"Politik hilft mir, meine Wut zu kanalisieren"

07. September 2015

Die Neos-Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger über korrupte Politiker, benachteiligte Kinder und wie sie manchmal aus Wut den Parlamentssessel packt. 

von Amar Rajkovic, Simone Egarter und Christoph Liebentritt (Fotos)


Biber: Man nimmt Ihnen Ihre Glaubwürdigkeit von Neubau bis Alsergrund gerne ab, aber wie sieht es mit den NEOS in Favoriten oder Simmering aus?

Meinl-Reisinger: Super sieht es aus. Das sind unsere stärksten Bezirksgruppen. Gerade in Simmering und Favoriten gibt es überproportional viele Leute, die sich engagieren. Wir haben unseren Wahlkampfauftakt in der SimmCity.

 

Beate Meinl Reisinger, NEOS, Kaffeesud, Mystik,
Christoph Liebentritt

 

Denkt man an die NEOS, stellt man sich Altbauwohnung und Dachterrassen vor …

Wir sind eine breit aufgestellte Bewegung. Bei uns gibt es Lehrlinge und Manager. Außerdem ist unsere Politik ein Angebot an alle Menschen, die dringend eine Änderung des politischen Systems wollen. Selbst in Simmering gibt es viele unzufriedene Menschen. 

 

Wie bewerten Sie die Arbeit Ihrer Partei und wie haben sich die zwei Jahre im Parlament ausgewirkt?

Wir sind jetzt seit zwei Jahren im Nationalrat und sind ein wenig brav geworden, das sage ich selbstkritisch. Matthias Strolz und ich haben aus Protest unsere Sessel aus dem Parlament getragen oder im Juli Neuwahlen gefordert. Als uns die Journalisten fragten, warum wir das tun - schließlich könnten wir wieder aus dem Parlament fliegen – bin ich etwas sauer geworden. Genau darum geht es! Wenn ich nur an meinen Nationalratssessel denken würde, brauche ich keine Politik zu machen.

 

Ganz selbstlos und im Dienste des Bürgers also?

Es nutzt mir auch, denn ich kann damit meine Wut kanalisieren. Aber einfach war es nicht, eine neue Partei zu gründen und uns gegen das ganze Establishment zu stellen. Es fühlt sich gut an, denn man ist tätig und schimpft nicht nur vom Sofa aus.

 

"Politik hilft mir, meine Wut zu kanalisieren."

 

ÖVP-Spitzenkandidat Juraczka würde Sie gerne in seinen Reihen zurückempfangen. Im biber-Interview sagt er, nur die ÖVP vertritt die Bürger. Was sagen Sie dazu?

Ich werde sicher nicht zur ÖVP zurückgehen. Und was ist überhaupt bürgerlich? Für mich ist jemand bürgerlich, wenn er eine Affinität zu Bildung hat und ein Citoyen ist, ein aktiver Bürger, der sich einmischt. Wir definieren uns als liberale BürgerInnenbewegung.

 

Wie viel Prozent der gesamten Wahlbevölkerung könnten für Sie interessant sein?

Die absolute Mehrheit wird es nicht. (lacht) Aber wir haben ein gutes Potenzial. Wir stehen für Reformen, gegen das etablierte System und für einen Protest.

 

Welche Bildungsreform streben Sie an?

Das Fehlen einer Bildungsreform ist ein Hauptgrund, dass es uns überhaupt gibt. Erstens braucht es 120 Millionen Euro pro Jahr für Bildung, das wären zumindest 1000€ pro Pflichtschüler. Dieses Geld möchten wir den Schulen autonom zur Verwendung geben. Ausschlaggebend sind der Bildungshintergrund der Eltern und sozio-ökonomische Faktoren. In Wien gilt der Satz: „Sag mir woher du kommst, und ich sag dir wie weit du es bringen wirst.“. Das ist eine Tragödie für die jungen Menschen und ein Verbrechen am Wirtschaftsstandort Wien. Wir können es uns nicht erlauben, dass ein Fünftel aller Pflichtschüler die Schule verlässt und nicht sinnerfassend lesen kann. Das sind funktionale Analphabeten.

 

Welche konkreten Maßnahmen würden Sie setzten?

Wir haben einen Sechs-Punkte-Plan. Erstens: Parteibücher müssen raus aus den Schulen. Wir brauchen keine Stadtschulrätin, die eigentlich Politikerin ist. Zweitens: wir brauchen Schulautonomie. Drittens: wir wollen einen formellen Bildungsabschluss am Ende der Mittleren Reife für alle SchülerInnen und diesen müssen alle Schulen erreichen. Ob das eine Gesamtschule ist? Ich will keine Trennung im Alter von zehn Jahren, das ist nur unfair. Ich will eine Vielfalt an Schulen. Ich suche gerade eine Schule für mein eigenes Kind und möchte natürlich nur das Beste für meine Kinder. Das wollen alle Eltern.

 

Beate Meinl Reisinger, NEOS, Kaffeesud, Mystik,
Christoph Liebentritt

 

Das heißt Privatschule?

Nein, am wichtigsten ist mir eine Ganztagesschule. Aber es ist interessant, dass ich keine im öffentlichen Bereich in meiner Umgebung finde.

 

Also Privatschule?

Ja, leider bleibt mir als berufstätige Mutter und bei zwei berufstätigen Elternteilen nichts anderes übrig. Aber ich will vor allem, dass ich Schulen vergleichen kann. In Schweden kann ich nachschauen, wie gut oder schlecht eine bestimmte Schule abschneidet. In den Niederlanden werden in Schulen, die lange Zeit schlechte Ergebnisse bringen, Schulsanierer geschickt.

 

"Ich kenne viele Lehrer, die sich sehr bemühen."

 

Wie würden Sie das in Österreich machen?

Wir brauchen zum Beispiel fixe Sozialarbeiter an Schulen. Laptops für Schüler. Da stellt sich die SPÖ am 1.Mai hin und sagt, die Roboter werden uns die Jobs wegnehmen. Auf der anderen Seite haben wir ein Bildungssystem, in dem wir mit vollkommen analogen Schritten in die digitale Zukunft gehen. Es braucht W-LAN an den Schulen und Laptops für jeden Schüler ab Sekundarstufe Eins. Wir müssen Schulbücher digitalisieren und Lehrmittel zentral und digital zur Verfügung stellen.

 

Tun Ihnen die Lehrer leid?

Ich finde schon, dass das Bashing in Mode gekommen ist, und ich kenne viele, die sich sehr bemühen.

 

Können Sie sich die Grünen oder die ÖVP als Koalitionspartner vorstellen?

Eigentlich will ich ja stimmenstärkste Partei werden, um das politische System grundlegend zu ändern. Aber ich bin offen, weiß nur, dass ich mit der FPÖ nicht koalieren werde.

 

Warum?

Wir können in Sachfragen zusammen arbeiten, aber ich will keinen Strache als Bürgermeister. Auch keinen Gudenus (Anm.: Johann Gudenus, Nr. 2 auf der Wahlliste). Ich will, dass Wien eine weltoffene Stadt ist und nicht zurück in die Runenzeit.

 

Wenn Sie mitregieren, was werden Sie als Erstes machen?

Die Parteienförderung halbieren und den Gemeinderat halbieren.

 

"Wien ist eine weltoffene Stadt und ich will nicht zurück in die Runenzeit."

 

Dann bekommen Sie aber auch nur die Hälfte.

Ja, das ist okay. 27 Millionen Euro im Jahr. Wien hat die höchste Parteienförderung weltweit.  Nur damit wir Dauerwahlkämpfe haben.

 

Aber es geht uns nicht schlecht in Wien, oder?

Ja, noch. Die Indikatoren wie Wachstum, Arbeitslosigkeit und Bildungsabschlüsse zeigen nach unten. Wir müssen etwas tun, denn sonst fahren wir gegen die Wand.

 

 

 

 

 

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