„Was ich am Balkan mag, sind diese Grauzonen"

09. September 2021

Rade Petrasevic
Künstler Rade Petrašević

Rade Petrašević ist einer der gefragtesten Künstler Wiens. Bei einem Besuch in seinem Atelier in Ottakring erzählt er vom Teppichschleppen mit zwölf und dem Coming-out, das er nie hatte.

Von Nada El-Azar, Fotos: Mafalda Rakoš

„Rado, Radu, Radek – so viele Leute haben nie meinen Namen richtig aussprechen können. Deswegen habe ich mir einfach Rade auf den Arm tätowieren lassen. Wann immer mich jemand nach meinem Namen fragt, zeige ich einfach auf das Tattoo. Es vereinfacht viele Dinge“, grinst Künstler Rade Petrašević. Wir befinden uns in seinem Atelierkeller in Wien-Ottakring, der Boden trocknet wegen der starken Regenfälle der letzten Wochen an manchen Stellen immer noch nicht. Zwischen einigen seiner Gemälde liegen Tuben, Pinsel, Zettel, Zigarettenstummel, Getränkekisten, CDs, Holzboxen und allerlei sonderbare Artefakte. Seit 2018 bezieht der Wiener mit bosnisch-serbischen Wurzeln das Atelier – so richtig gemalt hat er aber seit April dort nicht mehr. „Andere würden das wahrscheinlich als Krise bezeichnen. Pausen sind aber manchmal gut. Ich brauche eben einmal Abstand von der Arbeit. Passiert öfter“, zuckt er mit den Schultern und zieht an seiner Zigarette.

Rade Petrasevic
Rades erstes Tattoo war übrigens ein Chanel Logo, das er sich in Hamburg stechen ließ.

Rade Petrasevic
Filzstiftzeichnungen in Ölfarben - so wird Rades typischer Malstil am besten beschrieben.

„Der Traum meines Vaters war immer mit mir zusammen am Bau zu arbeiten.“

Rade lehnt an einem dicken Stapel großformatiger Bilder, die er noch zu fotografieren hat. Am meisten hasst er an seiner Arbeit das Erstellen von Portfolios. „Sonst gibt’s eigentlich nichts, das mich nervt. Ich bin eh froh, dass ich Geld verdienen kann, mit dem, was mir Spaß macht“, so der 38-Jährige. Geboren und aufgewachsen ist er im 5. Bezirk, Nähe Eichenstraße, wo er auch heute noch wohnt. „Eigentlich ist die Gegend beim Gürtel dort geil, weil ich Lärm brauche. Ich weiß noch, als ich klein war, gab es immer ein Gürtelfest für Kinder und es gab überhaupt keine Zebrastreifen. Schon krass, wie wir mit acht Jahren da rumgespielt haben, während die Autos über den Gürtel fetzten.“ Sein Vater, ein Bosnier aus Banja Luka, hat auf dem Bau gearbeitet. Er kam bereits in den 70er-Jahren nach Wien, wo er auch Rades serbische Mutter kennenlernte. Die künstlerischen Ambitionen ihres Sohnes haben die beiden anfangs kaum unterstützt. „Der Traum meines Vaters war immer, mit mir zusammen am Bau zu arbeiten. Wir haben das eh lange gemacht, als ich noch Malerei studiert habe. Manchmal kam ich um vier Uhr nach Hause und eine Stunde später hämmerte er gegen meine Tür, weil um halb sechs Dienstbeginn war. Er wohnte ja lustigerweise nur eine Straße weiter als ich“, erinnert sich Rade. Bereits mit 15 zog er gemeinsam mit seiner zwei Jahre älteren Schwester aus. In das Malereistudium sei er hineingerutscht, wie er beschreibt. Bewerben konnte man sich dort einfach ohne Matura. Die Schule hatte er abgebrochen, genauso wie die Spenglerlehre.

Rade Petrasevic
Geordnetes Chaos im Atelier.
Rade Petrasevic

Malereistudium mit Rich Kids, Nebenjob am Bau

2004 wurde er an der Akademie der Bildenden Künste aufgenommen, studiert hat er zunächst bei Franz Graf, später wurde seine Klasse von Daniel Richter übernommen. „Damals war es noch nicht cool, Kunst zu studieren. Es war mehr ein Akt der Rebellion. Heute sind alle so karriereorientiert und wissen ganz genau, was sie machen wollen. Als Student hab‘ ich mir die Haare immer selbst geschnitten, hab gestunken und zu Beginn gar nicht gecheckt, dass ich mit so vielen Rich Kids studiere. Erst später hab‘ ich mich gefragt, wie die das eigentlich alle machen. Irgendwo muss ja die Kohle herkommen. Ich habe immer gehackelt, schon mit zwölf habe ich die Teppiche im Geschäft meiner Mutter geschleppt. Und dann eben am Bau gearbeitet mit meinem Vater, damit ich Geld für Farben bekomme“, so der Maler. Abgebrochen hat er übrigens auch das Malereistudium. Was hätte er davon gehabt, fragt er sich. „Wenn man sich schon mit Bildern dort bewirbt, ist man eh schon in der Sache drin. Der Professor an der Bildenden ist auch nicht hierarchisch über dir, sondern, wenn man es korrekt nimmt, ein Kollege und wird auch als solcher angesprochen.“

Erfolgreich ist Rade Petrašević mit seiner Arbeit trotzdem geworden. Erst in diesem Jahr gestaltete er eine große Installation an der Außenwand der Kunsthalle Wien am Karlsplatz. Vertreten ist er in Wien von der Galerie Christine König, in London und Venedig in der Galerie Alma Zevi. Zusätzlich ist er für den Kardinal-König-Kunstpreis nominiert, der alle zwei Jahre verliehen wird. Im November wird es dazu eine Ausstellung in Salzburg geben. Aus vergangenen Interviews hängt ihm seine Aussage „All Gallerists Are Bastards“ nach. Er beharrt immer noch darauf. „Gerade in Wien trauen die sich gar nichts. Die warten ab, bis ein Künstler im Ausland schon Erfolg hatte und kommen erst dann auf dich zu, mit dem Argument, die hätten dich länger schon beobachtet. Es ist zum Kotzen“, winkt er ab.

Rade Petrasevic

Tanzende Skelette und „Leatherboys“

Seinen charakteristischen Stil, zweidimensionale Filzstiftzeichnungen in Ölfarben anzufertigen, kam auch aus dem Grund zustande, dass er sich als ungeduldigen Maler sieht. Gewöhnlich haben Ölfarben eine sehr lange Trockendauer, manchmal bis zu mehreren Wochen. Er verdünnt deswegen die Farben mit Terpentin. „Sonst hätte ich keine Nerven dafür. Verdünnt wird die Farbe in Nullkommanix trocken.“ In Rades Atelier finden sich etliche Stücke von Konstruktionsholz und Winkeln, um die Leinwände selber auf Rahmen zu spannen. Während dieses Prozesses kommen ihm häufig schon die ersten Ideen, was das Motiv betrifft. „Irgendetwas kumuliert dabei, ich kann es schwer erklären.“ Vom Vorzeichnen auf Papier nimmt er Abstand, weil die Gemälde dann oftmals zu steif wirken. Er bevorzugt es, mit einem schmutzigen Pinsel direkt auf den Leinwänden zu skizzieren. Einige Arbeiten sind auch auf Duschvorhängen oder Einweg-Tischtüchern gefertigt. In seinen Gemälden interpretiert Rade klassische Darstellungen, wie etwa Stillleben, neu. Gegenstände, die einfache Assoziationen auslösen, Colaflaschen und Zimmerpflanzen zum Beispiel, kommen in seinen Werken genauso vor, wie moderne Annäherungen an expressive, tanzende Skelette aus dem Danse Macabre des 14. Jahrhunderts, Elemente aus Internet- und Memekultur oder Darstellungen von schwulen „Leatherboys“, die von den Zeichnungen des berühmten Tom of Finland inspiriert sein könnten. Offene Drogenreferenzen und Homosexualität sind Rade Petraševićs Arbeiten imminent. In seiner Familie ist seine Homosexualität kein Thema. Ein Coming-out hatte der Künstler nicht. „Ich hatte einfach einen Freund, der ständig mit mir zu Ausstellungen gegangen ist und irgendwann haben meine Eltern wohl eins und eins zusammengezählt. Don’t ask, don’t tell“, grinst er.

Rade Petrasevic
Großformatige Bilder malt Rade auch gerne auf Duschvorhängen und Einwegtischtücher.

„Sie sind wie Ameisen.“

Die Wiener Behäbigkeit schätzt Rade Petrašević sehr an seiner Heimatstadt. Doch auch unten am Balkan ist er gerne. „Was ich am Balkan mag, sind diese Grauzonen. Leute bleiben einfach am Gehsteig oder auf einer zweispurigen Brücke mit dem Auto stehen, springen kurz zum Bäcker rein, und alle schimpfen zwar, aber warten einfach mal kurz. Die Bullen fahren vorbei, aber whatever. Was irgendwie voll jugo ist, ist, dass Leute so neugierig sind und immer alles wissen müssen. Sie sind überall, wie Ameisen“, lacht er. Das Tratschen ist in seiner Wahrnehmung der normale Informationsaustausch am Balkan. „Meine Tante in Bosnien würde auf ein offenes Fenster zeigen und mir was über die dort lebende Frau erzählen, obwohl ich das gar nicht wissen will. Aber was ich cool finde, ist, dass man mit Fremden ins Gespräch kommen kann. Im Supermarkt stehen dann irgendwie fünf Leute zusammen rum und reden über irgendeinen Scheiß, als ob sie sich kennen würden.“ In Wien würde man dafür für einen „Weirdo“ gehalten werden, ist sich Rade sicher. Momentan lernt er Hebräisch mit einem Onlinekurs. Durch ein Auslandssemester in Israel hat er sich für die Sprache begeistern können. Und auch in LA wohnte er schon für einige Monate. „Und ich hab auch mal in Berlin gelebt, aber mir war das irgendwann zu viel dort. Es geht nur ums Partymachen und Ketamin nehmen und das nervte. Und die Gay-Szene dort war so merkwürdig professionell und unentspannt. Typen zeigen quasi auf die Uhr und sagen, in vier Tagen bin ich im Darkroom und lasse was-weiß-ich dort mit mir machen. Wien mag ich am liebsten, weil es einfach bequem hier ist.“

Rade Petrasevic

 

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