"Nationalisten brauche ich nicht."

24. August 2017

Frauen würden in Bosnien bezahlt werden, einen Schleier zu tragen, behauptet Außenminister Sebastian Kurz. SPÖ Integrations-Koordinator Ahmed Husagić, geboren in Sarajevo, kann darüber nur den Kopf schütteln. Er hofft lieber auf 33%, warnt vor politischer Hetze und empfindet seit seiner Kriegserfahrung keine Angst mehr.


von Amar Rajkovic und Marko Mestrovic (Fotos)

 

Biber: ÖVP-Spitzenkandidat Kurz hat kürzlich auf spiegel.de vor dem zu großen Einfluss von Türkei und Saudi-Arabien am Westbalkan gewarnt. Konkret spricht er von Frauen, die Geld bekommen, um sich öffentlich mit dem Kopftuch zeigen zu lassen. Sie sind aus Sarajevo, stimmt das?

Ahmed Husagic: Ich kenne Sarajevo sehr gut. Es gibt tatsächlich verschiedene Einflüsse in der Stadt. Ich kenne auch die Bosnierinnen und Bosnier, und ich weiß, dass sie nicht so leicht beeinflussbar sind. Wenn die Gerüchte stimmen, dann kann es sich nur um Einzelfälle handeln. Man bedenke, dass die Stadt Sarajevo über 500.000 Menschen zählt, da müsste verdammt viel Geld fließen, damit das Stadtbild verändert wird.

 

Dabei hat Kurz den modernen Islam in Bosnien und Herzegowina wiederholt gelobt, woher die plötzliche Sorge?

Das macht man alles, um Ängste zu schüren um vor den Wahlen in der Gunst der WählerInnen zu steigen. Zuerst die Kindergarten-Studie, jetzt die verschleierten Frauen in Bosnien. Herr Kurz schreckt auch nicht davor zurück, mögliche Konflikte aus Nachbarländern zu uns zu holen. Ich finde das schrecklich.

 

Husagic, Ahmed, SPÖ, Interview, Merak

 

Die aktuellen Umfragen sehen die ÖVP weit vorne. Was macht Kurz richtig?

Ich glaube an keine Umfragen. Die Meinungsforscher haben Hillary Clinton siegen gesehen, genauso wie die Brexit-Gegner oder Marine Le Pen. Wie wir wissen, ist alles anders gekommen.

 

Es ist zumindest der Eindruck, den man gewinnt, wenn man die politischen Ereignisse verfolgt.

Wenn die Umfragen tatsächlich der Wahrheit entsprechen, dann nur weil sie auf populistischen Aussagen beruhen. Herr Kurz hat noch kein Programm vorgestellt. Die WählerInnen können ja erst die Entscheidung treffen, wenn sie die Inhalte kennen. (Anm. d. Red.: Das ÖVP-Wahlprogramm soll im September vorgestellt werden)

 

Vielleicht will der Wähler von heute keine Inhalte, nur Namen?

Die WählerInnen wollen wissen, wohin der Zug fährt.

 

"Ich wäre persönlich mit einem Ergebnis ab 33% zufrieden, um schwarz-blau zu verhindern."

 

Wohin führt der sozialdemokratische Zug?

Unser Zug fährt weiter Richtung Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter, für die Rechte von 95% der Österreicherinnen und Österreicher.

 

Wir sitzen hier in einem Ćevapi-Restaurant im 15. Wiener Gemeindebezirk, der den größten Migrantenanteil der Stadt hat. Fängt der Balkan in Wien an?

Wien ist eine multikulturelle Stadt und ein Teil des Balkans ist auch hier beheimatet. Vor allem das bunte Gastronomieangebot reflektiert die Vielfalt Wiens.

 

BK Kern hat in unserem IIZ im OKT 2016 seiner Partei 30% bei den nächsten Wahlen prophezeit. Dieses Ergebnis würden Sie wahrscheinlich Stand heute sofort nehmen, oder?

Nein, ich bin Optimist. Ich wäre persönlich mit einem Ergebnis ab 33% zufrieden, um schwarz-blau zu verhindern.

 

Husagic, Ahmed, SPÖ, Interview, Merak

 

Wie schafft man es, sich als einer der wenigen ex-jugoslawischen Kandidaten auf der Bundesliste nicht als Quotenausländer zu fühlen?

Es gibt ja genug Migrantinnen und Migranten, die für die Werte der SPÖ stehen. Da bin ich bei Weitem nicht der Einzige.

 

Auf der Bundesliste für die Wahlen im Oktober sind es nur zehn von 462 Kandidaten insgesamt, also rund 2%. Warum gibt es so wenige Menschen mit Wurzeln in Ex-Jugoslawien, die sich in der Politik engagieren?

Auf den Landes- und Regionallisten gibt es noch weitere KandidatInnen mit Wurzeln aus Ex-Jugoslawien. Es gibt aber viele AktivistInnen, die nicht in den ersten Reihen stehen möchten, uns aber unterstützen wollen, weil sie von der sozialdemokratischen Idee überzeugt sind.

 

Haben Sie den Polit-Berater Silberstein kennengelernt? Sie arbeiten ja immerhin als Integrations-Koordinator in der Parteizentrale.

Ich habe Herrn Silberstein ein paar Mal getroffen. Er war nur ein Berater und hatte keinen großen Einfluss. Wir haben diese Zusammenarbeit jetzt beendet.

 

"Die Nationalisten brauche ich nicht."

 

War es ein Fehler, mit Silberstein zusammenzuarbeiten?

Wenn sich die Gerüchte bewahrheiten, dann ja.

 

Zurück zur Ex-Ju-Community – Sie wurden als eine Person mit großem Vorzugsstimmenpotenzial geholt. Kann ein Ahmed Husagic, dessen Name eine muslimische Konfession nahelegt, beim kroatischen oder serbischen Nationalisten ankommen?

Die Nationalisten brauche ich nicht. Ich kenne sehr viele Menschen, die mit meiner Herkunft überhaupt kein Problem haben. Und ich bin ja nicht der Quotenmann. Vor allem während des Flüchtlingsansturms 2015 durfte ich mit vielen Menschen aus der autochthonen Bevölkerung zusammenarbeiten. Diese Kontakte haben mir es auch ermöglicht, so viele Vorzugsstimmen zu ergattern. (Anm. der Redaktion: Husagic hatte in der gesamten SPÖ die fünft meisten Vorzugsstimmen, kam aber nicht in den Gemeinderat weil er nur auf Listenplatz 105 gereiht war)

 

Gar keine hasserfüllten Nachrichten im Netz?

Nur vereinzelte von der autochthonen Bevölkerung wie: „Du roter Schädling. Du beschmutzt unser Österreich.“

 

"Die SPÖ ist eine große Partei mit über 200.000 Mitgliedern. Ich finde nicht jede Aussage richtig."

 

Im FPÖ-Verein „Christliche Freiheitliche Plattform“ wärst du aufgrund deines Namens wahrscheinlich nicht willkommen.

Daran bin ich auch gar nicht interessiert. Eine derartige Plattform passt zur FPÖ-Politik, die auf nationalistischer Basis aufgebaut ist und die Spaltung der Gesellschaft als Ziel hat. Vielen Menschen aus Ex-Jugoslawien ist das bewusst. Sie haben in den 90er Jahren erlebt, wie aus Worten Taten wurden und wie den Taten kriegerische Handlungen folgten - mit Hunderttausenden von Toten.

 

Versteht das aber jemand, der niemals Krieg erlebt hat? Der österreichische Wähler runzelt nach deiner Antwort wahrscheinlich die Stirn.

Ich bin überzeugt, dass viele Menschen mitfühlen. Während der Wahl zum Bundespräsidenten sprach eine über 80 jährige Frau, die den 2. Weltkrieg überlebt hat, über die Gefahren des Populismus. Meine Mutter konnte selbst nachdem im Norden Bosniens schon der Krieg ausbrach, nicht glauben, dass wir davon betroffen sein könnten.

 

Wie kannst du dann für eine Partei einstehen, deren vereinzelte Mitglieder wie Doskozil oder Nissl den Brenner zusperren wollen?

Die SPÖ ist eine große Partei mit über 200.000 Mitgliedern. Ich finde nicht jede Aussage richtig. Uns ist aber die Meinungsvielfalt innerhalb der Partei wichtig und die ist auch zu akzeptieren.

 

Husagic, Ahmed, SPÖ, Interview, Merak

 

Warum müssen immer die Ausländer für den Wahlkampf herhalten?

Angst ist das beste Verkaufsmittel. Wir sehen ständig Werbungen, die vorbeugende Medikamente anbieten und die aussagen „Kaufen Sie die Medikamente, sonst geht es Ihnen schlecht.“ Bevor man in eine Wohnung einzieht, schließt man eine Versicherung ab, weil es zu einem Wasserrohrbruch kommen könnte. Die Angst vom Unbekannten treibt die WählerInnen zu Parteien, die nicht mal ein Parteiprogramm haben.

 

Wovor fürchtet sich Ahmed Husagic?

Schau mal, ich habe den Krieg überlebt, Angst habe ich keine mehr.

 

 

Wer ist er:

Name: Ahmed Husagić

Alter: 41

Beruf: Politologe und Integrations-Koordinator in der Bundes-SPÖ

Geburtsort: Sarajevo (Bosnien und Herzegowina)

Besonderes: Husagic erlebte zusammen mit seinen Eltern die Belagerung seiner Heimatstadt Sarajevo von 1992-1995

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