foto: Marko Mestrovic)

Küchenhilfe mit 9
Bereits mit sieben Jahren hat Ismail begonnen als Putzkraft in einem Restaurant zu arbeiten. Mit neun bat er seinen Chef, ihn in der Küche aushelfen zu lassen. Ismail hatte seinen Traumjob gefunden: Er wollte Koch werden. Dass er im Jahr 2016 über 2500 Menschen im Flüchtlingsheim Traiskirchen bekochen wird, hat er sich damals nicht ausmalen können. Heute kocht der 18-Jährige in kleinerem Rahmen, hauptsächlich für seine „österreichischen Eltern“ und deren 11-jährigen Sohn, mit denen er gemeinsam im fünften Bezirk lebt und die ihn tatkräftig unterstützen. Im Interview spricht Ismail oft von seiner Mutter und seinem Vater, stellt nach unserer Verwirrung aber klar, dass das seine „österreichische Mutter und sein österreichischer Vater” seien.

Vor ihnen äußert Ismail den Wunsch im Hotel Sacher zu arbeiten. Also macht sich seine Austromama Felicitas mit ihm ans Werk, eine Spitzenbewerbung zu schreiben. Zur Recherche gehen die beiden direkt ins Hotel Sacher, Kaffee und Sachertorte kurbeln schließlich den Schreibfluss an. Die Vorbereitung hat gefruchtet: Ismail überzeugt beim Bewerbungsgespräch und darf ab August eine fxe Lehrstelle in seinem Traumbetrieb antreten. Die nächsten drei Jahre wird er dort ausgebildet und erhofft sich „ein toller Koch zu werden”. Deutsch kann Ismail auf B2 Niveau und Österreich zugehörig fühlt er sich sowieso: „Ich fühle mich nicht als Flüchtling, ich bin Österreicher.”

Der Co-Autor AYHAM YOUSSEF ist 25 und seit sechs Jahren als Fotograf tätig.
In seiner Heimat Syrien war sein Spezialgebiet Kriegsfotografe und er hat auch zwei Dokumentarflme gedreht. Seit 2015 ist er in Österreich und absolviert nun sein Arbeitspraktikum bei der Tageszeitung Der Standard.

Meister trotz Asthma
Ismails zweite große Leidenschaft ist das Kickboxen. Fünfmal die Woche für je zwei Stunden trainiert er im Shinergy Studio im achten Bezirk mit seinem Trainer Ronny. Und das sehr erfolgreich, denn seit zwei Monaten darf er sich stolz mit dem Titel „Staatsmeister im Kickboxen” schmücken. Insgesamt kann “Isi” bereits drei Goldmedaillen und einen Gürtel sein Eigen nennen - und das ohne eine einzige Niederlage. Ismail kämpft in der Gewichtsklasse von 60 Kilogramm, da es bei der Meisterschaft aber keinen Kampfpartner für ihn gab, kämpfte er in der 65kg Klasse und siegte.

Umso beeindruckender macht den Sieg die Tatsache, dass Ismail an Asthma leidet, das in manchmal in die Knie zwingt. Deshalb verlässt er das Haus nicht ohne sein Asthmaspray. Beim Kämpfen hat er schon eine Strategie ausgearbeitet: zwei Minuten kämpfen, 15 Sekunden Pause, in der Pause zwei bis drei Mal inhalieren. Dann klappt es auch mit der Staatsmeisterschaft.

Asylbescheid & Freundin
Doch manchmal holt die dunkle Seite der Realität den Überflieger auf den Boden. Seine Familie ist immer noch in Afghanistan, seine Mutter hat Ismail seit zwei Jahren nicht gesehen. Seinem jüngsten, zweijährigen Bruder ist er noch nie begegnet. Von seinen Eltern und seinen fünf Geschwistern getrennt zu sein, fällt ihm schwer, aber er hält sich über Wasser: „Ich bin stark und ich schaffe das.” Der Sport hilft ihm dabei. Am liebsten würde der Kickboxer für den Titel des Europameisters oder sogar Weltmeisters antreten. Was ihn davon abhält ist die Tatsache, dass er keinen fixen Asylbescheid hat und daher nicht ausreisen darf. Beim Kickboxen lässt Ismail alle seine Aggressionen raus und wirkt dadurch sehr sanftmütig und ausgeglichen.

„Zu Hause und auf der Straße bin ich kein Kickbox-Staatsmeister, sondern einfach nur Ismail. Ich würde niemandem außerhalb des Ringes auch nur ein Haar krümmen. Ich bin mit dem Krieg aufgewachsen, ich habe viele Tote gesehen. Ich habe genug von Krieg und Gewalt”, erzählt er ruhig. Neben seinem fxen Asylbescheid fehlt Ismail eigentlich nur noch eine Freundin. Welcher Religion oder Nation sie angehört, sei ihm völlig egal, sie soll nur nett sein und ein großes Herz haben. Spätestens nach der Lehre hätte Ismail gerne eine Freundin, „aber vielleicht passiert es auch früher, wer weiß das schon.” ●


 

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