Bosnischer Journalistenalltag

24. Juli 2013

Derzeit schreibe ich für eine Tageszeitung in Sarajewo und habe somit direkten Einblick in den bosnischen Journalistenalltag. Meine Kollegen gehen recht offen mit ihrer Misere um und nehmen kein Blatt vor den Mund. So haben sie mich sogar gebeten, über die hier herrschende Situation zu schreiben.

 

Šuti i trpi

Der Durchschnittslohn meiner Kollegen für 38,5 Stunden/Woche beträgt 450KM - umgerechnet etwa 225€. Einen großen Unterschied macht es, ob man für einen Privatsender arbeitet oder von der Stadt Sarajewo finanziert wird. Noch viel wichtiger ist aber, ob dein Onkel Abteilungsleiter oder gar Direktor ist.  Nur in diesem Fall kann man mit "zusätzlichem Taschengeld" rechnen und erhält sein monatliches Gehalt regelmäßig. Ansonsten passiert es schon einmal, dass das Gehalt für Juli im Oktober eintrifft.

 

Den Arbeitgeber interessiert es recht wenig, wie monatlich anfallende Kosten bezahlt werden. Die Angestellten sind zwar versichert, aber um das Sozialsystems Bosniens jetzt zu erklären,.... Die Standardausrede für das verspätete Eintreffen des Gehaltes lautet übrigens "kriza" - Krise. Man sollte nicht oft nach seinem ausstehendem Gehalt fragen, auf diese Art und Weise macht man sich nur unbeliebt. Hier lautet die Devise: Šuti i trpi, zu deutsch: sei still und leide.

 

Büroausstattung aus dem Steinzeitalter

Die Computer in den Redaktionen sind so alt, dass sie sich bei mehr als zwei geöffneten Programmen aufhängen und man gute zehn Minuten warten muss, bis man weiterarbeiten kann - was bei Tagesjournalismus zehn Minuten zu viel sind. Windows Office wäre Luxus und den kann sich nur der Direktor leisten, der einen niegelnagelneuen VW Passat fährt . Also bedient man sich mit einem billigen Abklatsch von Word.

 

Pro Rubrik gibt es mehrere Telefone aus dem Jahre 1980, man kann aber nur eine Leitung verwenden. Konkret heißt das: Einer telefoniert, die anderen warten. Auch wenn um 14:45 alle Geschichten druckfertig sein müssen.

 

Die verrauchte Erinnerung an den Krieg

Einschusslöcher zieren die Wände und ein Großteil des Gesamtgebäudes wird nicht betreten, da Einsturzgefahr herrscht. Viele Treppen dürfen nicht benutzt werden und auf der Rückseite des Gebäudes fehlen Fenster. Der Komplex könnte als leerstehende Fabrik durchgehen. Da ungelogen etwa 85 Prozent der Journalisten Kettenraucher sind, fühlt man sich nach einem Arbeitstag wie nach einem Diskobesuch.

"Einmal haben sie versucht, uns das rauchen in der Redaktion zu verbieten, aber das haben sie schnell wieder sein lassen", erklärt mir mein Abteilungsleiter Safet. "Wenigstens das können sie uns nicht nehmen", beschreibt er den kleinen Sieg der Arbeitnehmer.

 

Fotografen, ein seltenes Gut

Wer glaubt, dass hinter jeder Geschichte Fotos von professionellen Fotografen stecken, der irrt sich. Die kommen nur dann zum Einsatz, wenn "etwas Wichtiges" ansteht. Also drückt man den Journalisten eine Canon G7 in die Hand und hofft auf das Beste. Die Fotos sehen dementsprechend aus.

 

Motivation durch Demotivation

Für den Fall, dass man die Funktion oder den Namen eines Politikers falsch schreibt oder sich vertippt,  gibt es Sanktionen mit Abzug von bis zu 30 Prozent des ohnehin schon viel zu geringen Gehaltes. übrigens versucht man die Mitarbeiter auch "zu motivieren, in dem man sie demotiviert" - mit Gehaltskürzungen. Letzen Monat waren es 12 Prozent. Lob, Belohnungen oder positive Kritik? Das passiert höchstens dann, wenn man der stellvertretenden Direktorin sagt, wie schön ihre wöchentlich anders aussehenden Haare glänzen oder wie toll ihr das rosane Kleid steht.

 

Pepsi statt Coca Cola

Obwohl der Direktor ein so viel beschäftigter Mann ist , findet er trotzdem Zeit, seine Mitarbeiter zu kontrollieren. Ist die Frisur eine Spur zu ausgefallen, die Hose zu alt oder der Gang ein klein wenig schlampig? Er nimmt sich für jedes vermeintliche Problem Zeit. Auch um die Getränke seiner Angestellten sorgt er sich. So hat er im Treppenhaus ein Verbot ausgehängt, in dem beschrieben wird, dass nur Getränke der "Sarajevska pivara" - der Brauerei aus Sarajewo, gestattet sind. Also statt "Coca Cola" "Pepsi", statt "Cappy" "Swity" und bitte nur Wasser der Marke "Sarajevska" - eine Mitarbeiterin hat es einmal gewagt, "Kiseljak" in die Redaktion zu schmuggeln. Bei Wiederholung des Vergehens droht ihr Gehaltsabzug. Warum das ganze Trara? Der Besitzer der Tageszeitung ist auch Besitzer der Brauerei.

 

Den Beruf zur Berufung machen? Bullshit.

Die erste Frage, die mir gestellt wurde, war: Wieso? Wieso bist du hier? Als ich ihnen erklärt habe, dass Journalismus genau das ist, was ich machen will, haben sie nur den Kopf geschüttelt. "Wenn ich jetzt um das gleiche Geld in einer Bäckerei anfangen könnte, würde ich es tun", sagt Safet. "Die einzige Voraussetzung wäre, dass ich mein Geld regelmäßig bekomme und nicht über 38,5 Stunden/Woche arbeite."

 

Die meisten meiner Kollegen arbeiten hier, weil sie keine andere Möglichkeit haben. Alle haben sie motiviert begonnen und ihr Herzblut in diesen Beruf gesteckt. Geblieben sind zynische Gesichter, die die Mindestanzahl an Zeilen abtippen und eine Kippe nach der anderen rauchen. In absehbarer Zeit stehen Kündigungen auf dem Programm. Der Direktor war aber so gütig, um bis nach dem Fastenmonat Ramadan zu warten. Warum die Mitarbeiterkürzung? Kriza.

Kommentare

 

hört sich echt schlimm an! finde ich total super, dass du uns daran teilhaben lässt! weißt du, was ich mir uur wünschen würde? einen blog von dir oder amra über euren (arbeits)-alltag unten!

 

Toller Blog! 

 

Oslobodjenje! Oslobadjanje ostalih od svega (hrane, radnickih prava, pa cak i stranih limonada), uzimanje sebi sve i svega za pravo. Zivjela buducnost uz Oslobodjenje, Front Slobode je davno vec nestao. :) I nek neko kaze direktoru da uskoro izlazi novi pasat, bitno je.

 

 

super blog! voll interessant zu lesen

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