IN HAMBURG AUF ST. PAULI

06. November 2014

BORDELLE, KNEIPEN UND STRIPCLUBS – ST. PAULI, DAS VIERTEL RUND UM HAMBURGS „REEPERBAHN“ IST BERÜHMT BERÜCHTIGT. BIBER- KORRESPONDENT CARL PHILIPP WALTER MACHT STADTFÜHRUNGEN IM EINSTIGEN ARBEITER- UND HURENVIERTEL. EIN RUNDGANG. 

 

TEXT: CARL-PHILIPP WALTER. FOTOS: DANIEL SCHMIDT. ILLUSTRATION: DIETER AURACHER

 

Wer nach Hamburg kommt, geht „auf “ St. Pauli. So sagt man das hier im deutschen Norden, weil St. Pauli einst ein Hügel war. Ich arbeite dort als Stadtführer. Jedes Wochenende bekomme ich mit, wie sich der Stadtteil verändert. Die Reeperbahn wirkt heute eher wie ein Disneyland für Erwachsene und nicht wie das urige Arbeiter- und Hurenviertel aus den Erzählungen meines Vaters. Auf der Reeperbahn müsst ihr nicht mehr um euer Leben fürchten, denn der Stadtteil ist erheblich sicherer geworden. Ihr solltet aber wissen, an welchen Ecken nicht alles auf Touristen ausgerichtet ist – denn dort findet ihr noch Spuren der alten Zeit. Mir nach!

 

 

 

 

„BOXKELLER UND ZUHÄLTERTREFF“

RITZE

1974 baute der ehemalige DDR-Profiboxer Hanne Kleine das Pissoir des angrenzenden Bordells zu einer Kneipe um, darunter richtete er sich einen Boxkeller ein. Die „Ritze“ entwickelte sich schnell zum Zuhältertreff. 1981 ließ der österreichische Zuhälter Wiener Peter den Chinesen-Fritz hier vom Barhocker schießen, der Anfang des großen Kiez-Krieges. Im Keller trainierten die ganz großen Boxer, darunter Eckhard Dagge, Dariusz Michalczewski und die Klitschkos. Reeperbahn 140, 14 Uhr bis keiner mehr steht.

 

„48 STUNDEN TECHNO“

DOCKS

1.500 Gäste passen in Hamburgs größten Club. Hier dauern die Techno-Partys auch mal zwei Tage, mit 30 DJs, 4 Floors und Showeinlagen. Und wenn es dann doch mal schließt, kannst du im Frühclub weiterfeiern – einfach die Türsteher danach fragen. Eintritt 10 bis 30 €, Konzerte mehr. Spielbudenplatz 19.

 

 „FÜR FRAUEN VERBOTEN“

HERBERTSTRASSE

Hamburgs kürzeste und verkehrsreichste Fußgängerzone. 200 wunderschöne Huren sitzen hier in Schaufenstern und erfüllen auch die abgefahrensten Wünsche, sofern die Bezahlung stimmt. Für Frauen ist der Zutritt nicht verboten, aber unerwünscht und auf eigene Gefahr: Ein Becher mit Pipi ist noch eine der harmloseren Begrüßungen. Eintritt umsonst, alles andere Verhandlungssache.

 

„VÖGELN AUF DER BÜHNE“

SAFARI

Der letzte Live-Sex-Club schloss 2013, bislang ist aber der Originalzustand erhalten geblieben. Gleiches Konzept wie ein Strip-Club, mit dem Unterschied, dass auf der Bühne gevögelt wurde. Da Live-Pornographie in Deutschland verboten ist, deklarierte der Besitzer die Shows als Körperkunst: Stellungswechsel alle 21 Sekunden und keine Orgasmen. Alle paar Monate prüfte das Ordnungsamt. Motto: „Hier geht’s ab, hier geht’s rund – erst in‘n Arsch und dann in‘n Mund!“ Große Freiheit 24-28.

„FOTOGRAFIEREN VERBOTEN“

DAS MAGISCHE VIERECK

Hier ist die Straßenprostitution von 20 bis 6 Uhr erlaubt. Fotografieren verboten, das gibt Ärger mit den Zuhältern. Kleine Statistik: In Hamburg arbeiten rund 4.000 Huren, die täglich etwa 500.000 € erwirtschaften. „Hure“ ist hier übrigens kein Schimpfwort, so bezeichnen die Damen sich selbst. „Prostituierte“ klingt ja wie eine Geschlechtskrankheit. Preis: Verhandlungssache. Viereck zwischen den Straßen Reeperbahn, Davidstraße, Herbertstraße, Gerhardstraße und Hans-Albers-Platz.

 

 

„ACHTUNG: GRÖLENDE ENGLÄNDER“

HANS-ALBERS-PLATZ

Der Hans-Albers-Platz vereint das Beste und das Schlimmste am Kiez. Das Beste: Die zahlreichen Kneipen, in denen um 0:30 Uhr Hans Albers‘ größter Hit „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ gesungen wird. Das Schlimmste: Die Horden grölender Engländer, die den Platz besetzt halten, bis sie gegen 23 Uhr ins Koma sacken, weil sie nicht wissen, dass es in Hamburg keine Sperrstunde gibt.

 

„SCHLÄCHTER VON ALTONA“

ZUM GOLDENEN HANDSCHUH

Keine schöne Kneipe, aber eine mit Geschichte: Fritz Honka soff hier. In den 1970er Jahren zersägte Honka vier Frauen. Die Leichenteile versteckte er auf seinem Dachboden, gegen den Gestank legte er WC-Steine aus. Nützte nichts, der „Schlächter von Altona“ wurde gefasst und kam in die Psychiatrie. Über dem Eingang erinnert die Aufschrift „Honka-Stube“ an ihn. Hamburger Berg 2, 24 Stunden geöffnet.

 

„STRENGES WAFFENVERBOT“

DAVIDWACHE

Die Polizeiwache mit dem kleinsten Revier in ganz Europa. Eine Übernachtung mit Frühstück und begleitetem Gang zur Toilette kostet 38,50 € – und eine Strafanzeige. Aber keine Sorge, Hamburger Polizisten sind superfreundlich. Nur zwei Dinge gilt es zu beachten: absolutes Waffenverbot (also auch kein Pfefferspray) und keine Glasflaschen nach 22 Uhr. Spielbudenplatz 31.

 

„KULT: ASTRA-UM 1,90“

ZUM SILBERSACK

Absolute Kult-Kneipe, seit 1949. Hier trinken auch Promis gerne ihr Lütt und Lütt, Bier und Kümmel. Gründerin Erna Thomsen stand bis zu ihrem Tod 2012 hinter dem Tresen und war damit die dienstälteste Wirtin in ganz Deutschland. „Solide Preise“ steht dran, und das stimmt: Ein Astra kostet 1,90 €. Silbersackstraße 9, 15 bis mindestens 5 Uhr.

 

„STANDARDWARE DILDO“

BOUTIQUE BIZARRE

Der größte Sex-Shop Europas erstreckt sich über zwei Stockwerke. Eine Mischung aus Kaufhaus und Museum: oben Standardware von Dildo bis Video, unten Fetisch von Rohrstock bis Anpinkeln. Auch wenn ihr nicht auf so etwas steht, lohnt sich der Besuch. Eintritt abends 1 €. Reeperbahn 35, 10 bis 2 Uhr.

 

„VERSCHWITZTE

ELEKTRO-STUDENTEN“

POOCA BAR

Typisch für den Hamburger Berg, Hamburgs Studentenkiez: In der „Pooca Bar“ ist es eng, laut und verschwitzt. Hier legen die DJs der alternativen Electro-Szene die Sounds von morgen auf, am Wochenende kocht der Laden über. Eintritt frei, Konzerte 3 €. Hamburger Berg 12, 20 Uhr bis Open End.

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