"Es wäre auch mein Kind"

01. Dezember 2014

Eine Frau kann in Österreich frei entscheiden, ob sie eine Abtreibung haben möchte. Doch bekanntlich werden Frauen nicht von alleine schwanger. Wie es den Männern, die die Frauen geschwängert haben, in so einer Situation geht, fragt fast niemand. Vier Männer erzählen.

Seit nun 40 Jahren ist Abtreibung in Österreich legal. Rechtlich gesehen kann ein Mann einen Schwangerschaftsabbruch weder verhindern noch kann er die Frau dazu zwingen. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Es wird, genau wie für Frauen, in vielen Abtreibungskliniken auch eine Beratung danach und davor für Männer angeboten, in der Praxis nehmen diese aber nur die wenigsten Männer in Anspruch. Interessanterweise zeigen Studien, dass viele Männer, die eine Abtreibung miterlebt haben, genauso große psychische Schäden wie die davon betroffenen Frauen davontragen. Wieso wird dann also so wenig darüber gesprochen, was Männer dabei empfinden?

„Grundsätzlich ist es halt eine biologische Gegebenheit, dass Frauen schwanger werden und darüber entscheiden (müssen), auch wenn wir Männer diese Schwangerschaften mit verursachen. Aber sobald die Spermien unseren Körper verlassen haben, haben wir keine Kontrolle mehr darüber. Dies ist eines der einschneidensten Aspekte der Sozialisierung von allen Männern heute“, sagt Dr. Christian Fiala, Leiter des gynmed-Ambulatoriums in Wien. Es ist also sowohl biologisch als auch rechtlich gesehen für einen Mann eigentlich nicht möglich, da wirklich mitzuentscheiden.

„Ich hab immer gedacht, das sind halt so ein paar Zellen, aber kein Ding mit Armen und Beinen.“

„Was machst du, wenn sie schwanger wird, Bruder“ „Dann hau ich sie Treppe runter.“ – Für Max*, heute 26, ist es peinlich zuzugeben, dass solche Gespräche für ihn und seine Freunde zu Schulzeiten normal waren. „Ich hab mich nie mit dem Thema Abtreibung auseinandergesetzt, weil ich dachte, mir wird das eh nie passieren“, murmelt er. Richtig zusammen war er mit ihr nicht, sie kannten sich erst ein paar Wochen, dann wurde Julia schwanger. Er war damals 19, hat gerade mit dem Zivildienst angefangen und wusste nicht mal ob sein „Gspusi“ überhaupt noch länger halten wird. Er geriet in Panik, wollte das Kind nicht. Dabei hatte weniger moralische Bedenken, es war mehr die Angst vor dem Alltag mit einem Baby. ,,Da fragst du dich dann halt auch so Sachen wie: Müssen wir jetzt zusammenziehen? Woher krieg ich das Geld? Wie soll ich das meinen Eltern beibringen, wenn sie nicht mal wissen, dass das Mädel, das ich geschwängert habe, existiert? Sie haben lange überlegt, fast zu lange. Julia war schon im dritten Monat, nur bis dahin ist die Abtreibung in Österreich erlaubt. Als sie dann den Termin hatte, hat er sie bis zur Klink begleitet und ist dann neue Kopfhörer kaufen gegangen. Als Ablenkung? Nein, das wollte er an dem Tag sowieso machen. Damit war die Sache für ihn gegessen, er war erleichtert. Seine Liaison mit Julia ging dann auch schnell wieder vorbei. Im Laufe seines Zivildienstes hat er im Krankenhaus oft Schwangere gesehen. Irgendwann hat er gegoogelt, wie denn so ein Baby im dritten Monat ausschaut. „Das klingt jetzt total blöd, ich weiß, aber mir ist erst da bewusst geworden, dass das aussieht wie ein kleiner Mensch. Ich hab immer gedacht, das sind halt so ein paar Zellen, aber kein Ding mit Armen und Beinen. Das ist dann schon beängstigend, wenn man das weiß“, zuckt er mit den Schultern. Ob er das jemandem erzählt hat? Nein, wem denn, es hätte eh keiner von seinen Freunden verstanden. Was er bereut, ist, sich nicht mehr mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben. Ob es eine richtige Entscheidung war, das Kind nicht zu kriegen? Ja, wahrscheinlich, überlegt er.

„Ich wollte meine Eltern nicht enttäuschen.“

Tobias* war 17, als seine Freundin Marie schwanger wurde. „Mir war eigentlich immer klar, dass wenn es ein Kind von mir gibt, ich auch für dieses da sein will“, sagt er. Aber als er dann mit der Situation konfrontiert wurde, sah es doch anders aus. Seine Freundin hatte genau zu dem Zeitpunkt Matura, sie war sowieso schon mit allem überfordert, also war es sofort klar, dass sie das Kind nicht kriegen wird. „Sie wollte auch nicht, dass ihre Eltern etwas davon mitkriegen, also mussten wir selbst mit dem Geld für die Abtreibung aufkommen, was für zwei 17- Jährige natürlich auch eine Herausforderung war“, erinnert er sich. Die Kosten, fast 500 €, haben sie sich dann geteilt. Doch was ging in ihm vor? Seinen Eltern von der Schwangerschaft zu erzählen, ging gar nicht. Die Angst, sie zu enttäuschen, die Zukunft, die sie für ihn aufgebaut haben, zu zerstören, das Gefühl „irgendwie versagt zu haben“, das alles hielt Tobias davon ab. Obwohl er am Anfang dafür war, dass Marie das Kind kriegt, hat er nie versucht, seine Meinung wirklich durchzusetzen, weil er seine Freundin erstens nicht unter Druck setzen wollte und zweitens, weil er findet, dass man dann doch dem Mädchen die Entscheidung überlassen sollte. Außerdem hat er mit der Zeit immer mehr Zweifel bekommen, ob er wirklich mit 17 Vater werden will. Was für ihn am schwierigsten war, war der Tag nach der Abtreibung selbst. „Mir war ja bewusst, was da passieren wird. Aber an einem Tag war da ein Ding in ihrem Bauch, das mal mein Kind geworden wäre und einen Tag später war es dann einfach weg. Ich hab schon eine Weile gebraucht, um das wirklich zu realisieren“, sagt Tobias. Inzwischen ist er von Marie getrennt, bereuen kann er die Abtreibung nicht wirklich, meint er, da es damals einfach die vernünftigste Variante war. „Aber es ist schon so, dass ich mir dann manchmal denke, heute wäre es so und so alt, ob ich einen Sohn oder eine Tochter hätte, wie mein Verhältnis zu meiner Ex jetzt wäre...“ fügt er zum Schluss noch hinzu. 

„Es war auf jeden Fall eine gute Entscheidung, für mich und für das Kind.“

Der 26-Jährige WU-Student Sebastian* sieht das ganze sehr nüchtern. Seine Freundin hat abgetrieben, als sie beide 18 waren. Sie hat ihm erst im Nachhinein davon erzählt, als sie die Abtreibung schon hinter sich hatte. Das war ihm dann aber relativ egal, da die beiden da schon getrennt waren. Sie haben nie wirklich viel darüber geredet, deshalb weiß er nicht, was damals genau in ihr vorgegangen ist. ,,Es war auf jeden Fall eine gute Entscheidung. In diesem Alter wäre es weder für das Kind gut gewesen noch für mich. Sollte ich einmal Kinder habe,n möchte ich diesen Kindern eine Zukunft bieten können.“ Er versteht nicht, wieso Abtreibungen für Männer belastend sein sollen. Kontakt hat Sebastian zu seiner Ex-Freundin keinen mehr. Bereut hat er das Ganze auch nie oder wirklich darüber nachgedacht. Er findet aber, dass Männer in so einer Situation mehr Mitspracherecht haben sollten. Es sollte wenigstens die Möglichkeit geben, sich als Mann gegen den Kinderwunsch einer Frau stellen zu können und sich dadurch von etwaigen zukünftigen finanziellen Ansprüchen im Vorhinein befreien zu können, sagt er. Auf der anderen Seite fände er es aber auch angebracht, den Mann auch verpflichten zu können, im Falle einer Abtreibung einen Teil der Kosten übernehmen zu müssen.

„Es wäre eben auch mein Kind.“

Der 23-Jährige Kamil*, dessen Freundin letztes Jahr schwanger wurde und sich gegen das Kind entschieden hat, stand vor noch einer anderen Herausforderung. „Es war einfach für uns beide sofort klar, dass wir jetzt kein Kind haben können, deshalb bereue ich es nicht.“ Auf die Frage, ob es eine gemeinsame Entscheidung war, schmunzelt er. „Ja, war es, aber indirekt haben unsere Familien mitentschieden, obwohl sie bis heute nichts davon wissen.“ Kamil kommt genau wie seine damalige Freundin aus einer streng katholischen polnischen Familie, bei denen eine Abtreibung nicht in Frage käme. Sie hätten so schnell wie möglich heiraten müssen. Er glaubt , dass seine in Wien lebenden Eltern weniger ein Problem mit einem unehelichen Kind oder gar einer Abtreibung hätten. Es ging eher um die Tatsache, dass sie es ihren Verwandten in Polen erklären müssten. Mittlerweile ist Kamil von seiner Freundin getrennt, seinen Eltern will er von der Abtreibung nie erzählen. Er selber ist nicht gläubig und hatte deshalb auch keine großen moralischen Bedenken.

Er findet es gut, dass Abtreibung in Österreich im Gegensatz zu Polen legal ist. „Ich glaube, es fragt keiner nach, wie es Männern dabei geht, da sie in so einer Situation oft erstens für ihre Freundin da sein müssen und zweitens automatisch  den „starken Mann“ spielen müssen. Männer reden untereinander nicht über so was. Ich habe das ehrlich gesagt auch immer verdrängt, aber man denkt sich dann schon manchmal, wie alt das Kind jetzt wäre oder wie es aussehen würde. Es wäre dann eben auch mein Kind.“  

 

*Anm.: Alle Namen wurden geändert.

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