Wanted: Migranten für den Häfn

10. November 2014

Menschen aus über 50 Nationen sitzen hinter Gittern. Doch vom Personal versteht sie fast niemand. Kaum ein Justizwachbeamter hat Migrationshintergrund. Mit einem neuen Auswahlverfahren ab 2015 soll das Gefängnispersonal internationaler werden. 

Text: Maida Dedagic, Fotos: Marko Mestrovic 

Tageslicht ist rarer als Zigarettenqualm in der Justizanstalt Josefstadt. Die Stimmung ist genauso bedrückend, wie die alten Wände des Betonbaus von außen wirken. Die grüne Farbe auf Gitterstäben und Stahltüren trägt hier eher zur Hoffnungslosigkeit bei: Schön ist hier nichts, wir sind eben im Gefängnis. Bunt ist im „Grauen Haus“ einzig die Personenvielfalt.

 

Unter den 8863 Insassen in österreichischen Gefängnissen halten sich In- und Ausländer annähernd die Waage. Rund 45 Prozent sind nicht-österreichisch. Im Ballungszentrum Wien vergrößert sich der Prozentanteil ausländischer Staatsbürger nochmal auf 54 Prozent. Zwar verrät die Staatsbürgerschaft nichts über tatsächliche Sprachkenntnisse, doch die Gefängnispopulation ist mit über 50 Nationalitäten und Sprachen aus unterschiedlichen sozialen Schichten so herausfordernd wie der Umgang mit ihren Delikten.

Auf der anderen Seite steht das Gefängnispersonal, das kaum multikulturell gewappnet ist. Auf „maximal 10 Prozent“ schätzt die Direktion die Zahl der Wachbeamten mit Migrationshintergrund. Das soll sich ab Jänner 2015 mit einem neuen Auswahlverfahren ändern. Justizminister Wolfgang Brandstetter hat sich mit Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz beraten und beschlossen den Migrantenanteil in der Justizwache zu erhöhen. So wie in Schweden, wo Brandstetter ein Gefängnis besuchte, in dem Wachbeamte über 30 Sprachen und Kulturen abdeckten. Schwer beeindruckt kam er mit neuen Zielen für österreichische Häfn zurück: „Mitarbeiter mit Migrationshintergrund bringen kulturelle Vielfalt, von der man im Gefängnisalltag profitieren kann“, heißt es auf Anfrage. Die neuen Ausschreibungen sollen MigrantInnen gezielt ansprechen. Mit dem Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) entwickelt man einen Kurs, der auf die neue Aufnahmeprüfung vorbereiten soll.

 

„MIT HÄNDEN UND FÜSSEN“

„Derzeit verständigt man sich mit Händen und Füßen mit den Gefangenen“, beschreibt Kerstin Scheuchl, stvd. Leiterin der Vollzugsdirektion-Personalabteilung die Alltagskommunikation wenig beschönigend. „Das ist eben so. Man schaut, dass Mitinsassen beim Übersetzen aushelfen, wenn sie etwas mehr Deutsch oder Englisch beherrschen. Dolmetscher werden nur in äußersten Fällen bestellt. Dabei würden mehr Kollegen mit Migrationshintergrund nicht nur die Verständigung mit Gefangenen erleichtern. Sie wären auch für mehr kulturelles Verständnis unter Bediensteten gut“, sagt Scheuchl.

 

Migranten sind in der Justizwache unterrepräsentiert. Das Problem sei nicht, dass man keine Migranten wünscht, sie bewerben sich einfach kaum, sagt die Personalleitung. Nachdem die Anweisungen des Justizministers kamen, ist man bei der letzten Ausschreibung für die Justizanstalt Josefstadt extra die Namensliste nach „ausländisch klingenden Namen und Sprachkenntnissen“ durchgegangen: Auf 400 Bewerber kommen auch da nicht mal 10 Prozent zusammen.

 

EIN SICHERER JOB

An schlechter Bezahlung kann es in der Justizwache nicht liegen. „Es ist ein sicherer Job. Das Gehalt ist in dem Beruf sehr positiv“, verrät Karl M. Der 26-Jährige arbeitet bereits seit sechs Jahren als Justizwachbeamter in der Josefstadt und verdient um die 2.300 Euro netto. Vielleicht liegt es doch eher am Job selbst?

„Griaß di. Servus“, grüßen Karl und seine Kollegen sich ständig im Vorbeilaufen. Durch die 26 Abteilungen bringen die Wachbeamten Gefangene aus den Hafträumen zur Vorführzone, zum angeschlossenen Landesgericht, zur Spitalzone oder zurück von ihrem Besuch oder ihrem Arbeitsplatz. Einige sind im Selbstversorgungsbetrieb Gefängnis in der Bäckerei, der Kantine, in der Elektroreparatur oder der Tischlerei angestellt. Eigentlich ist Mittagspause, aber sie wollen lieber eine Stunde länger arbeiten statt essen zu gehen. „Sie haben Geld auch lieber. Das ist hier wie überall“, kommentiert der verantwortliche Wachbeamte in der Tischlerei. Auch einige Bedienstete in Muskelshirts verzichten auf ihr Mittagessen: „Viele Kollegen nutzen die Pause, um trainieren zu gehen.“ Karl kennt sie alle, von den Wachbeamten in der Aufnahmestelle, wo Häftlinge ihre sieben Sachen abgeben, bis zur Kollegin am Wachposten am Dach, wo man mit Blick auf Wien. die Gittergrenzen kontrolliert. „Man verbringt so viel Zeit gemeinsam in den Schichten. Natürlich kennen sich alle untereinander. Man macht auch mal privat was zusammen und schließt Freundschaften.“

 

Viel Zeit bedeutet für Justizwachbeamte sechs Tage die Woche, wobei man jeden sechsten Tag eine 24-Stunden- Schicht einlegen muss. Wenn Karl in seiner Freizeit unterwegs ist, verrät er seinen Beruf oft gar nicht. „Nicht weil ich ihn nicht mag, aber die Menschen draußen wissen einfach nichts über meinen Job. Es kommen immer die gleichen Fragen und Vorurteile.“ Durch den Flur tönt wieder „Grüß Gott“: Ein asiatisch-, ein afrikanisch- und ein europäisch-stämmiger Häftling schieben in Begleitung eines österreichischen Wachbeamten gerade einen Putzwagen zum Lift. „Man hat es jeden Tag mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun. Ich mag vor allem die Abwechslung an dem Beruf “, zieht Karl sein Fazit.

 

MUSLIME ZU MUSLIMEN. TSCHETSCHENEN ZU TSCHETSCHENEN.

Aktuell kommen rund 520 Bedienstete auf 1250 Gefangene in der Josefstadt. Im größten Gefängnis Österreichs mit der hohen Fluktuationsrate sitzen zu einem Großteil Untersuchungshäftlinge - Männer, Frauen, Jugendliche. „Viele Menschen hier sind psychisch auffällig. Sie haben die Grenzen der Gesellschaft nicht erkannt. Sie kennen alle Tricks, insofern ist es ein gefährlicher Job. Aber gleichzeitig ein sozialer, denn wir versuchen sie wieder an die Gesellschaft heranzuführen“, sagt Anstaltsleiterin Helene Pigl. Im Haus werden die Grenzen von der Leitung klar gezogen. „Man muss schauen, dass man den Schwerverbrecher nicht mit einem Kleinkriminellen zusammentut. Dass Muslimen zu Muslimen, Frauen zu Frauen, Tschetschenen zu Tschetschenen kommen, dass man die Nation mit der Nation und die Sprache mit der gleichen unterbringt.“ Die Organisation ist nicht einfach, sie hat aber den Vorteil, dass Zimmernachbarn beim Dolmetschen aushelfen. Am ersten Tag bekommt jeder Gefangene die Hausordnung in seiner Muttersprache ausgehändigt. Danach müht man sich auf Deutsch, Englisch und eben dem, was die Insassen sich selbst untereinander übersetzen, ab.

 

FRISCH EINGELIEFERT

„Gerade wenn jemand frisch eingeliefert wird, wäre es wichtig, dass ein Justizwachbeamter da ist, der helfen kann sich zu orientieren und seine Angehörigen zu verständigen “, bemerkt Walter Kriebaum von der Strafvollzugsakademie. „Es gibt viel Unverständnis dem Gegenüber, sprachlich, kulturell und religiös bedingt“, fügt Gerhard Pichler, der Leiter der Akademie hinzu. Die beiden arbeiten derzeit intensiv an dem neuen Auswahlverfahren mit.

Dass ein Justizwachbeamter mit serbokroatischen Kenntnissen in der Josefstadt aber gar nicht möchte, dass man weiß, wo er herkommt, weil Gefangene meinen, man sei einer von ihnen und dieses und jenes wollen, scheint ihnen nachvollziehbar „Jetzt ist ein Migrant einer von 200 in der Justizwache. Es ist die gleiche Situation wie bei Frauen früher. Heute sind Frauen in dem Beruf selbstverständlich und das soll bei Menschen mit Migrationshintergrund auch so werden“, betont Pichler.

 

„ÄCHTE DIE TAT, ACHTE DEN TÄTER!“

“Warum bist du Justizwachbeamter geworden?“, fragen wir Karl M. „Es lag in der Familie“, antwortet er. Scheinbar alle, die wir im Häfn treffen, arbeiten da, weil Vater, Onkel oder Bekannte bereits in der Justizwache tätig waren.

„In der Öffentlichkeit ist der Job nicht präsent oder wird missverstanden“, sagt Kriebaum. Die Falter-Geschichten über Missbrauch & Co in Gefängnissen sitzen offensichtlich tief: „Es ist ärgerlich, wenn man einen „Dolm“ als repräsentativ für die Justizwache darstellt. Wir brauchen hier keine Rächer der Gesellschaft, sondern Menschen, die für Sicherheit sorgen und den Beruf gleichzeitig als sozial verstehen.“ Die Zukunft soll mehr Bewegung ins Gefängnis-Personal bringen. 

 

 

SO SCHAFFST DU ES IN DEN KNAST

Bisher war die erste Hürde ein Diktat, bei dem 50 Prozent aller Bewerber gleich durchfielen. Ab 2015 wird ein EDV-unterstütztes, bundesweit einheitliches Verfahren eingeführt.

 

VERFAHREN: Multiple-Choice-Test (Text- und Rechenkompetenz, Allgemeinbildung und Basiswissen über den Strafvollzug), Hindernis- Parcours, 3.000-Meter-Lauf, psychologischer Test, Bewerberinterview.

 

VORAUSSETZUNGEN: Österreichischer Staatsbürger, mind. 18 Jahre alt, abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung, Wehrdienst oder Zivildienst (bei männl. Bewerbern), Unbescholtenheit, Harntest, Lungenröntgen; BewerberInnen mit einem Übergewicht über 15 %, über 3 Dioptrien und Tattoos im sichtbaren Bereich sind nicht exekutivdiensttauglich.

 

PLUSPUNKT: Wer weitere Sprachkulturen mitbringt, wird bei ansonsten gleicher Eignung bevorzugt. 

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