"Beleidigend für eine ganze Nation"

14. April 2016

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Böhmermann
Screenshot ZDFneo

Türkische Medien reagieren empfindlich auf das Schmähgedicht von TV-Satiriker Jan Böhmermann. Ein Pro-Erdoğan-Reporter berichtet sogar vom ZDF-Gelände und erinnert damit an das nordkoreanische Fernsehen.

In der Vergangenheit wurden Kriege meist aus religiösen oder wirtschaftlichen Gründen geführt. Doch auch auf den ersten Blick amüsante Vorkommnisse konnten dazu führen, dass die Artillerie gefechtsbereit gemacht wurde.  So war es üblich, dass ein englischer König im Mittelalter Frankreich angegriffen hat, weil der französische Monarch seinen englischen Amtskollegen als „Dumpfbacke“ bezeichnet hatte.

Von solchen Skurrilitäten sind wir heute zum Glück weit entfernt. Doch die Reaktion des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan auf Jan Böhmermanns Schmähgedicht entwickelt sich allmählich zu einer diplomatischen Krise zwischen Deutschland und der Türkei.

"Pornofantasie"
An vorderster Front dieser Auseinandersetzung stehen die Medien der beiden Länder. Während die deutschen Zeitungen und Fernsehsender sich mit Jan Böhmermann solidarisieren, stellen sich türkische Redakteure demonstrativ hinter ihren Präsidenten. Die auflagenstärkste Zeitung „Sabah“ schreibt etwa: „Damit wird nicht nur der türkische Präsident Erdoğan beleidigt, sondern eine ganze Nation.“ Noch weiter geht das Boulevardblatt „Star“. Es bezeichnet Böhmermanns Gedicht als eine schlechte „Pornofantasie“.

"Sie beleidigen die Türkei"
Bizarr ist dagegen eine Sendung des regierungstreuen Senders „A Haber“. Ein Reporter berichtet exklusiv vor dem ZDF-Gelände in Mainz. Der Beitrag ist mit einer dramatisch wirkenden Musik untermalt. Der Reporter wettert gegen die im Hintergrund agierenden ZDF-Mitarbeiter, die es scheinbar nicht sonderlich kümmert, dass sie gerade von einem türkischen Fernsehteam gefilmt werden.  „Er hat die Hände in den Taschen, spricht, als würde er uns beleidigen", berichtet der Reporter aufgebracht über einen Mitarbeiter und empört sich weiter: "Seht, wo die Pressefreiheit in Deutschland einzuordnen ist. Sie beleidigen und beschimpfen die Türkei, unseren Präsidenten, unser Volk und stehen hier nun vor uns. Auf unhöflichste Art und Weise."

Nordkorea lässt grüßen
Was ironischerweise wie eine TV-Satire wirkt, ist leider traurige Realität. Millionen von türkischen Fernsehzuschauern sind dieser manipulativen Berichterstattung ausgesetzt, damit ihre Sichtweise auf die Welt mit der ihres Präsidenten identisch wird.  Presse- und Meinungsfreiheit gelten in der Türkei nur dann, wenn der Präsident in den höchsten Tönen gelobt wird. Kim Jong-un lässt grüßen.

 

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