„Erzähl mir deine Geschichte“ - Asylwerber und ihr Leben in Wien

10. September 2021

Zuhören, diskutieren und mitfühlen: BIBER begrüßte im Rahmen der diesjährigen Summer-School drei Asylwerber, die mit den insgesamt rund dreißig Schüler*innen über Flucht, das Leben in der alten und der neuen Heimat sprachen.

Mittwochvormittag, zehn Uhr: Ein Dutzend junger Journalismus-Talente lauschen in der biber Redaktion gespannt der Geschichte von Omid. In einem kurzen Video erzählt der Asylwerber von seinen Erlebnissen auf der Flucht und dem Leben in Wien. Omid ist 25 Jahre, verheiratet und lebt seit fünf Jahren hier. Bereits vier Mal hat er schon einen negativen Asylbescheid bekommen. Was die Lage noch bitterer für ihn macht: Seine Frau, mit der er zusammen in Wien lebt, hat einen positiven Bescheid erhalten.

Foto: Lisa Leutner und Zoe Opratko
Foto: Lisa Leutner und Zoe Opratko

Das Video mit Omid ist eines von insgesamt fünf Videos, das die Summer- School Teilnehmer und Teilnehmerinnen an diesem Vormittag ansehen. Sie wurden von biber mit freundlicher Unterstützung des „Fonds Soziales Wien“ gedreht. In den Videos erzählen Asylwerber vom Krieg, lassen ihre Flucht Revue passieren und gewähren den Jugendlichen einen privaten Einblick in ihr Leben in Österreich und die Hoffnungen und Ängste, die daraus resultieren.

OMIDS BRIEFE AN KURZ UND VAN DER BELLEN

Omid wartet seit 5 Jahren auf einen positiven Asylbescheid. Seine Ehefrau hat ihn schon.
Omid wartet seit 5 Jahren auf einen positiven Asylbescheid. Seine Ehefrau hat ihn schon.

Wenn Omids Asylverfahren mit einem negativen Bescheid endet, muss er Österreich verlassen und nach Afghanistan zurückkehren, obwohl er dort nur fünf Jahre seines Lebens gelebt hat. Aufgewachsen ist er im Iran, wo er als Mensch zweiter Klasse behandelt wird. Omids Wunsch ist es, eine Heimat zu finden, in der er in Freiheit leben kann. Um diesen Wunsch zu erfüllen, hat er schon Mails an Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundes- kanzler Sebastian Kurz geschrieben. Seine emotionale Geschichte löst bei den Teilnehmer*innen Überraschung und Unverständnis aus: „Ich dachte, dass Asylverfahren gerechter ablaufen und es nicht normal ist, sein Recht auf Asyl vor Gericht erstreiten zu müssen“, so eine anwesende Jungjournalistin.


Eine andere Jugendliche ist derselben Meinung: „Ich hätte mir nie erwartet, dass man als Flüchtling so schlecht lebt.“ Andere Teilnehmer*innen der Summer School fühlen sich in ihren Erfahrungen bestätigt: „Die Videos bestätigen nur, wie ungerecht die Justiz mit Geflüchteten umgeht.“ Unvorstellbar ist für viele dieses Gefühl der Ohnmacht und die Tatsache, nichts an der eigenen Situation ändern zu können.

Die Videos lassen die Beteiligten tief betroffen zurück und sorgen auch für Aufklärung: „Es wurden Vorurteile, die ich mir bisher nicht eingestehen wollte, aufgebrochen“, so eine Teilnehmerin. Nach den Videos diskutieren die Teilnehmer*innen der biber-Summer- School mit Kamerafrau und Videoproduzentin Soza Jan und den anwesenden Asylwerbern über die gezeigten Videos, stellen Fragen und räumen Vorurteile aus dem Weg.

Soza Jan ist syrische Kurdin und kennt die Lebenswelten der Asylwerber. Gemeinsam mit ihnen hat sie die Videos aufgenommen, geschnitten, bearbeitet. Die Porträt-Videos gewähren private Einblicke und geben den Zuseher*innen die Möglichkeit, die Lebenswelt der Geflüchteten zu verstehen. Das kommt gut an: „Nach diesen Einblicken ist es ein wenig leichter, sich in die Lage der Betroffenen zu versetzen. Ich persönlich konnte mir davor schlecht vorstellen, wie das Leben einer geflüchteten Person aussieht und wie man sich dabei fühlt. Aber nun habe ich ein gewisses Feingefühl dafür und für die Menschen vermittelt bekommen, so eine betroffene Zuseherin.

 

MOHIBS TRAURIGE MELODIE

Mohib hat in Afghanistan als Apotheker gearbeitet. Seine große Leidenschaft ist aber Musik
Mohib hat in Afghanistan als Apotheker gearbeitet. Seine große Leidenschaft ist aber„Musik"

Im zweiten Video wird Mohibs Geschichte präsentiert. Nazari Mohibullah, genannt Mohib, kommt 2016 aus Afghanistan nach Österreich. Damals ist er gerade einmal 17 Jahre alt. Fünf Jahre wartet er auf seinen Asylbescheid, darf nicht arbeiten oder eine Ausbildung beginnen. In Afghanistan arbeitete er als Apotheker, auch hier würde er gerne eine Apotheker-Lehre machen oder Musiker werden. Während seiner Zeit in Österreich hat er nämlich begonnen, Gitarre zu spielen. Gemeinsam mit den Summer-School-Teilnehmer*innen diskutiert er, beantwortet Fragen, spielt einige Lieder auf seiner Gitarre vor und singt gemeinsam mit ihnen. „Das Singen mit Mohib ist mir besonders in Erinnerung geblieben“, sagt eine Teilnehmerin. Viele finden es mutig, dass Geflüchtete wie Mohib so offen über ihre Erlebnisse sprechen: „Respekt an die Menschen, dass sie sich das getraut haben.“ Mittlerweile macht Mohib ein zweimonatiges Praktikum in der biber-Redaktion. Aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse in Afghanistan wurde er vielen Menschen in Österreich bekannt. Seine Blogs erfahren große Beliebtheit und er gab Interviews für heimische TV-Sender.

SOROOSH SCHREIBT EIN BUCH

In der letzten Woche der Summer-School kommt Soroosh zu den Jugendlichen. Soroosh flüchtete vor der repressiven islamischen Republik Iran und ihren Todesschergen. Sein Wunsch ist es, in einer Demokratie und in Sicherheit zu leben. Inzwischen ist Soroosh verlobt und hat einen Sohn, der in Österreich geboren ist. Er möchte seine Familie gerne selbst versorgen, darf aber nicht arbeiten – so wie übrigens alle Asylwerber*innen! Deswegen hat Soroosh begonnen, ein Buch zu schreiben. Auch er beantwortet die Fragen der Jugendlichen und spricht offen über seine Erfahrungen. „Ich habe mich bisher nicht wirklich mit geflüchteten Personen beschäftigt, weil ich mich davor gesträubt habe. Die Videos und das Gespräch mit Soroosh waren kurze, aber richtig gute Einblicke in ihre Realität“, erzählt eine Teilnehmerin.

Soroosh flüchtete aus dem Iran und hat in Österreich einen kleinen Sohn.
Soroosh flüchtete aus dem Iran und hat in Österreich einen kleinen Sohn.

Viele sind von den Geschichten berührt: „Mich macht es traurig, dass viele Flüchtlinge arbeiten möchten und dass es ihnen nicht leicht gemacht wird.“ Besonders in Erinnerung blieben nicht nur die Gespräche mit den Geflüchteten, sondern auch die Videos selbst: „Man sieht den Schmerz in den Augen der Interviewten. Vor allem die Geschichte von Soroosh, der seinem Sohn aufgrund unserer Gesetze finanziell nichts bieten kann, hat mich berührt.“

Die Summer-School-Teilnehmer* innen hoffen, dass die Videos noch mehr Menschen gezeigt werden:

 „Diese Videos brauchen unbedingt mehr Zuseher*innen. Sie geben einen unglaublichen Einblick in ein sehr belastendes Thema. Das Anschauen hat sehr geschmerzt.“ Andere Jugendliche stimmen zu: „Ich finde es so wichtig, dass diesen Personen Raum gegeben wird. Kein Mensch ist illegal!“ Sie glauben, dass es wichtig ist, die Fluchtgeschichten nachempfindbar zu machen, die Personen in diesen Geschichten kennenzulernen. „Sobald man ein Gesicht zu der Geschichte hat, sieht man das Problem mit neuen und offeneren Augen.“ 

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