Stadt - Land - Migrant

10. Dezember 2013

Migranten am Land sind überintegrierte Möchtegern-Ösis. Migranten in Wien passen sich nicht gerne  an und haben keine österreichischen Freunde. Böse Vorurteile oder wahre Worte? biber macht den Stadt-Land -Check.

Von Fedora Chudoba, Nour Khelifi, Anna Pranić und Marko Mestrović (Fotos)

Die einen haben eine Lederhose im Schrank hängen, die anderen laden sich Rapper Edo Maajka aufs Handy. Während die einen mit „Servas!“ grüßen, brüllen die anderen schon auf 20 Metern: „Abi, was läuft?“. Türke ist nicht gleich Türke und die Herkunft der Eltern weckt nicht immer Solidarität innerhalb der Community. Eine biber-Recherche unter neuen Österreichern, die in Wien bzw. am Land aufgewachsen sind, zeigt: Nicht nur die Muttersprache und der soziale Status prägen. Migranten, die am Land aufwachsen, ticken oft anders als ihre Mit-Migranten in der Großstadt.

„Ich nehme mal an, dass die Jugos in Wien eher in die Hauptschule gehen und dann hackeln, so wie die reden“, meint Ivana  P. aus Oberösterreich. „Jeder zweite meiner Kunden in der Post im 20. Bezirk ist Ausländer und spricht kein Deutsch. Ich glaube, die wollen sich nicht wirklich integrieren, da kann ich den Frust der Österreicher schon verstehen.“ Harte Worte für jemanden, dessen Eltern selbst Kroaten sind. Dagegen feuert Manuel I., ein „stolzer“ Serbe aus dem 21. Bezirk: „Ich denke, dass Leute, die auf dem Land aufgewachsen sind, strenger sind und mehr Wert auf österreichische Bräuche und Traditionen legen. Das trifft auch auf die ,Ausländer' dort zu.“

Klischee oder Wahrheit?

Fassen wir also zusammen: Die Wiener Migranten sprechen kaum Deutsch und bleiben gern in ihren Communitys. Sie meiden die Österreicher, wollen sich nicht integrieren und ihr Nachwuchs stylt sich, als ob er direkt aus einem Gangster-Rap-Video kommt. Dagegen merkt man den Land-Migranten ihre Herkunft kaum an. Dialekt prägt ihre Sprache. Österreichische Werte sind tief verankert und die alte Heimat ist nur noch ein Urlaubsort. Alles blöde Vorurteile kann man jetzt sagen, aber erfunden sind diese Merkmale nicht. Denn Tatsache ist: Es gibt einen Unterschied zwischen Familien mit Migrationshintergrund, die sich am Land angesiedelt haben und jenen, die nach Wien gezogen sind.

Wien ist die ausländerreichste Stadt Österreichs. 40 Prozent aller Migranten in Österreich leben hier. Jeder dritte Wiener hat nicht-österreichische Wurzeln. Die nächstgrößeren Städte Graz und Linz hinken beim Migrationsanteil weit hinterher: Graz mit 24 Prozent und Linz mit 26. Das macht es in Wien leichter „unter sich“ zu bleiben und wirkt sich auch auf die Sprache aus. Denn wenn Goran bei Božidar arbeitet, können sie in ihrer Muttersprache miteinander reden. Das geht schneller und ist vermutlich für beide einfacher. Unter Jugendlichen, die in Wien aufwachsen, entsteht ein eigener Slang. „In der Stadt vermischt man gerne Ausdrücke aus anderen Sprachen mit deutschen und verwendet so ein Mischmasch aus Wiener Dialekt, Wannabe-Ghetto-Slang und Fremdwörtern, von denen man nicht immer die Bedeutung kennt“, sagt Anisa B., eine 18-jährige Bosnierin, die in Wien aufgewachsen ist. Am Land geht das nicht so einfach. Oft ist man die einzige ausländische Familie im Ort und ohne Sprachanpassung steht man ohne Chancen auf Job oder Gemeinschaft da.

Kinder als Integrationsmotoren

Kenan Güngör, Soziologe, erklärt das genauer: „Im Dorf oder in einer Kleinstadt ist die lokale Verwurzelung der Einheimischen viel stärker. Jeder kennt jeden, ein von außen Kommender bleibt länger fremd. Das macht Integration zuerst schwierig, aber wer sich anpasst, wird in die Gemeinschaft aufgenommen und ist es dann weit stärker als in der Stadt.“ So lasse sich auch erklären, warum die aufs Land gezogenen Migranten ihre neue Heimat eher annehmen. Es gibt dort nur ganz wenige, die ihre alten Werte, Symbole und Gewohnheiten teilen. Also nehmen sie die neuen an. Wenn zum Beispiel Galatasaray gegen Dinamo Kiew spielt, kann man in Wien ins türkische Lokal gehen und sich das Spiel mit vielen anderen Türken gemeinsam auf einem türkischen Sender anschauen. Am Land kann man das entweder alleine zu Hause tun, oder mit den Nachbarn zum SV-Grödig-Spiel gehen. „Zwangsintegriert“ nennen das einige Befragte aus Wien. Jelena P., aus dem 10. Bezirk, kann es auch verstehen: „Sie haben noch mehr mit Rassismus zu kämpfen als wir in Wien, aufgrund der sehr konservativen und auch ausländerfeindlichen Mentalität am Land.“

Den größten Unterschied machen allerdings die Schulen. „Kinder sind die Integrationsmotoren“, ist Kenan Güngör überzeugt. „Kindergarten und Schule fordern von Anfang an eine Sozialisierung. Im Gegensatz zur Stadt, wo der Schüler sich eine Sprachgruppe aussucht und meist in dieser bleibt, muss er sich am Land der Mehrheitssprache anpassen.“  So war es auch bei Ivana. Sie ging in einen österreichischen Kindergarten, hatte nur eine ausländische Freundin in der Volksschule und war die einzige Migrantin im Gymnasium. Fragt man hingegen Wiener Jugendliche, ob sie Freunde mit Migrationshintergrund haben, kommt fast immer: „Ja, klar! Fast ausschließlich.“

Jugobitches auf der Ottakringer Straße

Während manche Wiener Jugos durchgestylt zum Ceca-Konzert gehen, die Ottakringer Straße unsicher machen und schon von weitem durch Zurufe wie „Jebo te, wie geht’s dir?“ zu hören sind, machen die vom Land öfter „österreichische Dinge, wie Kirtag oder ähnliche Festln“, wie Jelena meint. Okay, vielleicht nicht nur Kirtag oder Wiesn, aber auch Ivana kann bestätigen: „Ich war noch nie auf der Ottakringer Straße unterwegs und diese Jugobitches mit ihren 15-Zentimeter-Hacken und Gürtelröcken sind nur in Wien so oft zu sehen.“

„Das mag schon stimmen“, meint Soziologe Kenan Güngör, „nur hat das weniger mit dem Faktor Ausländer zu tun, als mit dem übereinstimmenden Milieu“. So sammeln sich Menschen aus gleichen Arbeits-, Bildungs- und Wertekreisen und bilden eigene Subkulturen. Natürlich kann da auch das Herkunftsland eine Rolle spielen. In Wien sammeln sich die verschiedenen Gruppen in eigene Stadtteile, zu denen oft auch Migranten gehören, und bleiben unter sich. Was in den 60ern mit den ersten Gastarbeiterschüben begann, ist oft bis heute so geblieben.

Österreichfeindlich

Melisa A., aus Purkersdorf, findet, dass man den Wiener Migrantenkindern noch heute eine gewisse Österreichfeindlichkeit ansehen kann, obwohl die meisten hier geboren und aufgewachsen sind. „Viele sind patriotisch, fast nationalistisch ihrer alten Heimat gegenüber. Ich habe weit weniger Vorurteile Österreichern gegenüber und traditionellere Wertvorstellungen. Migranten aus der Stadt leben eher planlos, haben weniger Respekt – YOLO.“ „Ich bin Ausländer. Ich darf das“, soll es nur in Wien zu hören geben.

Urteile wie diese führen noch zu etwas anderem: Migranten vom Land, die nach Wien gezogen sind, vermischen sich selten mit ihren Stadtgenossen. Ivana erzählt: „Auch nachdem ich nach Wien gezogen bin, habe ich keine Jugo-Freunde gefunden. Man muss eben voll in den Kreisen drin sein, um diesen ,Jugostil' zu bekommen.“ Gleichzeitig antworteten viele Befragte aus der Stadt: „Ich kenne keine Menschen mit Migrationshintergrund, die am Land aufgewachsen sind.“

Eines aber möchte Kenan Güngör noch betonen: „Es gibt nicht nur ein Entweder -oder!“ Ja, wissen wir eh. Lustig ist es trotzdem.
 

YOLO* trifft Servas

Die eine ist in Wiens härtestem Bezirk aufgewachsen, die andere in einem 4000-Seelen-Kaff in Oberösterreich. Die biber-Redakteurinnen Anna und Nour im Stadt-Land-Fight.

Von Nour Khelifi

Egal ob Ivana, Mehmet, Mary-Jean oder Johannes – du findest sie alle in meinem Freundeskreis. Angefangen haben meine Beobachtungen im Kindesalter auf dem Spielplatz. Fast alle Nationalitäten haben sich da zusammengefunden und miteinander gespielt. Und sich danach gefetzt. Es gab zwar nicht viele Tunesier wie mich, aber dafür reichlich Türken und Jugos. Die ganze Zeit nur Deutsch zu reden, war uncool, ich musste mir also etwas einfallen lassen. Mit der Zeit habe ich so einige Brocken Türkisch und B/K/S gelernt, um endlich mitmischen zu können. Auch österreichische Kinder haben eingesehen, dass in mehreren Sprachen reden –und schimpfen – viiieeel lässiger rüberkommt, als nur das klassische „Blöde Kuh“, oder „Ich sag  dich meiner Mama!“.  Ich bin in nahezu jeder Community integriert. Und dann kommen Leute wie Land-Anna daher und werfen mein Weltbild um. Keine Ahnung von Community, „Jebo te“, oder Multikulti. Anna, diese Stadt ist zu hart für dich.
 

„Bist du Schwabo?“

Von Anna Pranić

Gruber, Schuster, Berger, Wittmann, Pranić...Moment mal, Pranić? Richtig, ein „IĆ“ hat sich immer konsequent durch das Klassenbuch gezogen. Ein kleines „IĆ“, das am Lande aufgewachsen ist und mehr Österreicher als Jugo ist. An gscheid’n Dialekt haben, am Sonntag lieber Schnitzel als Sarma essen und auf jeden Fall Halligalli am Kirtag statt Turbo-Folk auf der Ottakringer Straße – ja, so ist das, wenn die kroatischen Eltern in ein 4000-Seelen-Kaff  nach Oberösterreich ziehen. Ob ich Schwabo bin, werde ich in Wien gefragt, sobald ich meinen Mund aufmache. Ok, ich mag für euch wie ein Landei klingen, aber der Wortschatz in der Großstadt scheint mir ebenso eng begrenzt zu sein. Egal wohin ich gehe,  er schwört, sie schwört, Nour schwört! Ganz ehrlich: Könnt ihr euren Wortschatz nicht etwas erweitern? Die deutsche Sprache hat mehr zu bieten als „ICH SCHWÖRRRE, Oida!“

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