Bloß nicht "willig" signalisieren

07. April 2017

Aranya Johar

Aranya Johar, indische Poetry Slammerin
Youtube Screenshot

Sie ist gerade einmal 18 und ihr Poetry-Slam geht um die Welt. Die Stimme der Inderin Aranya Johar bebt zum Teil während sie ausspricht, was Frauen aus der ganzen Welt bewegt: Reduzierung. Was sich so harmlos buchstabiert, ist in echt lebensgefährdend.

„Mein junges Ich konnte den Frauenhass spüren: Vaginas sind nur zum Ficken da. Brüste sind nur zum Saugen da. Münder sind nur zum Blasen da.“

Aranyas Auftritt hat mich berührt. Wer ihr zuhört und zusieht, wie sie in ihrem Kleid am Mikro steht und so vehement und ehrlich die Wörter herausstößt, der merkt: Es ist ernst. Aranya slamt über die Sorgen vor den Übergriffen, davon, dass sie abends nicht allein auf die Straße sollte, dass ihre Mutter nicht will, dass sie Röcke anzieht, dass sie sich daher nur mehr hochgeschlossen kleidet. Bloß nicht reizen! Denn wer es tut, präsentiert sich nicht nur, sondern riskiert es. Nicht die Jungfräulichkeit, sondern das Leben.

 

„Man soll nicht glauben, ich will es.“

Meine Familie stammt auch aus Indien. Vor zwei Jahren besuchte ich sie in Bombay, Mumbai, der Stadt, wo Aranya auf der Bühne steht. Die Bedrohlichkeit der Blicke hat sich mir seit damals eingeprägt. Es waren nicht die üblichen, die gewohnten Männerblicke, jene, die bewundern, über die man sich freut, auch nicht mal solche, die nerven, bei denen man die Augen verdreht. Die Blicke schienen etwas anderes zu sagen: Abscheu. Nackte Waden, nackte Arme, ich schien „willig“ zu signalisieren. In diesen Tagen realisierte ich, wie „geschlechtliche“ Entwertung sich anfühlt – und dass sie Angst macht.

Dass es in Indien lebensbedrohlich ist zum weiblichen Geschlecht zu gehören, wissen wir inzwischen alle. Nachrichten von grausamen Massenvergewaltigungen, Politikern, die die Schuld den Frauen zuweisen – zu provokant, zu westlich gekleidet – die Normalität von Vergewaltigungen in Ehe und Familie. Aber dass sich auch Frauen außerhalb Indiens und von überall auf der Welt durch ihre Worte angesprochen fühlen, überrascht Aranya selbst. "Ich bin völlig überwältigt von der Resonanz", sagt sie im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. "Viele Frauen haben mir geschrieben, auch aus Deutschland. Ich dachte, ich spreche über typisch indische Probleme. Aber es ist wohl viel universeller. So viele Frauen aus so vielen Ländern teilen plötzlich ihre Geschichten mit mir."

Ja, Frauenhass ist universell. Übergriffe, Vergewaltigungen, Belästigungen, Respektlosgkeiten – nicht nur Biber hat zuletzt immer häufiger dazu Geschichten gebracht, von Frauen, die erzählen.

Aranya schafft es, in 90 Sekunden „poetisch“ vieles auf den Punkt zu bringen: Den Ekel vor der weiblichen Periode, die Glorifizierung der Jungfräulichkeit, die Stigmatisierung als Schlampe. Dabei trägt sie Kleid, zeigt einen Ausschnitt, ist nicht bis zum letzten Knopf zugeknöpft – sie verkehrt die Provokation. So heißt auch der Titel ihres Poetry-Slams: „A brown Girl’s Guide to Gender“. Eine indische Schülerin hält der Welt den Sexismus vor Augen.

„Wir sind Mädchen, Frauen, Menschen, keine Last. Ich weiß, dass nicht alle Männer so sind, glaub mir, das weiß ich. Aber die Männer, denen ich vertraue, sind nur wenige.“

Auch viele Männer haben auf Aranyas Auftritt international reagiert. Das ist so wichtig, meiner Meinung nach. Denn die Vertrauenswürdigen sollten nicht die schweigende Mehrheit sein.

 

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