„Für mich war es selbstverständlich, Leute aufzunehmen“

09. November 2020

Genau eine Woche ist er nun her, der Terroranschlag am Schwedenplatz. Juwan Amir ist einer der Helden, die in jener schrecklichen Nacht eine besondere Zivilcourage gezeigt haben. Er erinnert sich noch genau an die Geschehnisse am 2. November.

Von Yasemin Uysal

„Ich war gerade dabei, das Hotel fit für den Lockdown zu machen, als plötzlich kurz nach 20 Uhr um die 20 Leute in unsere Lobby stürmten“, erzählt Juwan. Er arbeitet als Portier im Hotel Wandl am Petersplatz und hatte an dem Abend Dienst. Diese Schicht wird Juwan wohl für immer in Erinnerung bleiben. „Ich hatte keine Ahnung was vor sich ging, aber sie sagten, draußen gibt’s eine Schießerei“.

Juwan Amir
Foto: Juwan Amir

„Im Notfall gehen wir in den Bunker“

„Dieses Gebäude hat schon zwei Weltkriege überstanden. Wir werden auch das überstehen.“ - mit diesen Worten beruhigte er die Schutzsuchenden, die sich in der Lobby gesammelt hatten. Nun galt: Ruhe bewahren.

Während die meisten Personen auch eher ruhig waren, bahnte sich bei einer Frau eine Panikattacke an. Juwan brachte sie in den Frühstücksraum, damit sie die anderen nicht mit ihrer Panik ansteckte. Dort beruhigte der einfühlsame Portier erst einmal die beängstigte Frau.

Als im Internet plötzlich falsche Bilder und Videos einer angeblichen Geiselnahme und Massenschießerei auftauchten, überwog die Angst und die Stimmung im Hotel drohte zu kippen. Juwan aber hatte die Situation voll im Griff.

Er versicherte allen, dass niemandem in diesem Hotel etwas passieren konnte. „Im Notfall gehen wir in den Bunker im Keller. Danach verteilten er und sein Kollege, der Bar-Chef, Masken an die Leute. „Schließlich mussten wir trotz allem auch auf Corona achten“, erklärt Juwan.

Whisky für alle

Unter den Geflüchteten befand sich auch ein ORF-Team. Eigentlich wollten sie in der Innenstadt eine Reportage zum Thema Lockdown machen, doch es kam anders:  Sie berichteten live aus dem Hotel Wandl über den Anschlag. Danach kamen weitere 13 Personen ins Hotel und suchten Unterschlupf. Andere Restaurants und Hotels hatten sie zuvor einfach vor die Tür gesetzt. „Draußen herrschte Gefahr und für uns war es selbstverständlich, Leute aufzunehmen“, so Juwan.

In dieser Nacht war Juwan ständig in Kontakt mit seinem Chef Norbert Suchanek. „Er sagte, ich soll den Leuten den besten Whisky geben“, sagt Juwan mit einem Schmunzeln. Alle Speisen und Getränke gingen an dem Abend aufs Haus. Außerdem durften alle ihre Handys aufladen, damit sie Angehörige verständigen konnten.

Da für die Innenstadt noch immer höchste Warnstufe galt, vergab Juwan freie Zimmer an alle 33 Zufluchtsuchenden. Dabei bedachte er ein wichtiges Detail: „Menschen sind neugierig. Deshalb habe ich ihnen absichtlich Zimmer gegeben, die in den Innenhof gehen und nicht zur Straße. So bekamen sie die Aufregung auf der Straße nicht mit.“

Obwohl seine Schicht schon längst zu Ende gewesen wäre, blieb Juwan bis zum nächsten Morgen im Hotel Wandl und kümmerte sich in der Hotel-Lobby um diejenigen, die nicht alleine sein wollten. Am darauffolgenden Tag kam der Chef des Hotels persönlich und organisierte für alle noch ein gratis Frühstück. „Gegen halb neun bin ich dann ziemlich erschöpft nach Hause gegangen“, schildert Juwan.

„In Syrien passiert das jeden Tag“

Angst hatte der junge Portier keine. „Meine Familie hat selbst genug Erfahrung mit Terror“. Juwan Amir kommt ursprünglich aus Afrin in Nordsyrien. Gemeinsam mit seinen Geschwistern ist er vor sechs Jahren vor dem IS nach Wien geflohen. „In Syrien ist Terror unser Alltag gewesen“, erinnert sich Juwan an seine Heimat. Deswegen wusste er auch genau, dass an diesem Abend Angst und Panik fehl am Platz gewesen wären. Die einzige Sorge an jenem Abend drehte sich um seine Schwester. „Sie war noch in der Arbeit und ich wollte, dass sie so schnell wie möglich nach Hause, in Sicherheit, kommt.“

Zum Dank für sein unglaubliches Engagement bekommt Juwan Amir noch heute Nachrichten und Geschenke von den Menschen, denen er in der schrecklichen Nacht die Angst genommen hat. „Mit so viel Anerkennung habe ich nicht gerechnet“, meint Juwan bescheiden. Auch sein Chef, Norbert Suchanek, hat sich bereits mehrmals bei seinen beiden Mitarbeitern bedankt. „Er war sich sicher, dass mein Kollege und ich diese Situation unter Kontrolle hatten“, erzählt Juwan.

Zwar freut sich Juwan, dass diese Montagnacht im Hotel alle gut und unversehrt überstanden haben. Seine Gedanken aber sind ganz bei den Opfern und ihren Angehörigen. „Ich hoffe, dass so eine Sache nie wieder in Wien passiert! Wir müssen alle zusammenhalten!“

Und was es heißt, zusammenzuhalten, hat Juwan Amir mit seiner Reaktion mehr als gezeigt.

 

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