"Ich verliebe mich in die Person und nicht in ein bestimmtes Geschlecht"

26. März 2015

Stéphanie Sokolinski alias SoKo, die französische Sängerin mit polnisch-russichen und italienischen Wurzeln tourt gerade mit ihrem neuen Album „My dreams dictate my reality“ durch Europa.
Ihre Musik ist sensibel wie eine frische Wunde und entwaffnend ehrlich wie die Indie-pop Sängerin selbst.
Sie traf mich kurz vor ihrem Konzert im Flex, einem Schauplatz meiner verruchten Jugend für ein Interview und plauderte über die Tiefgründigkeit einer versauten Autowäsche, Dreierbeziehungen und den Tag der Toten. Danach hob ich sie hoch um ihren Rücken zu stretchen und bekam zum Abschied ein Küsschen auf die Wange.

von Aurora Orso

Soko at Flex in Vienna, 2015
Foto by Jo Swarzynska

biber: Das erste Lied welches wir von deinem neuen Album zu hören bekamen „Who wears the pants“ ist sehr feministisch und sehr kraftvoll. Hast du das Gefühl dass deine Kunst politischer oder queerer*(Erklärung in Fußzeile) wird?
Nicht wirklich. Solche Bewegungen machen mir eher Angst. Das liegt daran, dass ich so leidenschaftlich bin. Wenn ich etwas tue, tue ich es zu hundert Prozent. Wenn ich mich also engagieren würde, würde ich es so lange machen wollen, bis ich es geschafft habe, etwas zu verändern. Doch es ist meine Bestimmung Musik und Kunst zu machen, nicht Politik. Mir ist es lieber, großartig in dem zu sein was ich tue, als etwas zu machen, das andere von mir erwarten und schlecht darin zu sein.

 

Aber du kannst politisch sein, ohne einer Bewegung anzugehören.
Ich weiß! Doch sobald du dich als etwas Bestimmtes definierst, verbietest du dir andere Dinge zu sein. Du verkleinerst deinen eigenen Horizont, wirst engstirnig.
Und das bin ich nicht. Ich liebe Männer und liebe es, sie in ihrer Kunst zu unterstützen. Ich stehe nicht nur auf Frauen, ich liebe alle. Ich finde es wunderbar, dass jeder kreative Outputs hat und darüber spricht was für ihn oder sie wichtig ist.
Dieses Lied ist definitiv feministischer als andere. Es spricht von meiner sexuellen Orientierung und kritisiert Homophobie.
 Aber ich möchte ich nicht in eine Schublade stecken lassen und mich als etwas Bestimmtes kategorisieren. Wenn ich mich verliebe, verliebe ich mich in eine Person und nicht in ein bestimmtes Geschlecht.

 

Viele deiner Songs handeln von Liebe, doch „Temporary Mood Swings“ ist ziemlich versaut.
Versaut?? (sieht mich an als wäre ich wahnsinnig)

 

Ja, das Musikvideo von deinem neuen Lied!
Achso! Ich dachte du meinst das Lied selbst. Ich dachte mir schon “Was ist versaut daran verletzlich zu sein?!”
Der Song ist nämlich so etwas wie eine Entschuldigung dafür, dass ich immer so emotional bin und über Leute mir meine Gefühle vorwerfen. Ich finde es wunderschön Emotionen zu zeigen.

Werfen dir Leute deine Gefühle vor?
Ja, als ich aufwuchs. Wenn ich weinte oder meine Meinung äußerte wurde ich als “schwierig” bezeichnet. Anstatt die Unterschiede der Kinder zu fördern versuchen Eltern oft ihre Kinder so formatieren wie alle anderen zu sein. So war es jedenfalls bei mir. Ich finde das schrecklich nervtötend.
Naja, der Liedtext spricht jedenfalls davon, dass wir alle nur temporär sind und wir alle unsere Spur so hinterlassen möchten, wie wir es für richtig halten und uns nicht von anderen sagen lassen sollten, wie wir zu leben haben.
Das Video für „Temporary Mood Swings“ ist entstanden weil ich eine Autowaschanlage gesehen habe und Lust hatte ein versautes Video damit zu machen. Jemand der mich an der Leine zur Autowaschanlage zwingt symbolisiert einerseits die Gesellschaft, die mir sagt mich an alles anzupassen und anderseits wasche ich mich sozusagen frei von meinen Sünden und erneuere mich. Es ist also einiges mehr als bloß ein versautes Video.

 

Soko before her show at Flex in Vienna, 2015
Foto by Jo Swarzynska

Was hälst du von polygamen Beziehungen (Liebesbeziehungen zu mehrt)?
Ich denke, meine Traumbeziehung wäre mit einem Mann und einer Frau weil ich beides mag. Aber es ist noch nie passiert. (lacht)
Meine Beziehungen sind sehr kompliziert, weil ich Angst habe. Ich bin sehr romanitsch und Liebe die andere Person so stark, dass ich sie oft vergraule.

 

Du wohnst in Los Angeles, bist aber Französin und hast polnische und russische Wurzeln.
Was ist für dich Heimat?

Ich wohne bereits seit 7 Jahren in LA und es ist definitiv mein zuhause. Hier kann ich voll und ganz ich selbst sein und bin inspiriert. Der Rhythmus dieser Stadt ist so relaxed im Gegensatz zu Paris- in Paris kannst du auch nie alleine sein und ich brauche viel Zeit für mich selbst.


Ich sehe gerade, du hast einen Ohrring der “Virgen de Guadalupe” (Schutzpatronin von Mexiko). Was hältst du von der mexikanischen Herangehensweise an den Tod (Anm: anstatt die Toten zu betrauern, weil sie tot sind, ist man dankbar für die Zeit, die man mit ihnen verbringen durfte und feiert ein farbenfrohes Fest; den „Dia de Muertos- Tag der Toten“)?Ich mag den Gedanken, dass der Tod Anlass zum Feiern sein kann. Das ist nicht mein Ansatz aber ich wünschte, ich könnte ein wenig mehr so sein.

 

Wie ist dein kreativer Schaffensprozess?
Ich muss immer eine Weile meine Emotionen in mir kochen lassen bis einfach alles raus muss. Ich denke nie „Jetzt muss ich eine Platte machen und Lieder schreiben!“ Wenn ich ausgeruht bin, genügend Neues erlebt habe und neue Erfahrungen gesammelt habe, kommt es einfach über mich.

 

Wie war es für dieses Album?
Ich habe das Gefühl, dieses Album war sehr transformativ für mich. Ich musste mich durch Dinge in meiner Vergangenheit durcharbeiten, um in der Gegenwart glücklicher zu sein. In dem Album geht es um meine Kindheit und die Albträume und Visionen, die ich hatte. Ich dachte, ich bin verantwortlich für den Tod von Menschen, die mir nahe standen.
Es geht viel um düstere Dinge doch auf eine Art die diese Dinge akzeptiert und sie nicht anklagt. Es hat mich stärker gemacht und hat mir geholfen positiver und leichter zu sein.

 

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