«Niemand verlässt seine Heimat ohne Grund »

18. November 2015

Gründe zur Flucht sind so unterschiedlich wie die Menschen, die kommen. Nicht immer ist Krieg oder Armut die Ursache. Einige müssen die Heimat aufgrund ihrer Sexualität verlassen und finden sich dann in einem Land wieder, in dem sie sein dürfen, wie sie sind.

Von Steven Meyer

„Im Iran ist man vor niemandem sicher“, erzählt Samir* in seinem spärlich eingerichteten Zimmer, das er erst vor wenigen Tagen bezogen hat. Außer einem Einzelbett, einer Kommode und einem Wasserkocher ist hier nicht viel. Samir musste sein Land aufgrund seiner sexuellen Orientierung verlassen. Freiwillig ist er nicht hier, er hatte nur einfach keine andere Wahl. Samir ist nämlich schwul und musste sich in seiner Heimat, einer kleinen Stadt im Norden des Iran, immer verstecken.

Der Iran ist eines von acht Ländern dieser Welt, das laut Gesetz Homosexualität mit dem Tode bestraft. Weltweit ist Homosexualität in insgesamt 75 Staaten illegal und wird strafrechtlich verfolgt. Nach Schätzungen von Amnesty International wurden alleine im Iran seit der Islamischen Revolution 1979 ungefähr 4000 Homosexuelle staatlich getötet.

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„Das konnte er nicht ertragen“

Samir ist 31 Jahre alt, nicht sehr groß und hat kurzrasierte Haare. Wenn er redet, wirkt er sehr zurückhaltend, fast ängstlich. Vor 18 Monaten ist Samir mit einem Studierendenvisum nach Österreich gekommen. In Wien studiert er nun medizinische Informatik und lebt in einer Wohngemeinschaft mit drei schwulen Männern, die aus Nigeria und Somalia geflohen sind. Vor einem halben Jahr hat er einen Asylantrag gestellt, damit er Wien nie wieder verlassen muss.

Als Samir 21 Jahre alt war, lernte er auf  der Universität im Iran seinen späteren Freund kennen. Er half Samir dabei, sich selbst zu verstehen und zu akzeptieren. Sie zogen schließlich zusammen. Als jedoch herauskam, dass sie ein Paar waren, wurden beide bedroht, beleidigt und irgendwann von der „Basidsch“ vorgeladen. Die Basidsch ist eine regimetreue Volksmiliz, die als inoffizielle „Hilfspolizei“ arbeitet. Beim Verhör wurde Samirs Partner vergewaltigt. „Das konnte er nicht ertragen, deshalb beging er Suizid“, erzählt Samir.

Darüber zu reden, fällt ihm schwer. Unruhig schaut er sich im Raum um und beendet das Thema sehr schnell. Er möchte die traumatischen Erlebnisse in seinen Gedanken nicht zulassen und nicht näher darauf eingehen. Sein Psychotherapeut hat ihm geraten, sich nicht zu oft an seine Vergangenheit zu erinnern. Das versucht er auch, doch die Gedanken lassen ihn bis heute nicht los. Da Transsexualität im Iran legal ist, wäre eine Geschlechtsangleichung für Samir die einzige Möglichkeit gewesen, ein offenes Leben im Iran zu führen. "Ich wollte aber als Mann weiterleben. Ich bin so geboren, das muss ich akzeptieren und die anderen auch", erzählt er.

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„Ich kann mich nicht öffnen“

Seine Erfahrungen begleiten Samir noch immer überall hin. Er hat sich sein Leben lang versteckt, auch heute in Wien. „Nach 30 Jahren gewöhnt man sich daran. Ich kann mich nicht öffnen“, erzählt er. Selbst wenn er seine Heimat vermisst, ist er sehr froh hier zu sein. Durch den Verein „Rosa Lila Villa“ in Wien, der sich aktiv für LGBTTIQ Personen einsetzt, wird er unterstützt und konnte viele Freundschaften schließen. Aus der Villa kennt Samir auch Alex*, der aus Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens, kommt und seit 2012 in Österreich lebt. Alex ist ein relativ kleiner, etwas kräftigerer Mann, der sehr herzlich ist. Auch er musste sein Heimatland verlassen, weil er schwul ist.

In Tschetschenien, wo bis 2009 noch Krieg herrschte, ist Homosexualität nicht illegal, Amnesty International beklagte aber schon oft die instabile Lage im Land und die weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen. In der autonomen Teilrepublik Russlands wurden schon oft Vorwürfe wegen Folter und Mord laut. Menschen verschwinden hier einfach. Außerdem gilt seit 2013 in Russland ein Gesetz, das die „Propaganda“ von Homosexualität verbietet. Human Right Watch wirft Russland deshalb vor, einen Freibrief zur Diskriminierung geschaffen zu haben.

Seit er 14 Jahre alt ist, wusste Alex, dass er schwul ist. Da er keine Informationen und niemanden zum Reden hatte, dachte er etwas stimmt nicht mit ihm. „Ich dachte ich wäre krank“, erzählt Alex. Im Studium lernte er mit 19 Jahren dann einen schwulen Freund kennen mit dem er reden konnte. Alex führte schließlich auch eine Beziehung, bei der beide jedoch immer sehr vorsichtig waren und sich versteckten.

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„Es war eine Katastrophe“

In Tschetschenien gibt es keine LGBTTIQ Organisation, über seine Arbeit in einer Menschenrechtsorganisation lernte er jedoch andere homosexuelle Menschen kennen. Sie wurden Freunde. Hier konnten sie offen reden und ihre Erfahrungen teilen. Im Laufe der Zeit wurde es aber immer deutlicher, was es bedeutet, in diesem Land homosexuell zu sein.

Einer seiner Freunde beging mit 15 Jahren Suizid. Ein anderer wurde vom eigenen Vater umgebracht. Ein weiterer vom eigenen Enkel aus dem 5. Stock eines Hauses gestoßen. Morde, die im Namen der „Ehre“ begangen wurden. In Tschetschenien keine Seltenheit.  Alex ist beim Erzählen dieser Ereignisse sehr gefasst und abgeklärt. Es wirkt, als hätte er Abstand von sich und diesen Erinnerungen. Als würde er gar nicht von seinen eigenen Erlebnissen reden, sondern von denen einer anderen Person. Dabei hätte es Alex ähnlich ergehen können.

Seine Familie hat irgendwann ein Gespräch zwischen ihm und seinem Freund im Internet gelesen. „Es war eine Katastrophe und ein großer Konflikt“, sagt Alex. Seine Familie wurde wütend und wollte, dass er getötet wird. Sein eigener Cousin drohte ihm mit Mord. Alex packte seine Sachen, verschwand zu einem Freund und buchte einen Flug nach Moskau. Am Tag der Abreise wurde er aber gewarnt, dass sein Cousin am Flughafen auf ihn warten wird um ihn zu töten.

 

Flucht als letzte Möglichkeit

„Für ihn wäre es leicht gewesen mich zu töten“, sagt Alex. Der Cousin ist radikal muslimisch, hat eine Waffe und gute Kontakte zum Oberhaupt Tschetscheniens Ramsan Kadyrow. Aus diesem Grund floh er mit dem Bus nach Moskau, wo er untertauchte. Die Erlebnisse und die Flucht machten Alex krank. Er wurde depressiv und dachte sogar daran, sich das Leben zu nehmen. Trotzdem – oder gerade deshalb – arbeitete er weiter für die Menschenrechtsorganisation, für die er bereits in Tschetschenien gearbeitet hatte. Die Arbeit, die dann für ihn noch zum Problem wurde.

Alex Familienname stand, aufgrund seiner aktivistischen Arbeit, auf einer schwarzen Liste der tschetschenischen Regierung und er wurde national gesucht. Aus diesem Grund fühlte er sich auch in Moskau nicht sicher. Die Angst, dass die Polizei ihn findet, war zu groß.

Trotzdem veranstaltete Alex mit der Organisation 2012 ein geheimes Treffen für LGBTTIQ Personen in einem Hotel. Alle gaben falsche Namen an, doch jemand im Hotel scheint sie verraten zu haben. Das vermutet Alex jedenfalls. In der Nacht tauchte der russische Geheimdienst FSB auf und suchte nach ihm. „Zu diesem Zeitpunkt war ich aber schon zuhause. Ich wusste aber, dass ich fliehen muss“, erzählt Alex. Wenige Tage später flog er nach Wien, wo er am Flughafen in der Transitzone einen Asylantrag stellte. Von dort wurde er dann nach Traiskirchen gebracht und später in ein kleines Dorf in Tirol. Mittlerweile lebt er in Wien und führt eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Sein Partner ist ebenfalls ein ehemaliger Aktivist, der vor einem Jahr aus Minsk flüchten musste.

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„Ich fühle mich hier einfach nicht sicher“

Nach Tschetschenien möchte Alex nie wieder in seinem Leben. Aber auch in Wien begleitet ihn die Angst noch immer. Unter anderem weil hier viele Menschen aus Tschetschenien leben. „Ich könnte meinen Partner niemals auf der Straße küssen. Es ist schwer zu erklären, aber ich fühle mich hier einfach nicht sicher“, sagt er.

In der Rosa Villa haben Alex und Samir Freunde gefunden, denen es ähnlich geht. Hier können sie sich austauschen. Das macht ihr Leben etwas leichter, auch wenn beide ihre Vergangenheit niemals richtig hinter sich lassen können. Irgendwann möchte Samir seine Familie im Iran besuchen. „Ich hatte auch gute Erfahrungen im Iran, aber niemand verlässt seine Heimat ohne Grund“, erzählt er.

 

* Namen wurde abgeändert

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