"Ich habe nie daran geglaubt, dass es je wieder gut wird."

31. Mai 2017

Sie hungern und verletzen sich selbst.  Manchmal auch mit der Absicht, ihr Leben zu beenden. Meistens aber suchen sie nur den Ausweg aus ihrem Alltag. Die Geschichte dreier junger Frauen, deren Wunsch es ist, glücklich und gesund zu sein  und anderen Mädchen Mut zu machen.

Text und Fotos: Alexandra Stanić

Mit elf habe ich mich das erste Mal geritzt.“ Lara* blickt mir selbstbewusst in die Augen, während sie erzählt. Ihre Arme sind gezeichnet von alten und frischen Narben. Die Schnitte sind über ihre beiden Unterarme verteilt; rosa ausgeblichen an manchen Stellen, dunkelrot und verkrustet an anderen. „Mein Leben lang war ich in allem die Beste. Irgendwann konnte ich diesem Druck nicht mehr standhalten.“ Zudem musste sie oft die Rolle der Mutter übernehmen. „Meine Mama hat schreckliche Angst vor allem. Wenn mein Bruder oder ich einmal Kopfweh haben, vermutet sie direkt einen Tumor und schickt uns zu fünf verschiedenen Ärzten.“ Lara geht sehr offen mit ihrer psychischen Erkrankung um. Sie lacht laut und herzlich, drückt sich sehr herb aus. Letzten Sommer verbrachte Lara im Krankenhaus. Sie litt an Anorexie, wog 36 Kilo. Einen Monat lang musste sie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Allgemeinen Krankenhaus (AKH) Wien leben. Erst als sie dort krebskranke Kinder kennenlernt, versteht sie, wie wertvoll ihr eigenes Leben ist. Sie schafft es, ihre Essstörung in den Griff zu bekommen. „Ich habe mir als Ziel gesetzt zu leben, diesen Willen konnte ich auch durchsetzen“, erklärt die heute 17-Jährige.

Für mehr als 2000 Mädchen in Wien besteht akute Gefahr, an einer Essstörung zu erkranken.
Für mehr als 2000 Mädchen in Wien besteht akute Gefahr, an einer Essstörung zu erkranken.

„Ich schäme mich nicht für meine Narben.“

Ich wusste schon vor Laras Geschichte, dass Anorexie und Selbstverletzung bei jungen Frauen verbreitet sind. Auch ich habe als Teenager Mädchen gekannt, die mit einer Essstörung zu kämpfen hatten. Diese Erkrankung gibt es nicht erst seit Kurzem. Damals war mir aber nicht bewusst, wie Essstörungen entstehen und welche Folgen sie haben. Das hat sich mittlerweile geändert. Rahel Jahoda, die Leiterin des „intakt“ Therapiezentrums für Menschen mit Essstörung, erklärt mir, dass allein in Wien ein akutes Risiko besteht, dass mehr als 2000 Mädchen an Anorexia Nervosa oder Bulimia Nervosa erkranken. Zum Vergleich: Von dieser Gefahr sind rund 100 Burschen betroffen. Zudem sei bei den stationären Spitalsaufenthalten in Österreich eine deutliche Zunahme der Aufenthalte aufgrund einer Essstörung festzustellen. 1989 waren es 269 Personen, 2000 waren es 1471 Spitalsaufenthalte. Die Dunkelziffer ist sehr hoch.

In den letzten Wochen hatte ich durch mein Fotoprojekt „Young Rebels“ mit vielen jungen Frauen zu tun. Seit April fotografiere ich Mädchen zwischen 13 und 18 und spreche mit ihnen über die Schwierigkeiten, die sie in diesem Alter haben. Ihre Fotos und ihre Geschichte poste ich dann auf meinem Instagram-Account. Eine von ihnen ist Lara*. Als wir das Fotoshooting vereinbaren, weiß ich noch nichts von ihrer psychischen Erkrankung. Erst am Tag unseres Treffens entdecke ich ihre Narben – sie versteckt sie auch nicht. Ich erkläre ihr, dass die Schnitte nicht mit aufs Foto müssen und dass sie entscheidet, wie viel sie mir erzählt. Sie solle sich nicht verpflichtet fühlen, meine Fragen zu beantworten. „Keine Sorge, ich schäme mich nicht für meine Narben und akzeptiere mich so wie ich bin“, erklärt Lara. „Außerdem ist es an der Zeit, dieses Tabu zu brechen.“ Ich bin erstaunt, wie reif sie mit 17 ist. Laras Fotos finden auf Instagram hohen Anklang. Eine Userin schreibt mir eine private Nachricht: „Ich wollte dir nur sagen, dass ich dein Fotoprojekt echt wunderschön finde, die Message ist ein Wahnsinn und nicht viele Menschen trauen sich heute offen über psychische Krankheiten zu reden und Betroffene zu fotografieren. Sowas gibt Menschen wie mir echt Kraft!“ So trete ich mit Theresa* in Kontakt. Auch Theresa verletzt sich selbst. Theresa litt an Bulimie und verbrachte eine Zeitlang in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des AKH. Knöchel, Beine, Hüfte, Bauch und Arme – ihr Körper ist übersät von Narben. Manche davon sind noch frisch. Zuletzt hat sie sich vor einigen Wochen geritzt. Das letzte Mal soll es besonders schlimm gewesen sein. „Ich war angetrunken und habe in einer U-Bahnstation eine kleine Parfüm-Flasche am Boden zerschlagen und mir damit die Beine geschnitten“, erinnert sich die 16-Jährige. Ihre Selbstverletzung ist immer die Reaktion auf ein Geschehnis, erklärt sie mir, es sei ihre Art zu handeln. Wann immer sie das Gefühl hat, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren, greift sie zur Rasierklinge – an diesem Abend hatte sie keine parat, also musste das Parfüm herhalten.

Die jungen Frauen wollen anderen Mut machen und zeigen, dass sie diesen Weg nicht gehen müssen.
Die jungen Frauen wollen anderen Mut machen und zeigen, dass sie diesen Weg nicht gehen müssen.

„Aus dem Nichts“

In einem Interview letztes Jahr mit der Tageszeitung „Der Standard“ erklärte Kathrin Sevecke, Direktorin der Innsbrucker Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, selbstverletzendes Verhalten bei Jugendlichen. „Im Großen und Ganzen gibt es zwei Gründe“, so Sevecke. „Zum einen kann eine akute seelische Belastung verantwortlich sein. Etwa die Scheidung der Eltern, eine Trennung oder schulische Probleme.“ Es bestehe aber auch die Möglichkeit einer psychischen Erkrankung, zum Beispiel eine Depression oder Essstörung. Zudem würden Jugendliche immer häufiger Fotos ihrer Wunden auf Social Media-Plattformen posten. Tatsächlich kann man auf sozialen Netzwerken leicht sogenannte „selfharm“-Accounts finden, meist werden sie von jungen Frauen geführt, die ihre eigene Erkrankung dokumentieren.

Die Psychotherapeutin Rahel Jahoda bestätigt das. „Neben Essstörungen zeigen die KlientInnen meist Komorbiditäten, wie zum Beispiel Depressionen, Schlafstörungen, Zwänge, Ängste oder auch selbstverletzendes Verhalten.“ Eine Komorbidität ist einfach erklärt eine zusätzliche Krankheit, die nicht selten etwas mit der Grunderkrankung zu tun hat. „Viele KlientInnen erzählen, dass sie sich selbst verletzen, entweder um sich zu spüren, aber auch um sich zu bestrafen.“

Ähnlich wie bei Lara begann bei Theresa ihre Erkrankung mit elf Jahren. „Ich hätte so gerne einen Grund“, sagt sie. „Ich wünschte, es wäre etwas ganz Konkretes passiert, das mein Unglücklichsein rechtfertigt.“ Aus dem Nichts – so Theresa – wurde sie unglücklich. Sie erkrankt an einer Essstörung. „Ich war eigentlich immer ein sehr fröhliches Kind und habe viel gelacht.“ Mit 13 nimmt sie tagelang nichts zu sich. Es geht so weit, dass sie in der Schule zusammenbricht. Als sie 15 ist, wird sie in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen. Sie wird mit Depressionen und Zwangsstörungen diagnostiziert. Insgesamt verbringt sie sieben Monate in der Tagesklinik – einen Monat stationär, den Rest in der Tagesklinik. Das bedeutet, sie hat tagsüber Therapiestunden und Sitzungen und darf abends nach Hause fahren.

Wer ist die Dünnere?

Vor wenigen Wochen wurde Theresa entlassen. Geebnet ist der Weg zu einem gesunden Leben für sie damit aber nicht. Derzeit wiegt sie 53kg bei einer Größe von 176cm. Trotzdem fühlt sie sich zu dick – auch wenn sie dieses Gefühl jetzt besser unter Kontrolle hat. Von Zeit zu Zeit packt sie die Angst vor dem Sommer. „Ich weiß nicht, ob ich schon bereit bin für kurze und luftige Kleidung.“ Sie ist froh, den Abschnitt im Krankenhaus vorerst beendet zu haben, gibt aber gleichzeitig zu bedenken: „Die Psychiatrie wird im Fernsehen immer als der pure Horror dargestellt, die Realität sieht aber ganz anders aus.“ Hilfreich, anstrengend, langweilig und mitunter auch riskant, so beschreibt Theresa die Zeit im AKH. „Ich kenne einige Mädchen, die erst auf der Station eine Essstörung entwickelt haben“, erzählt Theresa. „Ist auch verständlich, du bist umgeben von sehr dünnen Mädchen, die nichts essen. Das macht Druck.“

Das kann zur Schwierigkeit werden. „So wie überall – denn sie kann zum Beispiel auch aufgrund von Erzählungen in der Schule entwickelt werden“, erklärt Psychotherapeutin Rahel Jahoda. „Magersüchtige erzählen meist, dass sie bei Klinikaufenthalten in Gruppen bewusst oder auch unbewusst mit den anderen TeilnehmerInnen in Konkurrenz treten, in dem Sinne ‚Wer ist die Dünnere?‘“ Gleichzeitig muss man bedenken, dass Essstörungen schwere psychische Erkrankungen sind, die immer multifaktoriell bedingt sind. „Die Betroffenen können mit Problemen, Verletzungen auf der psychischen Ebene nicht klar kommen und greifen zu dieser Lösungsstrategie, die kurzfristig ‚hilft‘, aber unbehandelt zu schwerwiegenden Dauerschäden bis hin zum Tod führen kann“, so Jahoda. Die letzten Monate in der Klinik waren eine Herausforderung für Theresa, es gibt aber einige Momente, die ihr schön in Erinnerung bleiben werden. „Kürzlich hat meine Ärztin von meinem großen Fortschritt gesprochen“, erinnert sie sich. „Als sie gesagt hat, wie stolz sie auf mich ist, hatte sie Tränen in den Augen – das hat mir extrem viel bedeutet.“

Vier Suizidversuche später

Auch Amélie* erzählt von einer Ärztin, die sich sehr um sie bemüht hat. „Ich habe das erste Mal verstanden, dass ich es verdient habe, dass sich jemand Zeit für mich nimmt.“ Die 18-Jährige drückt sich sehr bedacht aus. Sie stammt aus schwierigen Verhältnissen. Beide Elternteile sind suchtkrank und leben getrennt. Ihre Mutter hat Borderline, eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung. Zu ihr habe sie kein gutes Verhältnis, deswegen lebt sie bei ihrem Vater. „Ich war schon immer ein Papa-Kind“, sagt sie lächelnd, ihre Augen strahlen bei diesen Worten. Vor drei Wochen erlitt ihr Vater einen Sucht-Rückfall, Amélie hat die Nadel gefunden, als sie ihn besucht hat. Eine Woche später wurde sie aus der Psychiatrie entlassen.

Elf Monate lang hat Amélie im AKH verbracht, neun davon auf der Kinder- und Jugendstation, nach ihrer Volljährigkeit zwei auf der Erwachsenenstation. Während ihres Aufenthalts versucht sie sich viermal das Leben zu nehmen. Ihr letzter Versuch ist zwei Monate her. Amélies Diagnose ist breit: Essstörung, Depressionen, posttraumatische Entwicklungsstörung und Epilepsie. Sie nimmt sieben Tabletten täglich. Gleich zu Beginn unseres Gesprächs erzählt sie von ihren Suizidversuchen. Ähnlich wie Lara und Theresa geht sie sehr offen mit ihrer psychischen Erkrankung um. Auch bei ihr betone ich, dass sie entscheidet, welche meiner Fragen sie beantwortet. „Ich möchte aber gerne darüber sprechen, weil ich es falsch finde, Menschen, die Selbstmord begehen, als egoistisch abzustempeln“, erklärt Amélie. „Die Gesellschaft muss verstehen, dass diese Personen in diesem Moment keinen anderen Ausweg sehen.“

 

Ana

 

Spulen wir fünf Jahre zurück: Mit 13 beginnt Amélie zu hungern. Sie findet Trost bei „Pro Ana“ (pro: für und Anorexia Nervosa: Magersucht). Pro Ana ist eine Bewegung Magersüchtiger im Internet, Pro-Mia die Bewegung Bulimie-Erkrankter. Die Anhängerinnen idealisieren ihre oftmals eigene Essstörung und unterstützen sich beim krankhaften Abnehmen mit Tipps und Merksätzen. Beide Bewegungen haben sich bewusst für Namen entschieden, die die Krankheit personifizieren. So gibt es auf diversen Pro Ana-Seiten auch Briefe, die „Ana“, die Magersucht selbst, an junge Frauen verfasst. Der „Brief von Ana“ ist meist ein zentrales Kernstück solcher Webseiten.

Diesen Brief hat auch Amélie gelesen. „Die Worte sprechen jedes Mädchen an, das unzufrieden mit sich selbst ist“, erklärt Amélie. „Durch die Pro Ana-Seite hat sich meine Essstörung verschlimmert.“ Sie geht einen Schritt weiter und gründet mit einer Gruppe von Mädchen, die sie in Foren gefunden hat, eine Whatsapp-Gruppe, um schneller abzunehmen – ein auch heute noch aktueller Trend. „Wir mussten 500 Gramm pro Woche abnehmen, sonst wurden wir rausgeschmissen“, erinnert sich die heute 18-Jährige. „Das war ein wahnsinniger Gruppenzwang, der da entstanden ist.“ Heute pflegt sie zu zwei der Mädchen noch Kontakt, sie haben die Gruppe verlassen und unterstützen sich seither auf dem Weg raus aus der Anorexie. Amélie steht Social Media kritisch gegenüber. „Wenn du dich ohnehin schon schlecht fühlst, triggern dich depressive Sprüche auf Tumblr oder Fotos von mageren Mädchen viel eher“, ist sie sich sicher. Dazu gehören Sprüche wie „Wieso hält mich bloß niemand auf?“ oder „Niemand hat mitbekommen, wie kaputt ich bin.“ Amélie hat sich auch Lieder, die sie während ihrer schlimmsten Phase gehört hat, verboten. „Die würden mich nur wieder runterziehen.“

Anderen Mädchen Mut machen

Stattdessen widmet sich Amélie Dingen, die sie glücklich machen. „Während meines Krankenhausaufenthaltes haben mich meine besten Freundinnen täglich besucht“, erzählt sie. „Das hat mir sehr geholfen.“ Im Herbst beginnt sie eine Lehre als Pflege-Fachassistentin. Sie möchte anderen helfen – nicht nur beruflich, auch mit ihrer Erfahrung. Lara, Theresa und Amélie haben neben ihrer psychischen Erkrankung und deren Folgen eine weitere wichtige Sache gemeinsam: Sie möchten anderen Mädchen mit ihrer Geschichte Kraft schenken und ihnen klarmachen, dass sie diesen Weg nicht gehen sollen. Denn die drei kämpfen darum, ihr selbstverletzendes Verhalten und das Hungern endgültig hinter sich zu lassen. Gleichzeitig ist ihnen wichtig, das Bild, das viele von psychisch Erkrankten haben, zu verändern. „Wir dürfen nicht auf unsere Krankheit reduziert werden, das wird ein Diabetes-Kranker auch nicht“, wirft die 16-jährige Theresa ein. Sie hat sich für September ebenfalls eine Lehrstelle gesichert. „Ich bin sehr stolz auf mich und meinen gesundheitlichen Fortschritt.“ Auch Amélie ist positiv gesinnt und hofft, dass ihre Worte Anklang bei jenen finden, die eine ähnliche Situation durchleben. „Wenn ich es geschafft habe, kann auch jede andere da rauskommen“, so Amélie. „Ich habe nie daran geglaubt, dass es je wieder gut wird.“

Die Zahl der Essstörungen hängt auch mit dem Schönheitsideal zusammen – sowohl für Frauen als auch Männer. „Im Vergleich zu realen, lebenden Frauen haben Schaufensterpuppen 13,5cm dünnere Hüften und 10cm dünnere Oberschenkel“, stellt Psychotherapeutin Jahoda fest. „Hungermodels am Laufsteg, die vermitteln, das ist die ‚anzustrebende‘, perfekte Figur; Retusche, die nicht gekennzeichnet ist – das alles setzt uns unter Druck, auch so ausschauen zu müssen.“ Druck, dem viele junge Frauen nicht standhalten können – Mädchen wie Lara, Theresa oder Amélie. Die Geschichte dieser Mädchen steht für viele andere – 2000 sollen allein in Wien in Gefahr sein, an einer Essstörung zu erkranken. „Verletzte Seelen“, so hat eine Jugendberaterin junge Frauen genannt, die an einer psychischen Erkrankung leiden. Diese drei haben es sich zur Aufgabe gemacht, anderen Mädchen Mut zu machen. Denn auch sie selbst wollen gesund sein. ●

 

Bei Fragen zum Thema Essstörung oder wenn Gedanken ans Essen zur Qual werden, ist das „intakt on phone“ des Therapiezentrums „intakt“ jeden Donnerstag von 17 bis 19 Uhr eine erste Anlaufstelle. Weitere Beratungsstellen im Überblick auf www.essstoerungshotline.at/ oder unter 0800201120 von Montag bis Donnerstag von 12 bis 17 Uhr.

 

* Alle Namen wurden von der Redaktion geändert

 

„Auf Social Media wird fleißig retuschiert.“

Interview mit Psychotherapeutin Rahel Jahoda: 

Die psychotherapeutische Leiterin des „intakt“ Therapiezentrums für Essstörungen im Gespräch.

Erkranken eher Frauen an einer Essstörung?

Nach wie vor sind mehr Mädchen und Frauen in unserer Wohlstandsgesellschaft von einer Essstörung betroffen, das Spektrum reicht von Diätverhalten bis hin zu subklinischen und klinischen Formen der Essstörung. Aber auch die Zahl der Essstörungen bei Burschen ist gestiegen. Allein in Wien besteht für mehr als 2000 Mädchen und rund 100 Burschen ein akutes Risiko an Anorexia Nervosa oder Bulimia Nervosa zu erkranken.

Welche Gründe gibt es dafür?

Ich unterscheide immer zwischen Auslöser und Ursache. Auslöser können ganz banale Bemerkungen wie „Jetzt musst du langsam aufpassen“ sein. Die Ursache ist jedoch tieferliegend und sehr komplex. Natürlich hat auch das derzeit herrschende Schönheitsideal Auswirkungen und Folgeerscheinungen – sowohl für Frauen als auch für Männer. Nach wie vor laufen Hungermodels am Laufsteg, uns wird vermittelt, das sei das „Anzustrebende“; die perfekte Figur. Noch immer wird fleißig nachretuschiert, sodass nicht ersichtlich ist, dass das so gar nicht real sein kann. In Österreich wird schon des Längeren diskutiert, ob es eine Hinweispflicht für retuschierte Fotos geben sollte, so wie es in Israel oder auch Frankreich gesetzlich verankert ist.

Wie problematisch ist Social Media in Hinblick auf Essstörungen?

Auch auf Social Media wird fleißig retuschiert. Das macht etwas mit uns und setzt uns unter Druck, auch so aussehen zu müssen. Die Standards werden verinnerlicht, wir versuchen ihnen irgendwie nachzueifern.

Haben auch Medien eine gewisse Verantwortung?

Ja, das haben sie. Sie sollten sich ihrer Meinungsbildung und der damit verbundenen Verantwortung bewusst sein. In Österreich gibt es den Werberat, bei dem unangemessene Fotos bzw. Werbungen gemeldet werden können. Es ist doch oft gerade zu grotesk, dass in Zeitungen einerseits über Essstörungen berichtet wird, andererseits auf der nächste Seite die neueste Diät angepriesen wird. Zudem wird oft in diskriminierender Weise berichtet, gerade Übergewichtige stehen am Pranger— was Essstörungen noch verstärken kann.

 

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