Internationale Organisationen erschöpfen sich

23. Juni 2015

Myroslava Gongadze ist eine ukrainische Journalistin, die seit 15 Jahren in Washington lebt und die ukrainische Redaktion des „Voice of America“ leitet. Mit biber spricht die Witwe des ukrainischen Journalisten Georgiy Gongadze, der 2000 gekidnappt und ermordet wurde, über die Medienpolitik der USA und Europas Rolle im Ukraine-Krieg, die Rolle der Medien in Konfliktsituationen und wie die Leuten sich heutzutage im Informationsraum orientieren können. 

Von Lidiia Akryshora

Myroslava Gongadze  Journalistin
Foto: zur Verfügung gestellt von Myroslava Gongadze

 

Wie sehen die europäischen und amerikanischen Medien den Ukraine-Konflikt?

Wenn ich in Europa bin, lese ich die europäischen Zeitungen, schalte den Fernseher ein und beobachte, was sie über die Ukraine berichten. Ich beobachte die Anwesenheit von vielen russischsprachigen, als auch englischsprachigen Medien in Europa. In den USA ist es nicht so. In den USA wird Russia Today, zum Beispiel, als marginal bezeichnet.

Im Allgemeinen berichten amerikanische Medien mehr oder weniger ausgewogen über den Konflikt. Trotzdem gibt es Probleme, vor allem aufgrund des schlechten Hintergrundwissens der Journalisten und Experten. Aber auch die Tatsache, dass westliche Medien die Sichten beider Seiten darstellen, ist in der Ukraine ein Problem. Sobald den Separatisten eine Plattform geboten wird, löst dies eine Empörung bei der ukrainischen Bevölkerung aus.    

Die Ukrainer sind von den Aktivitäten der UNO, OSZE, NATO in den politischen Entscheidungen ziemlich enttäuscht. Inwieweit haben die Medien heutzutage einen Einfluss auf politische Prozesse und Formierungen der öffentlichen Meinung?

In der letzten Zeit habe ich den Eindruck, dass die internationalen Organisationen lediglich nur präsent sind. Man kann keine konkreten Aktionen von ihnen erwarten. Alle diese internationalen Organisationen erschöpfen sich in den neuen Bedingungen. Heutzutage haben die sozialen Netzwerke das Gesicht des Journalismus verändert. Jede Person auf dieser Welt bekommt durch die sozialen Netzwerke eine Plattform. Die internationalen Organisationen müssen dementsprechend ihre  Strategie und Konzepte ändern bzw. anpassen.

Wo sehen Sie diese Änderungen?  

Wenn eine Beschlussfassung nur durch eine Vetomacht der UN verhindert werden kann, verlieren solche Organisationen ihre legitime Grundlage.  

Ich verstehe schon, dass die Bedingungen streng geregelt sind, z. B. wenn das Kriterium für eine Sanktion eine Aggression eines Mitgliedsstaates gegenüber eines anderen Mitgliedstaates ist. Aber internationale Organisationen verlieren ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie nicht ihre Werte verteidigen. Sie sollen nicht reden, sondern grundlegend einschreiten.  

Myroslava Gongadze  Journalistin
Foto: zur Verfügung gestellt von Myroslava Gongadze

Verstehen Sie die Neutralität in der Berichterstattung im Ukrainekonflikt?   

That is the point. Ein berühmter Journalist hat gesagt, dass wir in allen Fällen über zwei Positionen sprechen können, außer wenn es um Menschentötung oder Genozid geht. Wenn die Person getötet wird, ist es ein Fakt.

Sollten Medien immer eigene Korrespondenten vor Ort haben?

Ja, eigentlich schon. Wir versuchen, zum Beispiel, die eigenen Korrespondenten dort zu schicken. Aber wenn die Möglichkeit besteht, nutzen wir andere Quellen – Associated Press, Reuters. Es gibt internationale Agenturen, denen wir vertrauen und denken, dass sie objektiv sind. Natürlich wäre es ideal, wenn wir einen eigenen Korrespondenten vor Ort hätten. Es ist wichtig, das Prinzip einzuhalten - ganz sorgfältig maximal objektive Quellen zu suchen.

Wie soll die Berichterstattung in Konfliktsituationen ausgewogen sein?

Vor allem muss der Journalist über die Fakten berichten. Die menschlichen Geschichten sind sehr interessant und es zieht mehr Aufmerksamkeit auf sich. Wir müssen einfach die Fakten und Meinungen veröffentlichen. Ein Krieg ist eine Lebensgeschichte über die man sprechen muss. Man muss einfach die objektive Information suchen, sowohl über die Leute, die den Konflikt provozieren, ihn schärfen, als auch über die Menschen, die die eigentlichen Opfer sind.

Myroslava Gongadze  Journalistin
Foto: zur Verfügung gestellt von Myroslava Gongadze

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach, die bezahlten „trolls“ im Medienkrieg, bzw. bei der Bildung der öffentlichen Meinung?

Ich denke nicht, dass sie die öffentliche Meinung bilden, aber sie verstopfen den Informationsraum.  Sie verbreiten viele unwichtige Information, die einen Diskurs kreieren und viele Menschen unsicher macht. Darin besteht eine Gefahr. Meiner Meinung nach ist das auch das Ziel des Kremls, unwichtige Informationen zu verbreiten die dafür sorgen, dass die Menschen nicht wissen was wirklich vor sich geht.

Wie können sich die Menschen in diesem Informationschaos zurechtfinden?

Das ist schwer. Persönlich suche ich immer nach einem anderen Gesichtspunkt. Ich vertraue nie komplett dem was ich in den Medien lese. Für andere Menschen ist es ein zu großer Aufwand Sachen in Frage zu stellen. Ich suche in einem Medium ein Thema und beziehe darüber Informationen aus einem anderen Medium, um dieses Thema zu analysieren. Es gibt kein einziges Medium heutzutage, dem man ganz vertrauen kann. Man muss immer unterschiedliche Quellen analysieren. Ich nutze viel Twitter, weil dies oft eine Primärquelle darstellt.

Ich würde vorschlagen, dass man sich zwei, drei Medien aussuchen sollte, denen man vertrauen kann.  

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