„Nur Opfer belästigen Frauen!“ - Gewaltprävention an Schulen

21. Oktober 2021

 

Workshop - Gewaltprävention an Wiener Mittelschulen (Foto: Soza Jann)
Foto: Soza Jann

Nach einer coronabedingten Pause ist biber gemeinsam mit ausgebildeten Trainerinnen wieder an Wiener Schulen unterwegs, um mit Jugendlichen über Gewalt, Rollenbilder, Stereotype und Selbstbewusstsein zu reden. Es war ernst, es war lustig, es war erfrischend ehrlich.

Von Aleksandra Tulej, Fotos: Soza Jan

"Man kann keinen Jungs vertrauen, glauben Sie mir, Frau Renate!“, sagt die 12-Jährige Milica* ernst. Ihre Mitschülerinnen stimmen ihr nickend zu. Wir befinden uns im lichtdurchfluteten Turnsaal einer Wiener NMS im zehnten Bezirk. Nach einer coronabedingten Pause ist die biber-Redaktion jetzt wieder gemeinsam mit den Vereinen „Drehungen“ und „poika“ an Wiener Neuen Mittelschulen sowie AHS unterwegs – im Rahmen des Projekts „Ich bin kein Opfer – und auch kein Täter.“ Gemeinsam versuchen wir, Themen wie veraltete Geschlechterrollen, Gewaltprävention, Stereotype und Selbstbewusstsein an die SchülerInnen zu bringen. Genau in ihrem Alter sind diese Bereiche prägend und enorm wichtig. Philipp Leeb vom Verein „poika“ und Renate Wenda vom Verein „Drehungen“ sprechen mit Jugendlichen in dreistündigen Workshops über Belästigung, Flirten, Rollenbilder, Genderkonstrukte, Körpersprache, Grenzen, und bringen auch einige Selbstverteidigungstechniken bei. Die Klasse wird geteilt, Mädchen und Buben sind getrennt. So fällt es leichter, sich auszutauschen und Probleme anzusprechen, die in dem Alter vorherrschend sind.

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Die Mädchen lernten Selbstverteidigungstechniken, die sie im Falle des Falls anwenden können (Foto: Soza Jann)

Es wurde viel gelacht und gescherzt - aber auch ganz ernst diskutiert. (Foto: Soza Jann)
Es wurde viel gelacht und gescherzt - aber auch ganz ernst diskutiert. (Foto: Soza Jann)

FUSSBALL IST MÄNNERSACHE

„Schauen Sie. Wenn wir mit den Jungs Fußball spielen, dann spielen sie nur miteinander und passen uns den Ball nicht zu, weil sie sagen, dass Fußball eh nix für Mädchen ist“, erklärt Milicas Klassenkameradin Hülya*. „Dabei sollten Sie mal sehen, wie gut die Lena ist, die spielt besser Fußball als alle anderen – auch als die Jungs. Beste einfach!“, wirft sie erbost ein. Kollektive Zustimmung. „Wenn die uns provozieren, dann würden wir sie am liebsten schlagen“, dröhnt es aus einer Ecke. Trainerin Renate diskutiert mit den Mädchen darüber, wie sie mit solchen Provokationen seitens der Burschen umgehen können. „Was habt ihr dann davon?“ „Naja, eine Anzeige wegen Körperverletzung wahrscheinlich“, überlegt eine andere Schülerin laut. „Sich zu verteidigen ist wichtig – aber nicht mit Wut, sondern mit Köpfchen!“, erklärt Renate und gibt psychologischen Rat. Jungs zu erklären, dass sie eine Meinung von Vorgestern haben, und es keinen Grund dafür gibt, heute noch so zu denken, sitzt viel tiefer. „Wisst ihr, das war ganz früher so, dass Fußballspielen für Frauen sogar gesetzlich verboten war – aber wie lange ist das schon her!“, sagt sie. Und als rückschrittlich und altmodisch will wohl niemand bezeichnet werden – vor allem keine pubertierenden Jungs.

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Trainer Philipp von Poika beantwortete geduldig alle Fragen der Jungs. (Foto:Soza Jann)

KEINE PUSSY SEIN

Die wollen vor allem eines sein: Stark, tough und – männlich. Aber was bedeutet das überhaupt? Genau dieser Frage geht Trainer Philipp Leeb mit den Jungs der Klasse nach. „Was bedeutet das, ein Mann zu sein?“, schreibt Philipp an die Tafel. „Yarak haben!“, „Geld nachhause bringen!“, „Eine Frau haben!“, „Keine Pussy sein!“, „Sich für die Familie anstrengen!“, „Der Mann im Haus sein!“ wird wild durcheinandergerufen. Auf die Frage, was denn „Der Mann im Haus“ bedeutet, haben auch wieder alle eine Antwort. „Männer verdienen das Geld, sind Polizisten, Handwerker, Architekten und so. Frauen machen halt leichte Arbeit“, zuckt Ali mit den Schultern. Die Diskussion vertieft sich, und es wird immer mehr klar, dass mit „leichter Arbeit“ Hausarbeit gemeint ist. Die Jungs sollen aufzählen, was alles dazu gehört, und die Liste wird immer länger: Kochen, Putzen, sich um die Kinder und die Wohnung zu kümmern und und und. „Okay, na gut, so leicht ist das dann auch wieder nicht“, lautet die Conclusio. Die Message kommt an. Als Trainer Phillip erklärt, dass auch Männer in Karenz gehen können und Kinderbetreuung keinesfalls nur Frauensache ist, ist die Verwunderung am Anfang groß – im Laufe der Diskussion kristallisiert sich aber heraus, dass „das eh irgendwie cool ist.“ Die Jungs stellen viele private Fragen an uns und die Trainer, sie beginnen, sich dafür zu interessieren, was wir ihnen näherbringen möchten. „Aber schauen Sie. Frauen haben es halt einfacher. Eine Frau kann einen Mann ansprechen, ohne dass man ihr gleich Belästigung vorwirft!“, sagt Ömer* und die anderen stimmen ihm zu. Wie er denn Mädchen anspricht, wollen wir wissen. „Naja. Man muss schon so zwei Minuten plaudern, bevor man nach ihrem insta fragt. Aber alle wollen mein insta, ich bin ja ein sexy Typ“, sagt der neunmalkluge 12-Jährige.

„Was bedeutet es, der Mann im Haus zu sein?“ Diese Frage sorgte für angeregte Diskussionen
„Was bedeutet es, der Mann im Haus zu sein?“ Diese Frage sorgte für angeregte Diskussionen (Foto: Soza Jann)

ELEKTROSCHOCKER FÜR DEN HEIMWEG

Trainer Philipp erklärt, in welchen Settings es in Ordnung ist, Frauen anzusprechen, und dass man auch mit Ablehnungen umgehen lernen muss – es ist ein Prozess, der zum Erwachsenwerden dazugehört. Wir sprechen auch darüber, was Flirten und was Belästigung ist. Angesichts der unglaublich hohen Zahl an Femiziden in Österreich allein dieses Jahr ist dieses Thema unumgänglich. Wir erzählen den Jungs von unseren eigenen, teils sehr persönlichen Erfahrungen mit sexueller Belästigung, Grapschern und Verfolgungen am Heimweg. Wir sprechen darüber, dass das so gut wie jeder Frau schon einmal wiederfahren ist. Plötzlich wird es still. „Oha, ich wusste nicht, dass das so oft vorkommt. Welche Opfer machen sowas?“, murmelt ein Schüler. „Aber dann kaufen Sie sich am besten einen Elektroschocker oder einen Taser, dann sind Sie sicher!“, wirft ein anderer einen gut gemeinten Ratschlag ein. Dass das nicht so einfach ist und Gewalt an Frauen ein strukturelles Problem ist, wird zu unserem nächsten Thema an diesem Vormittag. Wir sprechen darüber, dass sexuelle Belästigung viel früher anfängt als bei Vergewaltigungen. Mädchengruppen nachzupfeifen, das finden sie alle blöd. „Das machen nur Opfer“, wird kollektiv abgewunken. „Wenn eine Frau vor mir geht und es Dunkel ist, dann wechsel ich lieber die Straßenseite, damit sie sich nicht erschreckt“, gibt sich Klassen-Babo Ömer* plötzlich verständnisvoll. „Gute Idee, das werd ich auch so machen ab jetzt“, stimmen die anderen ein. Während die Mädchen-Gruppe von Renate Selbstverteidigungstechniken beigebracht bekommt, über Grenzen und Zustimmung spricht, dringt bei den Jungs die Message durch, warum das alles kein Spaß ist.

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"Schwaches Geschlecht? Wer sagt heute sowas?" (Foto:Soza Jann)

„DU SCHAUST PORNOS? GEH MAL BETEN, ALTER.“

Bei all den ernsten Gesprächen wird aber auch viel gescherzt – natürlich ist das Thema Sexualität eines, das in diesem Alter omnipräsent ist und die Gemüter erhitzt. „Wie? Pornos sind gespielt? Wie jetzt?“, fragt ein Schüler mit ehrlicher Unwissenheit. „Du schaust Pornos? Geh mal beten, Alter!“, rügt ihn sein Klassenkamerad. Wir sprechen darüber, dass Pornographie nicht das echte Sexleben abbildet, darüber, was Zustimmung ist, über Anatomie und Gefühle. Sie alle haben viel zu sagen, aber durch die Diskussionen entstehen immer mehr Fragen – Trainer Philipp beantwortet alles geduldig und verständnisvoll. Und hinterlässt somit einen bleibenden Eindruck. „Schade, dass es schon vorbei ist heute, war echt cool“, sagt Yasin* am Ende des Workshops. Was ihm so gut gefallen hat, wollen wir wissen. „Man konnte endlich frei sprechen, über alles, was wir wollten. Das war so toll. Außerdem habe ich gelernt, dass man Frauen respektieren muss. Aber sie uns auch.“ resümiert er.

* Die Namen der SchülerInnen wurden von der Redaktion geändert.

 

ÜBER DIE VEREINE:

VEREIN DREHUNGEN: Kurse für Mädchen und Frauen, um Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstverteidigung zu fördern. Prävention gegen verbale, physische und psychische Gewalt an Frauen und Mädchen. www.verein-drehungen.at

POIKA: Verein für gendersensible Bubenarbeit in Ergänzung und Zusammenarbeit mit Mädchenarbeit. Poika orientiert sich an emanzipatorischen Modellen, die es den Buben ermöglichen sollen, in reflektierter Umgebung sich mit diversen Themen wie Geschlechtskonstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit, Berufsorientierung, Gewalt, Sexualität, uvm. auseinanderzusetzen. www.poika.at

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