"Nicht mehr lernen, Mama"

14. April 2021

Wickeltisch statt WG-Party: Der Alltag als alleinerziehende Studentin ist kein Kinderspiel.

Von Sandra Schmidhofer, Fotos: Zoe Opratko

Studieren, Alleinerziehend, Mama, Lernen
Foto: Zoe Opratko

"Nicht mehr lernen, Mama“, ruft meine Tochter. Tränen laufen über ihr Gesicht. Omas Beruhigungsversuche helfen nicht mehr. Es ist der fünfte Tag in Folge, an dem ich von morgens bis abends an meinem Laptop sitze, denn in wenigen Tagen ist Abgabetermin. Mit meinem Kind, das noch keine zwei Jahre alt ist, habe ich seit Tagen nur in meinen Schreibpausen gespielt. So läuft es jedes Mal, wenn ich eine Seminararbeit abgeben oder für Prüfungen lernen muss.

Ich war gerade im dritten Semester meines Bachelorstudiums in Kultur- und Sozialanthropologie, als ich schwanger wurde. Damals war ich 21 Jahre alt und von Beginn an alleinerziehend. Und damit war ich nicht alleine: 7,5 % aller österreichischen Student:innen haben Kinder. Das ergibt die Studierenden-Sozialerhebung 2019. Das sind in etwa 22.400 Personen. Alleinerziehend sind etwa 2.800 Studierende, darunter fast nur Frauen. Auch bei meinen alleinerziehenden Freundinnen Corinna und Katharina, 30 und 24 Jahre alt, hat sich während des Studiums Nachwuchs angekündigt. Katharina hat genauso wie ich Kultur- und Sozialanthropologie studiert, Corinna Spanisch und Französisch auf Lehramt. Unser Alltag auf der Uni hat sich mit der Geburt schlagartig geändert. „Bis kurz vor dem Entbindungstermin habe ich Seminararbeiten geschrieben, eine davon musste ich in den Wochen nach der Geburt fertigstellen“, erzählt Katharina. Das war auch bei mir so. Ausruhen im Wochenbett? Ja, mit Baby im Arm und Laptop am Schoß. Denn Deadline ist Deadline, auch wenn man gerade ein Baby bekommen hat.

Keine klassische Karenzzeit

Kurze Zeit später saß ich schon wieder im Hörsaal. Meine Tochter war zwei Monate alt und blieb während der wenigen Lehrveranstaltungen, die mir noch gefehlt haben, meistens mit Oma zuhause. 2019 schloss ich mein Studium ab. Aber der Weg war kein leichter - wie bei Corinna. Sie hat ebenfalls zwei Monate nach der Geburt ihrer Drillinge wieder angefangen, für Prüfungen zu lernen. Katharina hingegen blieb ein Jahr zuhause. Ein schlechtes Gewissen hatten wir alle. Egal ob zwei oder zehn Monate: Die Zeit mit dem Baby war zu kurz.

Warum sind wir nicht länger zuhause geblieben?“, frage ich beide. „Ich habe jetzt einen Menschen mehr, für den ich sorgen muss. Da wollte ich schnell fertig werden, um finanziell besser aufgestellt zu sein. Ich hatte auch das Gefühl, dass die Gesellschaft von mir erwartet, mein Studium möglichst bald zu beenden. Es gibt schließlich viele Vorurteile gegenüber jungen Müttern ohne Job und ohne abgeschlossene Ausbildung“, erzählt Katharina. Jaja, ATV‘s „Teenager werden Mütter“ lässt grüßen. „Gleichzeitig wird aber erwartet“,fährt Katharina fort, „dass man so lange wie möglich mit dem Kind zuhause bleibt.“ Die schnelle Rückkehr zur Uni hatte für uns trotzdem was Bereicherndes. Durch das Studieren konnten wir einen Teil unseres „alten“ Lebens behalten. Leichter wurde es deswegen nicht, ganz im Gegenteil. In einer Facebookgruppe studierender Eltern der Universität Wien tauschen sich Jungmütter darüber aus, wie Studieren mit Baby in der Praxis am besten funktioniert. Einige Mütter erzählen, dass sie ihr Baby im Tragetuch mit in die Vorlesung bringen. Bei anderen warten Kind und Betreuungsperson vor dem Hörsaal. Als ich das lese, fühle ich mich erleichtert. Corinna, Katharina und ich sind nicht alleine!

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Foto: Zoe Opratko

"Kommst du mit auf ein Bier?"

Student:in sein ist mehr als nur Studieren. Jedenfalls vor der Pandemie. „WG-Leben, auf Partys gehen, sich selbst finden. Sich vielleicht politisch oder sozial engagieren, eine Weltreise machen. Das alles gehört für mich zum Unileben dazu. Bei mir ist das weggefallen“, so Katharina. Wenn mich Studienkolleg:innen fragten „Kommst du mit auf ein Bier?“, musste ich meistens ablehnen. Nicht, weil ich keine Lust gehabt hätte. Nicht, weil ich nicht gerne mit Unikolleg:innen Freundschaften schließen wollte. Sondern weil ich nachhause zu meinem Baby wollte. Im Uni-Alltag aus Vorlesungen und Seminaren beschäftigt uns Alleinerziehende allerdings diese Frage am meisten: Wer passt auf die Kinder auf?

Regelmäßige Betreuung gibt es in Kindergärten, Schulen und Horten. Doch wohin mit den Kleinen, wenn Seminare am späten Nachmittag, Übungen am Abend und Blockveranstaltungen am Wochenende stattfinden? Corinna und ich haben Familie und Freundinnen in der Nähe, die gerne aufpassen. Das ist ein Riesenvorteil. Doch der gute Wille alleine reicht nicht aus. Die Frage, ob Oma oder die Freundin auf mein Kind aufpassen können, hängt auch von deren Berufstätigkeit, Gesundheit und Belastbarkeit ab. Da sich Lehrveranstaltungszeiten jedes Semester ändern, muss alle paar Monate neu organisiert werden. Da kann es auch passieren, dass mal keiner Zeit hat. Und was dann? „Mich hat man schon gefragt, warum ich mir keine Nanny nehme. Wie soll ich mir das bitte leisten können?“, fragt Corinna ein wenig belustigt, den Vorschlag findet sie absurd. Laut Studierenden-Sozialerhebung können 61 % der alleinerziehenden Studierenden keine:n Babysitter:in finanzieren. Für Studierende mit Kindern ist es so fast unmöglich, das Studium ohne Verzögerungen abzuschließen.

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Foto: Zoe Opratko

Wer keine Betreuung findet, kann nicht zur Lehrveranstaltung und nicht für die Prüfung lernen. Chronischer Schlafmangel, weil das Baby nachts ständig aufwacht, macht weniger leistungsfähig. Und wenn das Kleinkind im Winter alle zwei Wochen krank ist, kommt man auch nicht wirklich voran. Corinna kann davon ein Lied singen: „Ohne Kinder hätte ich mein Studium 2019 abgeschlossen. Jetzt haben wir 2021 und ich bin immer noch nicht fertig.“ Warum sind wir eigentlich so abhängig von unserem privaten Umfeld? Wo ist die Unterstützung durch die Universität?

Bremes zeigt, wie's geht

Dass es nicht so sein muss, zeigt ein Blick zu unseren nördlichen Nachbarn. Katharina studiert nicht mehr in Wien, sondern an der Universität Bremen in Deutschland. „Hier gibt es vier Unikindergärten. Pädagogik-Studierende bieten kostenlose, flexible Kinderbetreuung an und bekommen dafür ECTS-Punkte. Es gibt Betreuungsräume für Kinder, einen großen Spielplatz in der Mensa, Kinder essen gratis.“ Wow! Was für mich wie ein Märchen klingt, ist für meine Freundin Realität. Von Angeboten wie diesen kann man in Wien nur träumen. Uni-Kindergärten haben zu wenig Plätze, außerdem sind sie fast doppelt so teuer wie städtische Kindergärten. Was vor allem fehlt: Eine Möglichkeit, Kinder spontan und für kurze Zeit betreuen zu lassen, ohne dabei pleite zu gehen. Wenn ich bei Ikea ein neues Sofa kaufe, geht das. Dort gibt es nämlich einen Kinderbereich. Wenn ich am späten Nachmittag zum Bachelor-Seminar muss, geht das nicht – denn Platz für Kinder gibt es an den Universitäten nicht.

Ich habe bei den zuständigen Stellen der Uni Wien nachgefragt, warum das so ist. Die Antworten sind ernüchternd: Eine flexible Kinderbetreuung scheitere an einer schwierigen Gesetzeslage, sagt mir Karoline Iber, eine Mitarbeiterin des Rektorats der Universität Wien. Einen Lernraum für Studierende mit Kindern gibt es aus Versicherungsgründen nicht. Wirklich nachvollziehen kann ich das nicht. In Wien gibt es knapp 25 Eltern-Kind-Cafés, aber die größte Hochschule Österreichs schafft die Umsetzung eines notwendigen Angebots aus „versicherungstechnischen Gründen“ nicht? Auch die anderen Hochschulen in Wien haben diesbezüglich wenig zu bieten. Studierenden mit Kindern unter die Arme zu greifen, scheint auf der Prioritätenliste nicht weit oben zu stehen.

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Foto: Zoe Opratko

So kann es nicht weitergehen

Ich würde so gerne nach dem Diplomstudium weiter studieren“, erzählt Corinna, „aber ich schaffe das nicht mehr. Die körperliche und mentale Belastung ist zu hoch.“ Ich habe mir schon nach meinem Bachelor-Abschluss gedacht: „Noch zwei Jahre für den Master packe ich nicht.“ Mehr Unterstützung würde vieles erleichtern. Das, was Universitäten bisher bieten – (teure) Unikindergärten, Betreuung während der Ferien, Still- und Wickelräume, Infobroschüren, Vernetzungsgruppen für Studierende mit Kind(ern) – ist toll, es reicht aber nicht aus. Ausreden ziehen nicht mehr. Woran es uns fehlt, wird schließlich seit Jahren erhoben. Da muss mehr gehen! 

 

 

STUDIEREN MUSS MAN SICH LEISTEN KÖNNEN
Viele Studierende gehen nebenbei arbeiten. Für Alleinerziehende ist das schwierig. Die Studierenden-Sozialerhebung zeigt, dass Student:innen mit Kindern im Schnitt 71 Wochenstunden für Studium und Kinderbetreuung aufwenden. Für sozialbedürftige Studierende gibt es die Möglichkeit, Studienbeihilfe zu beantragen. Ob ein:e Student:in als sozialbedürftig gilt, hängt vor allem vom Gehalt der Eltern ab. Für das Selbsterhalterstipendium muss man mindestens vier Jahre gearbeitet haben. Wer die Kriterien nicht erfüllt, von der eigenen Familie aber finanziell nicht unterstützt wird, muss im schlimmsten Fall das Studium schmeißen. Bei Louise, einer ehemaligen BOKU-Studentin, war das so: „Mir haben nur noch ein paar Prüfungen gefehlt. Ich fand keine Arbeit, die mit Studium und Kinderbetreuung vereinbar gewesen wäre. Auf Studienbeihilfe hatte ich auch keinen Anspruch, Mindestsicherung bekommt man keine, wenn man studiert. Ich habe mein Studium dann nicht abgeschlossen, weil ich es mir nicht leisten konnte.“

 

NACHGEFRAGT IM BÜRO VON BILDUNGSMINISTER HEINZ FASSMANN:
Was macht das Bildungsministerium, um vor allem alleinerziehenden Müttern das Studieren zu erleichtern?
Es gibt bereits seit mehreren Jahren Maßnahmen, die die besondere Situation von Studierenden mit Kindern berücksichtigen.Erhöhte Altersgrenze für Studierende mit Kind(ern) (35 statt 30 Jahre); Berücksichtigung von Schwangerschaft und Kindererziehung als Gründe für die Verlängerung der Anspruchsdauer und diverser anderer studienförderungsrechtlicher Fristen. Studierende mit Kind(ern) erhalten unabhängig von ihrem Alter und Wohnsitz die Höchststudienbeihilfe. Zusätzlich erhalten sie für jedes Kind einen Zuschlag von 112 Euro monatlich. Studierende mit Kind(ern), die sich in der Studienabschlussphase befinden, erhalten einen Zuschuss zu den Kinderbetreuungskosten.
Für die Bemessung des Anspruchs auf Studienbeihilfe wird das Gehalt der Eltern herangezogen. Gibt es hier Sonderregelungen für Studierende mit Kindern? Die Lebenserhaltungskosten von Studierenden mit und ohne Kinder unterscheiden sich ja stark.
Das Studienförderungsgesetz enthält Sonderregelungen für die Beurteilung der sozialen Förderungswürdigkeit von Studierenden mit Kind(ern): Bei diesen dürfen die Eltern etwas mehr verdienen. Somit ist nicht nur die Studienbeihilfe von Studierenden mit Kind(ern) höher, sie haben auch bei etwas höherem Einkommen der Eltern eher noch eine Chance auf Studienbeihilfe.
Warum gibt es keinen generellen Anspruch auf Studienbeihilfe für Alleinerziehende?
Die soziale Förderungswürdigkeit ist in erster Linie vom Einkommen der Eltern der Studierenden abhängig. Die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber studierenden Kindern endet nicht, wenn diese selbst ein Kind haben. Eine generelle Förderung aller Studierenden mit Kindern (oder auch nur aller Alleinerziehenden) unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der unterhaltspflichtigen Eltern würde den Prinzipien des österreichischen Studienförderungsrechts widersprechen.

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