Ausgeschuftet: Wenn Mama in Pension geht.

17. Oktober 2017

Ein Leben lang hat sie hart gearbeitet. Damit ist nun Schluss. Über Mamas Pensionsantritt und meine Ängste:

Von Alexandra Stanic

Foto: Privat
Foto: Privat

Meine Mutter als Teenagerin, kurz bevor sie nach Österreich auswandert.

„Ich habe heute verschlafen“, schreibt mir meine Mutter auf WhatsApp. „Das erste Mal in 32 Jahren.“ Es ist Mamas vorletzter Arbeitstag, ein neues Kapitel in ihrem Leben beginnt: ihre Pension. Wenn wir über den Ruhestand reden, fühlt es sich an, als wäre sie in Aufbruchsstimmung. Während sie aufgekratzt und fröhlich ist, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Spulen wir zurück: Es ist das Jahr 1978. Meine Mutter ist 17 Jahre alt und gerade in Österreich angekommen. Sie hat Jugoslawien ohne finanzielle Mittel, Sprachkenntnisse und Zukunftsperspektive verlassen und ist dringend auf der Suche nach einem Job. Mama stammt aus ärmlichen Verhältnissen, mit ihrer Lehre als Schneiderin kann sie die Familie finanziell nicht genug unterstützen. In den ersten Wochen kommt sie in der Einzimmer-Wohnung einer entfernten Verwandten unter. Danach schlägt sie sich mit diversen Jobs durch: Tellerwäscherin, Köchin, Haushaltsgehilfin. Nach sieben Jahren erhält sie eine 40-Stunden Anstellung in der Druckerei eines Glücksspielkonzerns. Hier wird sie bis zu ihrer Pensionierung arbeiten.

Mama schlägt sich in den ersten Jahren in Österreich mit diversen Jobs durch: Tellerwäscherin, Köchin, Haushaltsgehilfin.
Mama schlägt sich in den ersten Jahren in Österreich mit diversen Jobs durch: Tellerwäscherin, Köchin, Haushaltsgehilfin.

Neben ihrer Vollzeitbeschäftigung eröffnet sie zusammen mit meinem Vater zuerst ein Wirtshaus, dann ein Café. Mama steht morgens um 4:30 auf, verlässt um 15:30 ihren Arbeitsplatz und fährt danach direkt ins Gasthaus. Am Wochenende arbeitet sie im Café. In dieser Zeit sehe ich sie nur selten, trotzdem fehlt es mir nie an Liebe und Unterstützung. Meine Eltern haben meinen Schwestern und mir von klein auf vermittelt, dass man hart arbeiten muss, wenn man etwas erreichen möchte. Die beiden gingen mit gutem Beispiel voran und beschwerten sich nie über ihre Jobs. Papa leistete jahrzehntelang Nacht- und Schwerstarbeit in einer Fabrik und arbeitet oft zwei Schichten nacheinander. Die Folgen der vielen Arbeit bleiben nicht unbemerkt: Mama leidet an schwerer Migräne und kämpft gegen schlimme Rückenschmerzen. Papa hatte zwei Schulteroperationen.

Aus dem Familienfotoalbum
Aus dem Familienfotoalbum

Spricht meine Mutter heute über ihre Arbeit, betont sie trotzdem immer wieder, wie gut es ihr gegangen ist. „Mein Chef war mir gegenüber sehr fair“, erzählt sie dann. „Es war nie ein Problem, wenn ich früher nach Hause musste, wenn du oder eine deiner Schwestern Grippe hatten.“ Was ich als selbstverständlich empfinde, findet meine Mutter besonders zuvorkommend. Nie habe ihr jemanden auf die Finger geschaut oder sich darüber beschwert, wenn sie mit mir telefoniert. Eine ihrer Arbeitskolleginnen zählt heute zu ihren besten Freundinnen. Wenn sie und ich uns über meinen Job unterhalten, merke ich, dass sie viel von sich in mir erkennt. Sie wiederholt dann oft, dass ich mir nicht zu viel vornehmen soll, dass Papa und sie geschuftet haben, damit ich mir keine Gedanken um meine Zukunft machen muss. Dass ich viel reisen und nicht zu viel übers Geld nachdenken soll.

Meine Mutter heißt Cvijeta. Nur Österreicher nennen sie Suzi.
Meine Mutter heißt Cvijeta. Nur Österreicher nennen sie Suzi.

Suzi

Bei Mamas Pensionsfeier gibt es Rostbraten, Schnitzel, Kartoffelsalat und diverse Wurst- und Aufstrichsorten: Österreichischer geht es wohl kaum. Zum ersten Mal lerne ich all ihre Arbeitskolleginnen kennen und sehe, wo sie all die Jahre gearbeitet hat. Mehr als 30 kommen, um sich von Mama zu verabschieden. Da wäre die junge Frau mit den vielen Tattoos und Piercings, von der meine Mutter mir erzählt hat und mit der sie sich – trotz der vielen sehr offensichtlichen Unterschiede - blendend versteht. Dann noch ihre hochschwangere Kollegin, die in Karenz ist und nur ihretwegen noch einmal in die Firmenkantine gekommen ist. Auch ihre Chefs sind anwesend und stoßen mit meiner Mutter an. Alle nennen sie Suzi und obwohl ich von ihrem Spitznamen weiß, wundere ich mich darüber. Meine Mutter heißt Cvijeta. Nur Österreicher nennen sie Suzi. Am Abend nach der Feier breche ich in Tränen aus. Ich mache mir Sorgen um meine Mutter, ihr Pensionsantritt geht mir näher als ich zugeben möchte. Mit einem Schlag wird mir die Vergänglichkeit meiner Eltern bewusst. Ich frage mich, ob Mama, die ihr Leben lang gearbeitet hat, glücklich werden wird. Wie wird ihr Alltag aussehen? Wird sie sich langweilen? Werden meine Eltern mehr streiten? Wird sich unsere Mutter-Tochter-Beziehung verändern?

Ich suche nach Antworten bei jenen, deren Eltern kürzlich in Pension gegangen sind. Eine von ihnen ist Nada. Als ich sie treffe, fürchte ich mich vor ihren Erzählungen. Am Tag zuvor hatte ich über Mamas Pension auf Instagram geschrieben, woraufhin mich eine Userin darüber informierte, dass ihre Mutter einen Monat nach Pensionsantritt verstorben sei. Aber anders als gefürchtet, lacht Nada viel, während sie von ihrem Vater spricht. „Papa war 40 Jahre lang Diplomkrankenpfleger und hat seinen Job sehr gerne ausgeübt“, so die 21-Jährige. Deswegen setzen ihm die ersten Monate in der Pension zu. Er nimmt nicht nur an Gewicht zu, er vereinsamt auch. Weil der Kontakt zu den Arbeitskollegen fehlt und zu Hause nur Arabisch gesprochen wird, verlernt er zusehends die deutsche Sprache. Es fällt ihm schwer, alte Gewohnheiten abzulegen. „Einmal bin ich um vier Uhr nachts aufs Klo gegangen und habe meinen Vater in der Küche angetroffen, wie er sich Eier zum Frühstück gemacht hat“, erzählt die Studentin. „Weil er oft Frühschichten geschoben hat, konnte er nicht länger schlafen.“

 

Bastelprofi mit grünem Daumen

Mit der Zeit legen sich die Schwierigkeiten. Nadas Vaters größtes Hobby ist das Basteln und Gärtnern. „Er hat einen Werkzeugschuppen auf unserem Balkon gebaut und verwertet jede noch so kleine Kleinigkeit“, so Nada. „Zuletzt hat er aus einer alten Satellitenschlüssel einen riesigen Blumentopf und aus einem Kühlschrank ein Gewächshaus gebaut.“ Als sich eine seiner Töchter einen Hund anlegt, wird er aktiver und spaziert täglich mindestens eine Stunde lang. „Er zählt jetzt auch nicht mehr zu den Tschuschen im Gemeindebau, sondern hat sich dank des Hundes mit den Nachbarn angefreundet“, so die 21-Jährige. „Er redet sogar im Wiener Dialekt.“ Zudem sorge Nadas Mutter dafür, dass er sich nicht langweilt. „Alles, worauf sie keine Lust hat, erledigt mein Vater.“ Dazu gehört der wöchentliche Einkauf, den Müll rauszubringen und die Post abzuholen.

Finanzielle Schwierigkeiten haben die beiden nicht: „Vier von fünf Kindern sind außer Haus, deswegen bleibt am Ende des Monats mehr Geld über als früher.“ Anders als bei Nada ist die finanzielle Lage von Zorans Eltern nicht so einfach. „Sie mussten den Gürtel enger schnallen“, erzählt der 32-Jährige. „Mein Vater war schon immer sehr sparsam, aber seit seiner Pension noch mehr.“ Trotz der schwierigeren finanziellen Lage seiner Eltern beruhigen mich Zorans Worte, weil er strahlt, während er von seiner Mutter und ihrem neuen Lebensabschnitt spricht. „Sie ist regelrecht aufgeblüht“, so der gebürtige Bosnier. „Seit sie letztes Jahr in Pension gegangen ist, ernährt sie sich gesund, reist viel und ist viel aktiver.“ Täglich gehe sie Strecken zu Fuß und hat viel Bewegung in ihren Alltag integriert. Für seine Mutter wäre es früher undenkbar gewesen, länger als zwei Stunden im Flieger zu sitzen. „Letztes Jahr ist sie mit ihrer besten Freundin nach New York geflogen und hat das erste Mal einen anderen Kontinent besucht.“ Durch ihre neue Lebenseinstellung verliert sie an Gewicht, klassisch bosnische Gerichte bereitet sie nun ayurvedisch zu. Sie widmet ihren Freundinnen viel Zeit und setzt sich neue Ziele. „Als Nächstes hat sie sich vorgenommen, Spanisch zu lernen“, erzählt Zoran. Für ihn hat sich mit der Pension seiner Eltern einiges verändert. „Ich denke schon an Dinge, die ich früher verdrängt habe“, sagt er. „Nachlass und Familienplanung zum Beispiel oder wie die Pension bei mir aussehen wird.“ Zudem verschieben sich die Prioritäten. „Man wägt ab, worauf es im Leben wirklich ankommt.“ 

Ähnlich wie ich ist Zoran wohlbehütet aufgewachsen. „Ich würde fast schon sagen, dass wir verhätschelt wurden“, so der 32-Jährige. „Meine Eltern haben alle Schwierigkeiten immer fern von meinem Bruder und mir gehalten.“ 1993 flüchten seine Mutter, sein Bruder und er wegen des Jugoslawienkriegs nach Österreich, sein Vater bleibt vorerst in Bosnien-Herzegowina. Die ersten Jahre arbeitet sie als Tierpflegerin, obwohl sie Wirtschaft fertig studiert hat. Erst Jahre später findet sie einen Job in einer Steuerberatungskanzlei. „Dort wurde sie gemobbt, dadurch ist sie depressiv geworden“, so Zoran. „Mama hat viel mitgemacht und der Familie zu Liebe durchgehalten.“ Umso schöner sei es für ihn, sie im Ruhestand so glücklich zu sehen.

Mama kommt aus ärmlichen Verhältnissen, langsam baut sie sich ein Leben in Österreich auf.
Mama kommt aus ärmlichen Verhältnissen, langsam baut sie sich ein Leben in Österreich auf.

Nach den beiden Gesprächen breitet sich Erleichterung in mir aus. Ich vermisse Mama plötzlich und rufe sie nach dem Treffen mit Zoran an. Für diesen Artikel muss ich sie auch noch fragen, in welchem Jahr sie ihren Job in der Druckerei bekommen hat. „Am 29. November 1985“, antwortet sie wie aus der Kanone geschossen. „Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern.“ Wenn ich heute eines der täglichen Telefonate mit meiner Mutter führe, frage ich nicht mehr, wie es ihr in der Arbeit geht, sondern wie sie ihren Tag gestalten wird. Jedes Mal, wenn ich ihre Stimme höre, wird mir warm ums Herz. Auch als ich sie zuletzt anrufe: Ich erkenne wie glücklich sie ist. Am Wochenende war sie mit ihrer besten Freundin im Spa in Ungarn, während wir telefonieren, passt sie auf meine einjährige Nichte Eva auf. „Du weißt doch, dass du dir um deine Mama keine Sorgen machen brauchst, nicht wahr?“, fragt mich Mama am Ende unseres Gesprächs. „Ja, das weiß ich“, antworte ich. Das weiß ich jetzt wirklich.

 

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