Frau aus dem Westen unterwegs im Nahen Osten

20. Juni 2018

Reisen Naher-Osten

Gastbeitrag von Katja Teuchmann

Seit drei Jahren bin ich regelmäßig in Ländern des Nahen Osten unterwegs. Als westliche Frau und alleine. Meine Erfahrungen sind durchwegs mit scharf! aber weder gefährlich noch ein Angriff auf westliche feministische Errungenschaften. Natürlich gibt es Unterschiede. So wie eine Reise inselhoppend in der Ägäis anders verläuft als eine Wanderung mit Almöhis durch die Alpen oder eine Reise durch die menschenleere Seenplatte von Finnland. Wir kennen die Vielfalt Europas auch wenn wir nicht immer die Unterschiede als Ressource anerkennen, aber viel zu wenig kennen wir die Vielfalt der arabischen Welt.

Exotin und unverfängliche Freundin …

Als westliche Frau ist man natürlich in allerlei Hinsicht eine Exotin im Nahen Osten und Frau alleine unterwegs fällt auf. Denn das gibt es eigentlich nicht. Generell wird nicht alleine gereist, sondern im Familienverband oder zumindest in großen Freundesgruppen. Und dann auch noch als Frau, die in den Ursprüngen des Islam - und in vielen Familien gilt das bis heute - nur mit männlichem Begleitschutz reisen darf. Abgesehen von den vielen entgeisterten Gesichtern, die ich ernten durfte ist das Gute daran, dass es Interesse und einen Schutzreflex auslöst und ich in Welten eintauchen durfte, in die kein westlicher Mann eindringen kann und schon gar keine arabische Frau.

Reisen Naher-Oster
Foto: Katja Teuchmann

Bei den Beduinen in der Wüste und im Frauentrakt im Oman

Im Frauentrakt des Farmerhauses in einem Dorf in den Bergen Omans, hörte ich die ungefilterten Geschichten vom kleinen Mädchen genauso wie von der Studentin, die eigentlich gar nicht Englisch studieren, sondern lieber gleich heiraten möchte bis zur Oma, die mich mit Früchten, Reis, Datteln und gebratenem Fisch für die Vegetarierin fütterte bis ich umfiel. Wir saßen essend am Boden, ich war die einzige mit Löffel und jedes Mal, wenn ich ihn zur Seite legen wollte sagte sie in scharfem Ton: „Iss!“ Dann lächelte sie mich an und sagte, dass ich Kraft brauche, wenn ich so alleine unterwegs bin. In der Wüste Jordaniens und im Oman bin ich Beduinen begegnet, die den Austausch mit westlichen Frauen unglaublich schätzen, da sie traditionell mit Frauen nicht befreundet sein können. Also sind sie neugierig und wollen viel über uns Frauen wissen, dabei bewahren sie jedoch den Respekt. „Aber wie geht das wirklich, dass ich als Frau alleine in einer Wohnung in Wien lebe, ohne Bruder oder Vater der auf mich aufpassen würde?“ Sie können es sich nicht wirklich vorstellen, aber gleichzeitig wünschen sie sich, dass sie eine „normalere“ Beziehung zu mehr gleichgestellten Frauen haben könnten. Denn diese Differenzierung erzeugt unnatürliches Verhalten und unerfüllbare Erwartungen, die spätestens nach der Heirat evident werden. Natürlich ist das in den urbanen Zentren teilweise schon anders, aber die Trennung in Mädchen und Buben ab dem Volksschulalter ist in den muslimischen Familien generell noch sehr präsent.

Reisen
Foto: Katja Teuchmann

Welcome! Besondere Begegnungen

Westliche Frauen, nicht aufreizend und kulturell sehr interessiert und ein wenig der Sprache mächtig wird gerne eingeladen. Ich war bei einer Hochzeit in Teheran, durfte im palästinensischen Flüchtlingscamp bei einem gebildeten Sprachengenie wohnen, bei einer Geburtstagsparty eines zweijährigen Mädchens mit 80 Angehörigen in einer jordanischen Burg Vodkacocktails ablehnen und von den 16 Torten kosten …. Die Liste wunderbarer Erlebnisse ist lange und jede Begegnung hat mir vor Augen geführt, wie verschlossen wir inzwischen im Westen geworden sind und uns von offener Gastfreundschaft entfernt haben.

Alleine unterwegs zu sein bedingt natürlich, dass man sehr genau weiß, wie man sich als westliche Frau verhalten muss. Nicht aufreizend, denn dann ist man sofort abgestempelt, und generell sehr abgrenzend gegenüber Männern. Es ist eine manchmal durchaus anstrengende Balance zwischen Unhöflichkeit gegenüber zudringlichem Verhalten und Offenheit gegenüber Begegnungen und kulturellen Einsichten. Das zu erlernen war für mich eine harte Schule und ich musste einige meiner Verhaltensweisen aktiv umlernen und mir neue aneignen. Dass das kein einfacher Prozess war und ich viele eigenen Widerstände überwinden musste, gehört dazu. Ich habe trotz Herausforderungen Erfahrungen gemacht, die mich als Mensch aber auch in meiner Rolle als Frau immens bereichert haben. So manches, das bei uns als bereits bewältigte Geschichte der Frauenbewegung gilt, ist tatsächlich nur oberflächlich zugedeckt. Dahinter verbergen sich oft ähnliche Ressentiments, denen man im Nahen Osten aus Tradition noch offener begegnet. Mir hat es auch gutgetan, mich damit auseinanderzusetzen und in die offene Konfrontation zu gehen. Jedenfalls fühle ich mich in meiner Identität als westliche Frau klarer und gestärkt und bereite mich bereits auf meine nächste Reise vor. Die schönsten Begegnungen mit Frauen hatte ich im Iran, aber dazu mehr in einem anderen Artikel.

Reisen Naher-Osten
Foto: Sybille Dremel

Über mich

Meine Erfahrungen als Bloggerin Safa haben mich dazu ermutigt, mit eastwest4us.com ein Herzens-Projekt zu starten. Das Ziel ist, eine Internetplattform aufzubauen, die eine kulturelle Brücke zwischen dem Nahen Osten und Europa bilden soll; mit Geschichten und konkreten Projekten wie zum Beispiel auch speziellen Reisen, Kunst und gemeinsamen Lernprojekten. Im Juni läuft unsere Crowdfunding-Kampagne, um die erste Phase des Projektes zu ermöglichen. Biber mit Scharf! ist nicht nur diesbezüglich ein Vorbild für mich.

 

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