Die Diskriminierung als politische Waffe im Kampf der Kulturen

15. September 2012

 

Die Diskriminierung als politische Waffe im Kampf der Kulturen

Eran Yardeni

 

Über den Film “Innocence of Muslims” wurde schon alles gesagt. Von der Dummheit des Drehbuches über das niedrige Niveau des Sounds bis hin zur Unzufriedenheit der gesamten Filmbesetzung, die sich „vom Produzenten ausgenutzt fühlte“. Aber genau vor diesem Hintergrund soll man sich auch fragen, wie es sein kann, dass die Mitglieder einer gleichwertigen Kultur sich angesichts einer solchen peinlichen Produktion nicht mehr beherrschen können, so dass sie wie verhext immer wieder in Richtung der amerikanischen Botschaft marschieren müssen, um ihre verlorene Würde durch orgasmische Gewaltausbrüche wieder zu gewinnen?

Diese Frage interessiert leider keinen. Alle befassen sich mit dem Film und mit der Frage, ob der Produzent, Sam Bacile, überhaupt existiert und ob er jüdisch ist oder nicht. Dass einer der Grundwerte der Demokratie, die Meinungsfreiheit, angegriffen wird, scheint nicht so wichtig zu sein.

 

Man kann sich nur vorstellen, wie die Ritter der Meinungsfreiheit reagieren würden, wenn die Juden wegen jedes antisemitischen Clips auf YouTube eine Botschaft in die Luft sprengen würden. Dann würde sich keine Sau mit der Qualität des Sounds befassen. Eher würden die Moralvertreter, die taz- und die Spiegel-Leser über die Brutalisierung der Religion durch den Zionismus diskutieren. Viele würden dann sagen, was sie heute verschweigen: Es geht um einen kulturellen Wahn, um einen kollektiven Minderwertigkeitskomplex, welcher durch extatische Ausbrüche kompensiert wird.

Vor unser aller Augen geht eine der Hauptkulturen der Welt Bankrott, und wir bestehen auf unserem Recht, dafür schuldig zu haben. Relativ zu diesem kulturellen und gesellschaftlichen Gau, dem Untergang der islamischen Welt auf der einen Seite und den Schuldkomplexen der westlichen Welt auf der anderen, sind die Fragen nach der echten Identität des Produzenten nebensächlich und irrelevant.

 

Diskriminierung, lernen wir, wird in bestimmten Kulturen zur metaphysischen Grundlage, zu einer grundsätzlichen Position dem Leben gegenüber, zum kosmischen Zustand. Deshalb soll man endlich die Vielfältigkeit der Menschheit funktionell betrachten und analysieren. Unterschiedliche Kulturen suchen sich unterschiedliche politische Strukturen aus, um ihr kollektives Leben zu regulieren und zu gestalten. Das ist kein Betriebsunfall der Geschichte sondern eine bewusste kollektive Entscheidung. Die Diskriminierung als Selbstdarstellung ist eine politische Waffe im Kampf der Kulturen.

 

Die Tragödie der westlichen Welt ist, dass sie hartnäckig mitmacht. Während die arabische Welt sich schon Jahrzehnte in der Zone des politischen Absurden bewegt, während diese Gesellschaften akzeptierten Maßstab sowohl geistig als auch physisch am Rande des Abgrundes tanzen, wenn sie noch nicht schon abgestürzt sind, kann die westliche Welt ihre tief verankerten Schuldgefühle nicht loswerden. So kommt es dazu, dass während der Mob die amerikanischen Botschaften attackiert und einen Botschafter ermordet, man bei uns über die jüdischen Wurzeln des Filmproduzenten diskutiert.

Das „Sich-Geißeln“ ist schon lange zum europäischen Nationalsport geworden und wird mit einem religiösen Eifer praktiziert. Auch in diesem Fall.

 

 

http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_diskriminierung_als_politische_waffe_im_kampf_der_kulturen/

 

Kommentare

 

Interessante Sichtweise.

 

Interessant finde ich, dass der Schreiber Ideen von Samuel Huntington aufgreift, einen Kulturkampf zwischen "dem Islam" und "dem Westen" herbeibeschwört. Die Vorstellung des clash of civilization a la Huntington hat schon damals als Legitimationsbasis für einen Einmarsch in den Irak gedient. Wurde außerdem schon zur Genüge wissenschaftlich zerlegt und widerlegt.  Die Welt ist sicherlich nicht einfach gestrickt, wie sie der Schreiber gerne hätte.

Hier ein interessanter Artikel zu den Ereignissen http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-09/islam-video-ausschreitungen

 

Und dieses Rumgeheule vom ach so armen Westen, herzzerreissend.

 

 

 

 

Verteidigen wir doch das Recht, andere beleidigen zu dürfen!

FRANZ SCHELLHORN (Die Presse)

 

Der skandalöse Film „Innocence of Muslims“ zeigt ziemlich eindrucksvoll, was die Europäer unter Meinungsfreiheit verstehen. Viel ist es nicht.

 

Irgendwie darf man heilfroh darüber sein, dass Hillary Clinton nicht Außenministerin der (noch imaginären) „Vereinigten Staaten von Europa“ ist, sondern jene der „Vereinigten Staaten von Amerika“. Nachdem nämlich in der libyschen Hafenstadt Bengasi ein aufgebrachter Mob dem Leben von US-Botschafter Christopher Stevens und drei seiner Mitarbeiter ein jähes Ende gesetzt hatte, weil ein aus den USA stammender Videoclip die Gefühle aller Muslime verletze, fragte Clinton: „Wie konnte das in einem Land geschehen, dem wir zur Befreiung verholfen hatten? In einer Stadt, die wir vor der Zerstörung bewahrt hatten?“

 

Die für Europa relevante Frage wäre freilich nicht, warum sich einige Libyer so undankbar gegenüber ihren Befreiern aus den USA zeigen. Interessant zu wissen wäre, wie es eigentlich möglich ist, dass nach dem Anschlag nicht reihenweise europäische Spitzenpolitiker und namhafte Intellektuelle aufgestanden sind, um das Recht auf Veröffentlichung des provokanten Anti-Islam-Streifens mit aller Vehemenz zu verteidigen.

In aufgeklärten Rechtsstaaten gibt es nämlich nicht nur den Schutz vor Diskriminierung, sondern auch so etwas wie ein geschütztes Recht, beleidigen zu dürfen. Es heißt zwar nicht so, sondern nennt sich Freiheit der Kunst oder Recht auf „Meinungsfreiheit“. In westlichen Zivilisationen kollidiert dieses Recht erst dann mit dem Respekt vor religiösen Gefühlen, wenn das die Gerichte so sehen.

 

Das scheint in Europa gern vergessen zu werden. Wäre der besagte Anti-Islam-Streifen also auf dem Gebiet der Europäischen Union gedreht worden, hätte sich die diplomatische Elite des Kontinents nicht lange mit Grundsatzfragen aufgehalten. Sie wäre umgehend zur Tat geschritten, um Abbitte für ihre etwas großzügige Auslegung des Rechts auf Meinungsfreiheit zu leisten.

 

So, wie das auch zu Beginn des Jahres 2006 der Fall war, als sich ganz Europa dafür entschuldigte, dass die dänische Zeitung „Jyllands Posten“ ihren Lesern zwölf Mohammed-Karikaturen vorgesetzt hatte. Ohne auch nur eine der Zeichnungen je zu Gesicht bekommen zu haben, setzten sich weltweit Millionen von Muslime in Bewegung, um gegen den Angriff auf ihre religiösen Gefühle zu protestieren und dänische Botschaften abzufackeln. Das politische Europa ließ – wie auch die Mehrheit der Medien – Verständnis für die spontanen Zornesausbrüche erkennen. Statt eine flächendeckende Veröffentlichung der Zeichnungen in ganz Europa einzufordern. Denn nur so hätten sich die Betrachter selbst ein Bild darüber machen können, wie geschmacklos oder harmlos die Karikaturen denn nun wirklich waren.

 

Auch heute werden die Gewalttäter in Europa verstanden. So kommentierte die „Süddeutsche Zeitung“ den Mord an drei US-Diplomaten am gestrigen Freitag folgendermaßen: „Es ist müßig, hier nach Tätern und Opfern zu unterscheiden. Diesmal ging die Provokation von amerikanischen Extremisten aus, islamistische Fanatiker haben sie angenommen und nicht minder radikal zurückgezahlt.“ Auf so etwas muss man erst einmal kommen. Das wäre so, als wäre man im Fall einer geglückten Ermordung von Salman Rushdie zu dem Schluss gekommen, dieser hätte sich ja wohl denken können, dass seine „Satanischen Verse“ bei seinen Glaubensbrüdern zu etwas radikaleren Reaktionen führen könnten.

 

Während man also in München die wahren Täter von Bengasi längst entlarvt hat, verkriecht sich das intellektuelle Europa hinter einer ästhetischen Debatte, indem die künstlerische Ausführung des Anti-Islam-Films besprochen wird. Als ob es da etwas zu besprechen gäbe. Der Film ist indiskutabel. Ästhetisch wie inhaltlich. Und die Sache wäre ja wohl nicht besser, wenn sich dahinter ein künstlerisches Meisterwerk versteckte, oder? Entscheidend ist nicht, ob der Streifen gut oder schlecht gemacht ist. Entscheidend ist, dass Europa zu Beginn des dritten Jahrtausends kaum eine Gelegenheit verstreichen lässt, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einer höchst fragwürdigen politischen Korrektheit zu opfern. Oder wie schon Mark Twain sagte: „Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen – vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.“

Dabei war Mark Twain noch nicht mal Europäer. Sondern Amerikaner.

 

 

http://diepresse.com/home/meinung/kommentare/leitartikel/1290522/Verteidigen-wir-doch-das-Recht-andere-beleidigen-zu-duerfen?_vl_backlink=/home/meinung/kommentare/leitartikel/index.do

 

 

 

Das Recht auf Provokation

 

Die Ausschreitungen in der islamischen Welt sind von Fanatikern mit politischer Agenda geplant worden. Darauf in Deutschland mit Zensur zu reagieren wäre grundfalsch. Denn Freiheit ist unmöglich ohne das Recht auf Provokation. Ein Kommentar.

Von Tobias Kaufmann

 

Es ist Zeit, die Muslime in der Welt in Schutz zu nehmen. Seit Tagen erleben wir gewalttätige Ausschreitungen in islamischen Ländern, die Menschenleben kosten. Doch dies sind geplante Akte der Zerstörung – geplant von Fanatikern mit politischer Agenda. Was wir eben nicht erleben, ist ein Aufruhr der Muslime. Nicht einmal 0,001 Prozent von ihnen sind an den Ausschreitungen beteiligt, die „Demonstration“ zu nennen obszön wäre. Wir haben es nicht mit Menschen zu tun, die ihrer Wut spontan Luft machen, weil der Prophet Mohammed im Internet beleidigt worden sein könnte.

Ohne diese Feststellung sitzen wir zerstörerischen Missverständnissen auf. Ein Missverständnis ist es anzunehmen, Muslime seien nicht in der Lage, rational zu denken – weswegen jedes Video, in dem ein Mohammed auftaucht, automatisch zu einem empörten Mob führen muss. Den meisten Muslimen gehen solche Videos ebenso an der Tagesordnung vorbei wie den meisten Katholiken die Karikatur des Papstes mit besudeltem Gewand auf einer Satirezeitschrift.

 

 

Terror und Hass als "Markenkern"

 

Um extreme Empörung zu schüren, braucht es Menschen, die zu extremer Empörung bereit sind oder von ihr leben. In der islamischen Welt gibt es Gruppen, die jeden Anlass nutzen oder schaffen, um Eigenwerbung durch Terror und Hass zu betreiben – weil dies ihr „Markenkern“ ist, wie es in der Werbesprache heißt. Solche Leute kann man nicht beschwichtigen, man kann sie nur bekämpfen.

Deshalb ist es ein Missverständnis, wenn deutsche Politiker glauben, sie könnten durch Zensur die freie Welt vor Angriffen von Verbrechern bewahren. So fiele unser Markenkern der Gewalt zum Opfer. Freiheit ist unmöglich ohne das Recht auf Provokation. Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit leben davon, dass man sie auch dann verteidigt, wenn der Gegenstand, um den es geht, diese Verteidigung nicht wert ist. Das heißt nicht, dass man Kunst oder Meinungen nicht kritisieren dürfte. Im Gegenteil. Brisant wird es aber, wenn Prinzipien der freien Gesellschaft aus Opportunität oder Angst infrage gestellt werden. Zumal es nichts nützt – Fahnen und Botschaften brennen ja trotzdem.

 

 

Welchen Preis zahlen wir morgen?

 

Es ist eine Stärke der von den Fanatikern so gehassten Gesellschaften, dass deren Reaktionen gemäßigt ausfallen. Der tödliche Angriff auf den Botschafter eines Landes hätte jahrhundertelang zum Krieg geführt. Heute wird von Washington bis Berlin differenziert zwischen Terroristen und dem restlichen Land. Und es wird diskutiert, ob wir genug Rücksicht auf die Gefühle anderer nehmen. Das ist gut.

 

Doch es gibt keinen Grund, Rücksicht zu nehmen auf Verblendete, die vom Hass leben. Es schadet unserer Glaubwürdigkeit, wenn wir über die Grenze der Selbstverleugnung hinaus überlegen, wie man Angriffen auf Botschaften vorbeugen könnte. Heute ist es das Verbot eines dummen Videos – welchen Preis zahlen wir morgen? Würden wir auch Ausländer ausweisen, damit Nazi-Terroristen keinen Vorwand für Anschläge mehr haben?

Wenn Menschen in einer offenen Gesellschaft friedlich zusammenleben wollen, müssen sie zu Differenzierung und Gelassenheit bereit sein. Wir wissen, dass Muslime nicht dumm und gewalttätig sind, nur weil dies auf eine Bande Fanatiker zutrifft. Und wir wissen, dass man Aufruhr und Mord mit der Zumutung eines miesen Videos nicht entschuldigen kann.

 


 

http://www.ksta.de/debatte/kommentar-das-recht-auf-provokation,15188012,17277472.html

 

 

Meinungsfreiheit: Gleiches Recht für alle

 von Malte Lehming

 

Aus Angst vor einer Eskalation ist die Bundesregierung bereit, Freiheitsrechte zu beschneiden. Die Debatte um den Mohammed-Film "Unschuld der Muslime" macht deutlich: In Deutschland wird mit zweierlei Maß gemessen.

 

Man hört und staunt. Die Meinungsfreiheit (und die Freiheit der Kunst) werden bei uns nur noch dann verteidigt, wenn sie nicht die „öffentliche Sicherheit“ beeinträchtigen.Deshalb setzt sich die Bundesregierung – unterstützt von einem Großteil der Opposition – für ein Aufführungsverbot des Films „Die Unschuld der Muslime“ ein. Das heißt in der Praxis: Je aggressiver sich jene aufführen, die sich durch Wort, Ton, Bild oder Schrift beleidigt fühlen, desto eher können sie ein Verbot des beleidigungsverursachenden Mediums bewirken. Gewalt wird belohnt. Steine siegen.

 

Besonders befremdlich wirkt, dass ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel die weiße Fahne hisst. Sie war es doch, die den dänischen Zeichner der Mohammed-Karikaturen, Kurt Westergaard, ausgezeichnet hat. Zur Erinnerung: Bei Protesten gegen dessen Karikaturen kamen mehrere Dutzend Menschen um Leben. Erneut drängt sich der Verdacht auf, dass Merkel mit der Westergaard-Ehrung nur ihre Berufsverbotskampagne gegen Thilo Sarrazin wiedergutmachen wollte. Die Meinungsfreiheit war ihr schnuppe.

 

Das ist sie vielen. Das Satiremagazin „Titanic“, das unlängst auf seinem Titelbild den Papst in durchnässter Soutane gezeigt hatte, was weit über katholizismuskritische Kreise hinaus klammheimliche Freude auslöste, wurde für seinen Mut und seine Standfestigkeit gelobt, sich gegen den Antrag des Vatikans auf eine Einstweilige Verfügung gewehrt zu haben. Wie mutig es in Wahrheit ist, in Deutschland den Papst satirisch darzustellen, lässt sich indes schon daran ermessen, dass die „Titanic“-Leute allein beim Gedanken daran, auch mal den Propheten Mohammed auf ihrem Titelbild in durchnässter Hose abzubilden, sich selbst nass machen würden.

 

Oder „Pussy  Riot“. Nach dem Auftritt der Punkband in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau, dem zentralen Gotteshaus der russisch-orthodoxen Kirche, führte die anschließende Verhaftung von einigen ihrer Mitglieder zu einer riesigen Sympathiewelle in Europa. Zu recht. Es lohnt sich, auch für einen Freiheitsbegriff zu streiten, der so weit ist, dass dessen Inhalte gelegentlich sogar als blasphemisch empfunden werden können. Doch dann müssten wir ebenso, nur als Beispiel, für das Recht von islamkritischen Rappern kämpfen, in einer Moschee auftreten zu dürfen.

 

Gleiches Recht für alle – ius respicit aequitatem. Verschiedenheit rechtfertigt weder Diskriminierung noch besondere Vorzüge. Wer die „öffentliche Sicherheit“ zur obersten Richtschnur für die Grenzen von Freiheitsrechten macht, belohnt Gewalt. Kritik zu ertragen, auch Schmähkritik, muss eine Zivilgesellschaft aushalten und auszuhalten lernen.

 

 

http://www.tagesspiegel.de/meinung/kontrapunkt-meinungsfreiheit-gleiches-recht-fuer-alle/7144110.html

 

 

Mohammed-Video

"Der Westen sollte endlich seine Werte verteidigen"

 

Sie wird bedroht, weil sie den Islam kritisierte: Die in Somalia geborene niederländische Publizistin Ayaan Hirsi Ali über den Aufruhr in der muslimischen Welt und die Reaktionen darauf. Von Nathan Gardels

 

Die Welt: Eine neue Episode der weltweiten Gewalt und Proteste gegen die Beleidigung des Propheten Mohammed hat begonnen – diesmal ausgelöst durch ein unbedeutendes Youtube-Video. Es gab in der Vergangenheit bereits eine Fatwa (islamisches Rechtsgutachten) gegen den Autor Salman Rushdie, gewaltsame Proteste gegen dänische Mohammed-Karikaturen und Ihren eigenen Fall – Ihren Film über Frauen im Islam, nach dessen Veröffentlichung ihr Filmpartner Theo van Gogh von militanten Muslimen umgebracht wurde und Sie untertauchen mussten. Ist bei den Protesten diesmal etwas anders als bei den vorherigen?

 

Ayaan Hirsi Ali: Ich würde sagen, dass diese Ausschreitungen alle aus einem Guss sind, denn sie haben alle den selben Ursprung: eine politische Ideologie eingebettet in eine 1400 Jahre alte Religion und Kultur, die keinen Platz bietet für Kritik an ihrem kulturstiftenden Vater und den heiligen Texten. Sobald es um den Koran geht und den Propheten, fühlen sich Muslime beleidigt durch jegliche Arbeit, die sie diesen beiden Symbolen gegenüber als respektlos empfinden: vom aktuellen Koran-Projekt in Deutschland, das eine ernsthafte wissenschaftliche Arbeit darstellt, bis hin zum berüchtigten Video auf Youtube. Für den Durchschnitt der Muslime ist das alles gleichermaßen ein Angriff auf ihren Glauben.

 

Die Welt: Ein Unterschied zu den Protesten in der Vergangenheit ist, dass sie diesmal in der Folge des "arabischen Frühlings" stattfinden. Mittlerweile können die Massen ihre Meinung frei äußern und haben Führungen wie die Muslimbrüderschaft in Ägypten gewählt. Jetzt sind die Islamisten der Mainstream und sie sind so wütend wie die Menschen, die der Westen sonst als militanten Rand bezeichnet hat. Wie schätzen Sie das ein?

 

Ayaan Hirsi Ali: Was wir in der Folge der Proteste in der arabischen Welt sehen, ist eine Abneigung gegenüber tyrannischer Herrschaft – egal, ob es ein säkularer Diktator oder eine religiöse Monarchie ist. Dort, wo die Diktatur gestürzt wurde, sehen wir – und das habe ich immer gesagt – eine starke Unterstützung für Regierungen, die sich auf dem politischen Islam gründen. Die Hauptströmung der Bruderschaft hat nie ein Geheimnis aus ihrer Zustimmung zu einem politischen und moralischen Rahmen gemacht, der auf islamischen Rechtsgrundsätzen basiert. Deswegen sollte es uns nicht überraschen, dass die Führer der Muslimbrüderschaft sich durch die negative Darstellung ihrer moralischen Richtlinien beleidigt fühlen.

 

Die Welt: Während US-Präsident Barack Obama nach den Ausschreitungen an der Meinungsfreiheit festhält, sagt der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, die Beleidigung des Propheten könne nicht als Meinungsfreiheit angesehen werden. Lassen sich diese konträren Positionen vereinbaren?

 

Ayaan Hirsi Ali: Für mich symbolisiert das den "Kampf der Kulturen", den Samuel Huntington im Jahr 1993 beschrieben hat. Es ist eine unangenehme Realität, der sich beide Kulturen gegenüber sehen: Es gibt gewisse Werte, bei denen können ihre Träger keinen Kompromiss eingehen. Premierminister Erdogan ist unermüdlich damit beschäftigt, Initiativen im Namen der islamischen Nationen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit für eine Gesetzgebung durch die Kanäle des internationalen Gesetzes zum Verbot der Blasphemie voranzubringen.

Präsident Obama hat der islamischen Welt unermüdlich mitgeteilt, dass Amerika Freundschaft und Frieden mit den Muslimen auf der ganzen Welt anstrebt. Er hat gelobt, die amerikanischen Truppen aus dem Irak und aus Afghanistan abzuziehen. Er stand auch dem Sturz von Diktatoren, die Verbündete der USA waren, nicht im Weg. Und er hat Israel und einem Teil der jüdischen Bevölkerung in den USA vor den Kopf gestoßen, indem er versucht hat zu zeigen, dass die Palästinenser ebenso ein Partner der USA seien wie die Israelis.

In Wirklichkeit ist keiner der beiden Anführer oder der Menschen, die ihn gewählt haben, darauf vorbereitet, dem anderen zu geben, was er möchte: Präsident Obama oder irgendein anderer amerikanischer Präsident wird keinen Kompromiss bei der Meinungsfreiheit eingehen. Und Ministerpräsident Erdogan oder irgendein anderer muslimischer Führer wird sich nicht zurücklehnen und Blasphemie gegen islamische Symbole akzeptieren.

 

Die Welt: Die Demokratisierung der Medien bedeutet, dass jeder auf der ganzen Welt Videos versenden kann – und diese auch von jedem gesehen werden können. Das birgt gewisses Konfliktpotenzial...

 

Ayaan Hirsi Ali: Genauso ist es. Westliche Staaten beruhen auf dem Prinzip, dass der freie Meinungsaustausch von der Verfassung geschützt ist. So ist den Filmemachern in Hollywood oder den großen Verlagshäusern in New York nichts heilig: Wenn ein Film gut ist, erhält er einen Oscar. Ist er schlecht, wird er in den Rezensionen zerrissen. Dabei ist kein Thema tabu, ob es nun um Jesus Christus, Sex, Geld, Schwule, Juden oder Frauen geht.

Erdogan und der ägyptische Präsident Mohammed Mursi wollen offenbar nicht verstehen, dass in einer Verfassungsdemokratie der Premier oder Präsident gar nicht die Macht und das Recht haben, die freie Meinungsäußerung einzuschränken. Wenn Obama sagt, der islamfeindliche Film sei unwürdig und repräsentiere nicht die Meinung der US-Regierung, ist das eben nur seine Privatmeinung – und nicht das Gelöbnis, die Macher des Films zu bestrafen.

 

Die Welt: Was soll der Westen also tun?

 

Ayaan Hirsi Ali: Als die einzig verbliebene Supermacht stehen die USA vor der großen Herausforderung, so weit es geht Konflikte zu vermeiden. Das ist umso schwieriger, als der amerikanische Einfluss abnimmt und der seiner Feinde wächst. Im Verhältnis zur muslimischen Welt hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten Folgendes gezeigt: Zu propagieren, dass sich gegenseitig ausschließende Moralvorstellungen vereinbaren lassen, löst das Problem nicht – ganz im Gegenteil, es verzögert nur die unausweichliche Auseinandersetzung in diesem ideologischen Streit.

Amerika wird genauso wenig von der Meinungsfreiheit abweichen, wie die Muslime nicht akzeptieren werden, dass eine Beleidigung ihrer religiösen Ikonen straffrei bleiben darf. Von daher ist der einzige Ausweg eine wahrhafte Auseinandersetzung, bei der jede Seite versucht, der anderen zu beweisen, dass die jeweiligen Wertvorstellungen überlegen sind. Mit anderen Worten: Der Westen sollte endlich aufhören mit der moralischen Relativierung und damit beginnen, seine Werte zu verteidigen. Das wird im Endeffekt weniger Leben kosten, als sich vorübergehend mit Diktatoren und Tyrannen zu verbünden.

 

http://www.welt.de/politik/ausland/article109281308/Der-Westen-sollte-endlich-seine-Werte-verteidigen.html

 

für diesen blog und vor allem für die widergabe des interviews mit ayaan hirsi ali! diese große, großartige frau trifft den punkt genau!

 

mit hochachtung und chapeau

 

PROMETHEUS alias BOGUMIL BALKANSKY

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