Demokratie ist kein Kurz-Haarschnitt

15. Mai 2017

Folgt man den jüngsten innenpolitischen Ereignissen in Österreich und vor allem den Reaktionen darauf, so wird man nicht viel Neues erkennen: Da ist zum einen eine grundlegende Uneinigkeit und zum anderen ein Wortlaut, den man mittlerweile zur Genüge kennt – vornehmlich aus einem bestimmten Lager: Der Ruf nach Veränderung. So schnell wie möglich, so radikal wie nötig.

Sebastian Kurz hat in den letzten Tagen ziemlich klar gemacht, dass er nicht unbedingt einer Generation angehört, die daran interessiert ist, Altes zu reparieren, wenn es nicht mehr ganz so gut funktioniert. Dazu gehört scheinbar auch die mühsame Suche nach Konsens oder Kompromissen. Doch gerade seine Jugend mag es sein, die vielen Leuten da draußen Veränderung und Aufbruch suggeriert und so erscheint jede seiner sorgfältig ausgewählten Ich-Botschaften diese Aufbruchsstimmung noch einmal mehr zu unterstreichen.

Wer viele Ich-Botschaften sendet, hat entweder viele Seminare in konfliktfreier Kommunikation besucht, oder stellt sich selbst ganz gerne über das Gemeinsame. Und suggeriert dabei geschickt, dass es demokratisch keine bessere Lösung als Neuwahlen gäbe.

Es wäre ja einfach mit der Demokratie, wenn Demokratie so einfach wäre. So einfach, als würde man beispielsweise schlicht behaupten, NGOs wären nichts anderes als Schlepperbanden – andere Geschichte. Demokratie lebt aber von dauerndem Aushandeln, von Kompromissen, von Meinungsverschiedenheiten und aufeinander Zugehen. Alleingänge, Selbstinszenierungen und sogar grob verfälschte Darstellungen von demokratischen Prozessen (wie zum Beispiel, dass die Nationalratswahl eine direkte Personenwahl wäre) behindern jedoch nicht nur die inhaltliche Arbeit bis hin zur Unmöglichkeit, sondern sie vermitteln vor allem auch ein völlig falsches Bild dessen, was Demokratie als Ganzes bedeutet.

Das Ganze wirkt dann nämlich eher wie eine Reality-Show, deren Darsteller einzig darauf bedacht sind, sich vor dem Publikum möglichst gut selbst zu inszenieren, und wenn es diesem nicht mehr passt, kann es selbst entscheiden, wen es rein- und rauswählen will. Wahlen erscheinen dabei als das beste Mittel für das Volk, seine Meinung kundzutun, selbst wenn es gar keine eindeutige Meinung bis auf den Schrei nach Veränderung hat. Und überhaupt, warum sollte man inhaltlich arbeiten, wenn es doch Wahlen gibt? Brot und Spiele für das Volk!

So brauchen wir uns dann nicht zu wundern, dass  viele Menschen Demokratie wie ihre Friseurbesuche handhaben: Sie entscheiden sich spontan, sind sich sicher, dass sie eine radikale Veränderung wollen, einen (Ein)Schnitt, fühlen sich dabei wie die ärgsten Rebellen und sind förmlich high von der Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung (und vom Haarspray). Erst am nächsten Tag, wenn das Styling vom Friseur weg ist, fallen sie auf den bitteren Boden der Realität und merken, dass sie nicht mehr in den Spiegel schauen können. Dann müssen sie aber leben mit dem neuen Kurzhaarschnitt.

 

 

 

 

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