"Ich hasste meinen Körper"

06. Mai 2015

Angst, Scham und unendliche Schmerzen: Ich hatte eine Schönheits-OP und fast niemand wusste Bescheid.

Von Vanessa Spanbauer

Vanessa Spanbauer
Foto by Julie Brass

„Und, wie gefällt Ihnen das Ergebnis? Zufrieden?“, fragt mich ein grinsender junger Mann in weißem Arztkittel. Unsicher und geschwächt antworte ich: „In ein paar Monaten geht es mir bestimmt gut...“ Die ehrliche Antwort wäre gewesen: „Ihr habt mich gerade aufgeschlitzt und einen Teil von mir abgeschnitten. Wie soll ich wissen, wie ich mich fühle?“ Schönheits-OPs gehören irgendwie zum Alltag – Promi-Magazine, Werbungen und das Internet zeigen makellose Menschen, die teilweise nicht nur mit Photoshop-Skills zur Perfektion optimiert wurden. Eine Brustvergrößerung da, ein neues Näschen hier und eine ordentliche Portion Botox kann auch nicht schaden – besonders in der Welt der Reichen und Schönen. Schönheit ist eines der wichtigsten Themen in unserer Gesellschaft.


Vanessa Spanbauer
Bereitgestellt von Vanessa Spanbauer
Das hässliche Entlein

Ich selbst hätte nie gedacht, dass das Thema Beauty-OP für mich jemals relevant wird. Doch hier war ich, in einem Flügel der Plastischen-Chirurgie in einem Wiener Spital. Ich war nie schön und wurde mein ganzes Leben lang nie als attraktiv eingestuft. Seit frühester Kindheit war ich „die Fette“ unter meinen Klassenkameraden. Extreme Fettsucht war meine Krankheit. Waagen waren mein natürlicher Feind. Als ich mit 15 Jahren doch wieder einmal auf dieses verhasste Ding steigen musste, zeigte es mit 125 Kilo den Höchststand an. Meine ganze Familie hatte mit Übergewicht zu kämpfen. Natürlich wollte man etwas dagegen tun, aber gegessen wurde, was auf den Tisch kam. Was war eine bessere Beschäftigung als leckere Dinge in sich hineinzustopfen, besonders wenn man irgendwie sowieso unzufrieden war? Mit den Jahren habe ich mich damit abgefunden. Dicke Menschen können natürlich ebenso attraktiv sein wie dünne - ich fühlte mich so allerdings nicht wohl.


Die Verwandlung zum Schwan

Ich wurde beschimpft und war es gewöhnt von Menschen auf der Straße als „fette Sau“ bezeichnet zu werden. Dünn sein war mein größter Traum. Ich wollte sein wie alle anderen. Nicht zwangsläufig schön, einfach nur so dünn, um in stylischere Klamotten zu passen. Eines Tages, mit 20 Jahren, kam der Entschluss gesünder zu essen - ganz spontan. Gesundes Essen, mehr Bewegung und schon bald bewegten sich die Zahlen auf der Waage. Im Frühling 2013 - ein Jahr und zwei Monate nach meinem Umdenken - wog ich um 45 Kilo weniger. Zusammen mit den 15 Kilo, die ich in der Schulzeit eher unbewusst abgenommen hatte, sind das 60 Kilo weniger als mein Höchstgewicht. Ich hätte das nie für möglich gehalten.


Ein Teil von mir, der keiner mehr war

Doch ein Problem tauchte auf, mit dem jeder der viel Gewicht verliert, zu kämpfen hat – zu viel Haut. Dort wo einst mein dicker Bauch war, war jetzt eine Menge Haut, die schlaff an mir hinunterhing. Früher habe ich im Sommer bei dreißig Grad oft weite lange Sachen getragen, weil niemand meine fetten Arme und meine zu kleinen T-Shirts sehen sollte. Jetzt passte ich zwar in Hotpants und in ein enges Top, doch die lose Haut zeichnete sich überall ab. Ich begann meinen Körper weiterhin zu verstecken. Schwimmen? Ausgeschlossen. Ein Bikini würde alles zeigen. Es war ein Teil meines Körpers, der nur mehr störte. Ich wurde plötzlich mit Komplimenten zu meiner neuen, schlanken Figur überhäuft, doch ich konnte sie nur schwer annehmen.


Das Outing

Ich hatte einige Monate darüber nachgedacht, letzten Jänner vertraute ich mich meinem Hausarzt an. Mir war es so unendlich peinlich. Ich wollte mit niemandem darüber sprechen, nur meine Mutter und eine meiner engsten Freundinnen wussten, wie sehr ich meinen Körper hasste. „Ja natürlich, diese Bauchschürze ist nur operabel wegzubekommen. Ich gebe Ihnen den Kontakt zu einer plastischen Chirurgie“, so der Arzt. Ein Marathon begann. Krankenhaus, Krankenkasse, wieder zurück ins Krankenhaus – überall wurde mein Körper begutachtet. „Ist ja nicht so schlimm“, meinte ein Herr bei der Krankenkasse. Tja, steckt er in diesem Körper? Zugegeben, mit meinen damals 22 Jahren war die Bauchschürze nicht so schlimm, dass sie bis zu meinen Knien hängt und ein gesundheitliches Risiko darstellt. Aber hey, ich bin 22, soll ich auf ewig mit einem Bauch herumrennen, der, wenn ich mich runterbeuge, aussieht wie ein Kuheuter? Das Problem: Ich habe die 60 Kilo selbstständig abgenommen. Wenn ich mir ein Magenband hätte einsetzen lassen, wäre die Kostenübernahme der Bauchdeckenstraffung kein Problem. Nach einigen Diskussionen war mein Kampf gewonnen und der Eingriff bestätigt. Im Durchschnitt kostet diese Operation zwischen 3.500 € und 7.000 € - mehr als ich mir alleine je leisten könnte.


Vanessa Spanbauer
Foto by Julie Brass
Will ich das wirklich?

Einmal Bauch aufschlitzen, überschüssige Haut wegschneiden, den Rest straffen und den Nabel versetzen, bitte. Sechs Monate Wartezeit bis zum Operationstermin. Sechs Monate voller Angst. Die Gedanken drehen sich im Kreis. Die Recherche über den Eingriff macht mich zum nervlichen Wrack. Auf YouTube finde ich Videos von Frauen, die dasselbe durchmachten. Vor der Bauchdeckenstraffung - oder Tummy Tuck auf Englisch – zwei Tage danach, eine Woche später, bis hin zu einem Jahr später, zeichnen die Betroffenen ihre Erfahrungen auf. Fazit: Unendliche Schmerzen kommen auf mich zu. Panik!


Das Krankenhaus

Irgendwie stellt man es sich ein wenig glamourös vor, so eine Beauty-OP. Es ist jedoch alles andere als das. Am Morgen werde ich am Nabel und knapp ober der Bikinizone angezeichnet. Der junge Arzt strahlt eine Ruhe aus, die nicht einmal davon gestört werden kann, dass er meinen Bauch zusammenquetscht und an der losen Haut herumzieht. Minuten, bevor ich abgeholt werde, hilft nur mehr Musik. Einige Sekunden bekomme ich noch mit – die Narkose, der Wechsel auf den Operationstisch, ich höre Stimmen und mir ist kalt. Das nächste, das ich weiß - ich bin wach! Das Gefühl, das ich habe, ist unbeschreiblich. Als ob mich ein Lastwagen überrollt hätte. Meine Mutter sitzt neben mir. Ich schlafe wieder ein. Stunden später werde ich wieder wach. Jetzt bin ich bei vollem Bewusstsein. Bewegen kann ich mich nicht. Aufs Klo gehen – unmöglich. Deshalb hängt ein Sackerl mit meinem Urin an mir herunter. Eine neue Erfahrung. Tag zwei: Waschtag. Langsam kann ich mich aufrichten - alleine aufstehen geht noch lange nicht. Diese Hilflosigkeit habe ich noch nie erlebt. Eine Krankenschwester stützt mich, wechselt mein Urinsackerl und wäscht mich. Ich komme mir vor wie ein alter, hilfloser Mensch.


Es ist nur eine Schönheitsoperation

Während ich relativ nutzlos herumliege, checken neue Patienten ein. Darunter eine Türkin, der genau die gleiche Operation wegen ihrer vier Schwangerschaften bevorsteht. Eine andere junge Frau hat ebenfalls viel Gewicht verloren. Allerdings mit Magenband: Eine Abnehmmethode in der ein Silikonband um den Magen gelegt wird, welches zu einem früheren Sättigungsgefühl führen soll. Die Frau hat ihr Unteres Bodylift – Haut weg an Bauch, Po und Oberschenkel – ohne Probleme bezahlt bekommen. Eigenartig, denn als ich an meinem Salat knabbere und mir Sorgen um gesunde Ernährung mache, erklärt sie: „Wasser mag ich nicht, ich trinke nur Energydrinks!“ Spätestens als ich sie in der Nacht eine ganze Tafel Schokolade in sich hineinstopfen sehe, hinterfrage ich diese Art des Gewichtsverlusts. Durch den ständigen Wechsel der Patienten sind einige Zimmergenossinnen fitter als andere. Man hilft sich gegenseitig beim Dinge aufheben, anziehen und ins Bad gehen und das ist dringend notwendig. Denn die Krankenschwestern hatten es langsam satt sich um einige Patientinnen eingehend zu kümmern. Egal wie groß der Eingriff auch war, „Es war nur eine Schönheits-OP, stell dich nicht so an!“, gibt es für ein Mädel in einem anderen Zimmer zu hören, als sie plötzlich umkippt.


Vanessa Spanbauer
Foto by Julie Brass
Schmerzen ohne Ende

Ich kann kein Blut sehen - das Ergebnis der OP direkt anzuschauen kommt für mich somit nicht in Frage. Nach einer Woche Krankenhaus mit zwei Schläuchen im Bauch, aus dem Wundblut rausfließt und gefühlten tausend Schmerzmitteln, durfte ich endlich nach Hause. Neue Location, neue Herausforderung – ich kann nächtelang nicht schlafen. Am Rücken schlafen zu müssen war mein Tod. Ich schaffe das! Tag für Tag traue ich mich mehr. In meine Hosen passe ich nicht mehr – ich bin komplett geschwollen. Jogginghosen werden mein tägliches Outfit. Ungeschminkt und in Jogginghose gehe ich in der Innenstadt spazieren, um mehr bequeme Dinge zu kaufen. Neben den ganzen schicken Leuten im Ersten Bezirk komme ich mir fehl am Platz vor. Langsam wird es mir egal.


 

 

Endlich Crop Tops

Seit dem Eingriff sind jetzt acht Monate vergangen. Rund ein Jahr dauert der Heilungsprozess. Nach drei Monaten geht die Schwellung etwas zurück, die Taubheit bleibt. Stück für Stück sehe ich meinen Bauch in die richtige Form kommen. Bis heute bin ich angeschwollen – mal mehr, mal weniger. Vor rund einem Monat begann ich den Bereich um die Operationsstelle wieder zu spüren - neue Schmerzen. Der Bauchgurt ist nachts mein ständiger Begleiter, nur mit ihm fühle ich mich sicher. Die Narbe quer über den Bauch ist verheilt. Sie wird zwar heller, aber für immer sichtbar sein. Das ist okay. Dort wo mein ganzes Leben nur ein undefinierbarer Strich war, ist jetzt ein Nabel. Ein echter Nabel. Früher habe ich meinen Körper gehasst, jetzt liebe ich ihn. Wann immer es geht, trage ich Crop Tops. Ich bin stolz auf meinen Body. Ich habe ihn mir hart erarbeitet. Um das endlich zu sehen, musste etwas nachgeholfen werden. Perfekt bin ich nicht. Fünf Kilo habe ich mir leider über die Zeit im Krankenbett und den Winter wieder angefressen. Die gehören weg. Die Schwellungen werden erst im Sommer ganz weg sein. Mein erster Bikini wartet schon auf mich – der erste meines Lebens!


Was ist schön?

Mein ganzer Blickwinkel auf Schönheit hat sich verändert. Schönheit ist, was einem von der Natur gegeben wird. Das zu verändern kam mir in Anbetracht der Schmerzen, die ich hatte, jetzt eigentlich dumm vor. Ich bin superhappy mit meinem Ergebnis und bereue die Bauchdeckenstraffung kein Stück. Aber das war’s für mich! Wie man OP-süchtig wird, verstehe ich nicht. Mein zu kleiner Busen, meine Dehnungsstreifen und selbst meine teilweise an anderen Stellen immer noch hängende Haut sind mir plötzlich völlig egal. Früher wollte ich immer aussehen wie die Mädls aus den Magazinen. Wenn ich jetzt die perfekten Frauen auf Instagram beobachte, beneide ich sie nicht mehr. Denn selbst die scheinbar Makellosen haben Makel, auch wenn diese nicht gleich auf den ersten Blick sichtbar sind.

 

 

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Milesi
bereitgestellt
Interview mit Dr. Dagmar Millesi ist Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie in Wien.

Bei welchen Menschen ist eine Schönheitsoperation sinnvoll?
Eine Schönheitsoperation ist dann sinnvoll, wenn ein bestimmter Makel Leidensdruck erzeugt.

In welchem Fall würden Sie von einer Beauty-OP abraten?
Ich rate etwa 10-15% meiner Patienten von einer Schönheitsoperation ab. Das sind vor allem Patienten, deren Wunsch zur Operation fremdbestimmt ist (z.B. der Partner wünscht sich eine größere Brust für die Partnerin). Abgelehnt wird auch, wenn eine falsche Erwartungshaltung besteht oder wenn der operative Aufwand, die Komplikationsrate, die entstehenden Narben in keinem idealen Verhältnis zu dem erwartenden Ergebnis stehen.

Gibt es ein Mindestalter?
In Österreich sind Schönheitsoperationen ohne medizinische Notwendigkeit bei unter 16-Jährigen verboten. Bei 16-18-Jährigen ist eine psychologische Begutachtung vor der Operation vorgesehen.

Welche Eingriffe sind in Österreich am meisten gefragt?
Am meisten gefragt in meiner Ordination sind Faceliftings mit Halsliftings, Oberlidkorrekturen, Fettabsaugungen und Brustoperationen, sowie Bauchdeckenstraffungen.

Gibt es etwas, das unbedingt zu beachten ist, bevor man sich zu so einer Operation entschließt?
Unbedingt zu beachten ist, dass eine Operation das Aussehen dauerhaft verändert. Eine Bauchdeckenstraffung oder ein Facelifting kann man nicht mehr so leicht rückgängig machen. Auch Narben sind nach bestimmten Operationen sichtbar. Das heißt, man sollte seine(n) Plastischen Chirurgen(in) sehr sorgsam auswählen und den Arzt (die Ärztin) seines Vertrauens suchen. Auch birgt jede Operation ein Narkoserisiko in sich. Ich versuche daher so oft wie möglich den schonenden Dämmerschlaf einzusetzen, um dieses Risiko zu minimieren. Weiter zu beachten sind sämtliche gesetzlichen Vorgaben wie die schriftliche Einwilligungserklärung. Wichtig ist auch, schon vor der Operation einzuplanen, dass man je nach Operationsart bis zu mehreren Wochen nicht einsatzfähig ist.

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